
Foto: privat
Kleve (kobinet) Bruno Janßen setzt sich als "Spätstarter" in der Klever Kommunalpolitik u.a. auch für Barrierefreiheit ein. Und so bleibt der Rollstuhlnutzer auch nicht von dem leidigen Thema der fehlenden barrierefreien Toiletten verschont, zu dem er mit anderen zusammen eine pfiffige Aktion zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen am 5. Mai in Kleve durchgeführt hat. kobinet-Redakteur Ottmar Milies-Paul führte mit ihm ein Interview, in dem sich u.a. mehr Tempo bei der Umsetzung von Ratsbeschlüssen zum Thema Barrierefreiheit wünscht.
kobinet-nachrichten: Vor knapp zwei Jahren wurden Sie in den Rat der Stadt Kleve gewählt. Wie kam es dazu, bzw. was hat Sie in die Politik getrieben?
Bruno Janßen: Ich bin wirklich ein „Spätberufener“ und erst 2018 den Grünen beigetreten, obwohl mir seit 40 Jahren grüne Themen am Herzen liegen. Ausschlaggebend für meinen Parteieintritt war seinerzeit sicherlich die Zuspitzung der Klimakrise und speziell das Engagement der Bewegung „Ende Gelände“, das mich sehr aufgerüttelt hat. Zudem haben mich – auch bedingt durch meine berufliche Tätigkeit als Lehrer – seit einigen Jahre lokale schulpolitische Themen sehr interessiert. Durch meine Behinderung – ich bin seit über 40 Jahren wegen einer Querschnittslähmung auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen – ist mir auch das Thema Barrierefreiheit naturgemäß ausgesprochen wichtig. In diesem Bereich liegt in Kleve noch vieles im Argen, wie zum Beispiel die mangelnde Barrierefreiheit am Klever Bahnhof bzw. im Bahnhofsumfeld.
Ein Jahr nach meinem Parteieintritt bin ich dann von der Klever Fraktionsvorsitzenden der Grünen angesprochen worden, ob ich nicht Interesse hätte, mich um ein Ratsmandat zu bewerben. Nach zwei schlaflosen Nächten habe ich mich dann dafür entschieden und auf der Aufstellungsversammlung auch einen vorderen Listenplatz erzielen können.
kobinet-nachrichten: Welche Erfahrungen haben Sie als jemand, der einen Rollstuhl nutzt, nach Ihrer Wahl in den Rat gemacht?
Bruno Janßen: Ich empfinde es schon als eine Ehre im Stadtrat die Geschicke der Stadt ein Stück weit mit lenken zu dürfen. Zu Anfang hat es erst einmal gedauert, alle Formalien und die Arbeitsweise im Rat verstehen zu lernen.
Wenn man die politische Arbeit ernst nimmt, muss man auch wirklich eine ganze Menge Zeit investieren, um sich angemessen auf die Sitzungen vorbereiten zu können, weil es einfach ständig gilt, hunderte von Seiten Drucksache zu lesen. Speziell die Arbeit in unserer erfreulich großen Grünen Fraktion – wir sind insgesamt 12 – macht mir sehr viel Spaß und hat meinen Horizont bedeutend erweitert. Es ist wirklich eine tolle, bunte Truppe, die mittlerweile hocheffizient arbeitet. Auch den Kontakt zur Verwaltung und den anderen Fraktionen erlebe ich größtenteils als ausgesprochen respektvoll.
Das Rathaus ist neu und dementsprechend barrierefrei. Das Fraktionshaus ist es zwar leider nicht, doch hat unsere Fraktion glücklicherweise einen Sitzungssaal im Erdgeschoss erhalten und die Verwaltung hat die Toilette im Erdgeschoss für mich entsprechend barrierearm umbauen lassen. Auch hat uns die Verwaltung während der Corona Pandemie aus Gründen des Infektionsschutzes gestattet, den Ratssaal für unsere wöchentlichen Fraktionssitzungen zu benutzen.
kobinet-nachrichten: Über Kleve haben wir in den kobinet-nachrichten bisher kaum berichtet. Was sind Ihrer Ansicht nach Highlights der Stadt und was muss noch in Sachen gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen in Kleve getan werden?
Bruno Janßen: Das touristische Highlight Kleves ist sicherlich die Schwanenburg, die majestätisch auf einem kleinen Hügel über der Stadt thront. Leider ist sie bis heute überhaupt nicht barrierefrei – obwohl sie zugleich auch noch Sitz des Amts- und des Landgerichtes ist. Für viele Klever:innen ist sie auch ein wichtiger identitätsstiftender Ort. Allerdings ist die Burg selbst im Besitz des Landes Nordrhein-Westfalen, was die kommunale Einflussnahme natürlich schwierig gestaltet.
Darüber hinaus ist Kleve bekannt für seine historischen Gartenanlagen und sein wunderschönes Museum Kurhaus, das leider nur über einen Hintereingang barrierefrei erschlossen wurde. Ansonsten ist Kleve eine beliebte Einkaufsstadt mit einer belebten Fußgängerzone. Allerdings sind hier eine ganze Reihe Geschäfte nicht barrierefrei zugänglich. Hier gibt es in jedem Fall Handlungsbedarf. Auch im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gibt es für Menschen mit Behinderung große Defizite.
Zusätzlich besitzt Kleve seit über 10 Jahren eine Hochschule, die in Bezug auf die Barrierefreiheit als ein Positivbeispiel gelten kann. Durch die Lage am Niederrhein bietet die Umgebung der Stadt viel Natur und die Nähe zur niederländischen Großstadt Nimwegen, die von hier aus auch gut mit dem Handbike oder Fahrrad erreichbar ist.
kobinet-nachrichten: Als Rat der Stadt Kleve müssen Sie sich auch mit Themen befassen, die sonst kaum Kommunalpolitiker*innen umtreiben, wie beispielsweise die Toiletten – genauer gesagt, barrierefreie Toiletten. Was ist da los und was war das für eine Aktion, die Sie und andere zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen im Mai diesen Jahres durchgeführt haben?
Bruno Janßen: Das Thema der fehlenden barrierefreien öffentlichen Toiletten ist in Kleve ein wirklich Drängendes. Daher hat unsere Fraktion das auch sofort zu Beginn der Legislaturperiode auf die Agenda gesetzt. Wir haben auch mehrere Ratsbeschlüsse zur Errichtung dringend fehlender barrierefreier öffentlicher Toiletten am Bahnhof und auch am Markplatz durchsetzen können. Nur leider scheitert es bislang an der Umsetzung. Daher haben wir den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung dazu benutzt, um auf diese Missstände bzw. die schleppende Umsetzung der Ratsbeschlüsse aufmerksam zu machen. Plakativ haben wir dazu mit einer kleinen Demonstration ein Dixi-Klo auf einem Rollwagen vom Markplatz durch die Klever Fußgängerzone bis zum Bahnhof gezogen.
Gleichzeitig haben wir dabei alle Geschäfte mit Aufklebern markiert, die nicht barrierefrei zugänglich sind.
kobinet-nachrichten: Können Sie schon auf erste Erfolge Ihres Wirkens blicken?
Bruno Janßen: Zunächst ist es sicherlich ein wichtiger „struktureller“ Erfolg unserer gesamten Fraktion, dass wir hervorgehend aus dem vorher existierenden Generationenbeirat nunmehr einen echten Ausschuss „Generationen und Gleichstellung“ etablieren konnten. Dadurch bekommt auch das Thema der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen natürlich deutlich mehr Gewicht. Wir haben zum Thema verschiedene Anträge gestellt von denen wir einige auch durchsetzen konnten. Dazu gehören – wie bereits zuvor erwähnt – Ratsbeschlüsse zur Errichtung einer öffentlichen barrierefreien Toilette am Bahnhof und auch einer behindertengerechten Pop up Toilette auf dem Marktplatz. Auch haben wir durchsetzen können, dass ein taktiles Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderungen in der gesamten Fußgängerzone verwirklicht werden soll.
kobinet-nachrichten: Wenn Sie drei Wünsche für die Behindertenpolitik in Kleve frei hätten, welche wären dies?
Bruno Janßen: Generell würde ich mir einfach mehr Tempo bei der Umsetzung von Ratsbeschlüssen zum Thema Barrierefreiheit wünschen!
Im Detail wäre ein wichtiger Punkt zunächst einmal ein bedarfsgerechter und eng getakteter wirklich barrierefreier ÖPNV (inklusive des Bahnhofs Kleve!), der natürlich in ländlichen Gebieten schwieriger umzusetzen ist, als in großstädtischen Räumen. Wahrscheinlich liegt hier viel Potenzial in intelligenten „Bus on demand“ Systemen. Kleve nimmt hier gerade sogar an einem entsprechenden Modellversuch teil. Allerdings sind die Fahrzeuge leider nicht wirklich barrierefrei und auch die App ist verbesserungsbedürftig.
Als Lehrer würde ich mir natürlich wirklich inklusive Schulen wünschen – zumal ich selbst nach meinem Unfall davon sehr profitiert habe. Die Kommunalpolitik kann hier allerdings lediglich über möglichst optimal barrierefreie Schulbauten dazu beitragen. Inklusive Schulkonzepte und eine dafür notwendige sehr viel bessere personelle Ausstattung müssen bekanntermaßen die Landespolitik beisteuern.
Zuletzt würde ich mir für Kleve eine starke Förderung des barrierefreien Tourismus wünschen, ähnlich wie es etwa die Nachbarstadt Xanten schon vorgemacht hat. Das ließe sich auch wunderbar mit der Förderung des Radtourismus kombinieren. Und vielleicht würde man dann auch das Potenzial der Schwanenburg erkennen.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.