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Die Sommerinterviews

Assistent und Mensch mit Behinderung trinken gemeinsam
Ein Assistent hilft einem Mensch mit Behinderung beim Trinken und trinkt gleichzeitig selbst.
Foto: Andreas Vega

München (kobinet) Wer kennt das nicht, Lieblingssendungen oder wichtige Ansprechpartner sind in der Sommerpause. So plagt einem vor dem Fernseher entweder die Langeweile, oder der richtige Mann zum Reparieren eines Rollstuhls ist in weite Ferne verreist. Kobinet hingegen wird in den nächsten Tagen täglich ein Interview zum Thema „Persönliche Assistenz“ veröffentlichen. Am 19. Juni diesen Jahres veröffentlichten wir einen Bericht über massive Probleme bei der Personalsuche im Arbeitgebermodell bzw. persönlichen Budget. Die Redaktion erreichte viel Resonanz, das Thema der Artikel also getroffen. Täglich erscheint also ein Interview mit einem Menschen mit Behinderung, der „Persönliche Assistenz“ selbst organisiert und so versucht sein Lebensmodell „Selbstbestimmt Leben“ umzusetzen. Unsere Leser*innen bekommen also einen kleinen Einblick in die Probleme, die sich auf diesem Wege ergeben.

Heute sprechen wir mit einer behinderten Arbeitgeber*in aus der Region Ostwestfalen.



Kobinet: In welchem Umfang benötigen Sie persönliche Assistenz?

24 Stunden am Tag. Ich werde also von meinen AsssistentInnen rund um die Uhr begleitet, sowohl auf der Arbeit als auch privat. Daher brauchen sie ganz verschiedene Fähigkeiten und Talente.

Kobinet: Wie lange leben Sie schon mit persönlicher Assistenz?

Seit 25 Jahren lebe ich mit Assistenz. Davon 5 Jahre rund um die Uhr.

Kobinet: Wie funktioniert bei Ihnen die Suche nach geeigneten persönlichen Assistent*innen?

Ich habe eine extra dafür entwickelte Internetseite und die streue ich breit im Internet, u.a. bei Facebook, der Agentur für Arbeit, eBay Kleinanzeigen und seit Neuestem auch Instagram. Ich versuche die Besucher meiner Anzeigen auf meine Internetseite zu leiten. Da steht eine detaillierte Stellenausschreibung inkl. diverser Fotos und Videos. Auf der Seite bringe ich den Besuchern den Assistenzjob näher und stelle mich vor. Die Assistent*innen haben dann drei Möglichkeiten sich zu melden. Entweder telefonisch, über einen Online-Fragebogen oder als klassische Bewerbung mit Anschreiben und Lebenslauf, was dann auch online an mich geschickt wird.

Kobinet: Welche Medien nutzen sie zur Personalsuche?

Internet, Flyer, Postkarten und Visitenkarten. WhatsApp Statusanzeigen, Facebook, YouTube, Instagram, Mundpropaganda

Kobinet: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Sehr unterschiedliche Erfahrungern. In der Regel sehr gute. Wenn sich einer online bewirbt, hat er sich normalerweise schon sehr intensiv mit der Stelle beschäftigt. Sollte er über eBay Kleinanzeigen auf mich gestoßen sein und ruft mich direkt an, ist dies leider meist nicht so erfolgreich, da er sich nicht mit der Stelle auseinandergesetzt hat.

Kobinet: Fürchten Sie Ihre Selbstbestimmung aufgrund der aktuellen Lage zu verlieren?

Durch Corona hat sich die Lage nochmal deutlich verschärft, sodass sich noch weniger Menschen für den Bereich Assistenz interessieren. Daher ist die Auswahl sehr eingeschränkt, sodass ich mehr oder weniger keine Wahl habe und den nächstbesten Bewerber nehmen muss, um meine Versorgung aufrecht zu erhalten, auch wenn es charaktermäßig nicht passen sollte. Dadurch ist bereits jetzt die Selbstbestimmung sehr gefährdet, mittel- bis langfristig droht sogar das Heim.

Kobinet: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage bezüglich der persönlichen Assistenz ein?

Sehr kritisch um nicht zu sagen dramatisch. Es ist schon arg zynisch die Beschäftigten des Pflegesektors in der Coronakrise nicht nur als absolut systemrelevant, sondern als Retter der Nation hochzustilisieren und ihnen nichtsdestotrotz nur einen Mindestlohn zu zahlen, der kaum mit dem Existenzminimum vereinbar ist. Es muss ein Umdenken in der Politik stattfinden. Statt Applaus und warmer Worte muss eine massive Kapitalerhöhung im Pflegesektor forciert und eine finanziell messbare Wertschätzung der „Pflegehelden“ erfolgen. Aktuell befinde ich mich noch im Anbietermodell (ambulanter Dienst), bin aber auf dem Weg ins Arbeitgebermodell, da ich dort sehr viel mehr Spielraum in der Bezahlung meiner Assistenzkräfte habe. Von alternativen Arbeitszeitmodellen, die das Anbietermodell nicht hergibt mal ganz abgesehen.

Kobinet: Vielen herzlichen Dank.