Bochum (kobinet) Mit einer eindringlichen Mahnung hat das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) seine Stellungnahme zum Referenten-Entwurf zum "Triage-Gesetz“ vorgelegt.
Grundsätzlich begrüßt BODYS die Initiative des BMG, zügig den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Triage umzusetzen und eine gesetzliche Regelung zu treffen – und zwar noch vor der zu erwartenden neuen Corona-Welle im Herbst 2022. Mit „dringenden und erheblichen Bedenken“ kritisiert BODYS den Referenten-Entwurf jedoch grundlegend. In der Stellungnahme führen die Autorinnen die Kritikpunkte aus und fordern entsprechende Änderungen des Entwurfs:
– Das vorgesehene Kriterium der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ schützt gerade behinderte Menschen nicht vor Diskriminierung, stattdessen sollte die Zuteilungsentscheidung nach dem Randomisierungsprinzip erfolgen.
– Effektiver Rechtsschutz gegen Diskriminierung setzt Rechtsschutzmöglichkeiten voraus. Der Entwurf muss daher strafrechtliche Sanktionierungen und andere Formen des Rechtsschutzes enthalten.
– Der Referenten-Entwurf sieht vor, dass Personen mit entsprechender Fachexpertise für Behinderung oder Vorerkrankung nur in Fällen besonderer Dringlichkeit hinzuziehen seien. Triage-Situationen sind aber immer dringlich!
– Dem Entwurf fehlen Regelungen, die der „Triage vor der Triage“ strukturell entgegenwirken – das heißt, Benachteiligung durch Nicht-Aufnahme ins Krankenhaus muss verhindert werden.
– Wie vom BVerfG empfohlen, ist die menschenrechtsbasierte Schulung des medizinischen Personals ebenfalls gesetzlich zu verankern. Neben dem Triage-Gesetz, wo eine entsprechende Regelung noch fehlt, kämen auch andere Gesetze in Frage, z. B. die Ärztliche Approbationsordnung.
– Schließlich ist dringend geboten, eine Vorschrift zur Evaluation der Triage-Regelung zu erlassen, da zukünftig mit weiteren Katastrophen und dadurch bedingten Knappheitssituationen zu rechnen ist.
In seiner Einschätzung greift BODYS die Bedenken zivilgesellschaftlicher und andere Akteure auf (z.B. Runder Tisch Triage und Forum behinderter Juristinnen und Juristen) und fordert den Gesetzgeber dringend zu grundlegenden Nachbesserungen des Referenten-Entwurfs auf.
Ich glaube, da muss man ganz anders rangehen und sehe den Artikel daher eher kritisch, wenn nicht sogar falsch in seiner Analyse.
Triage: Das ist das Konzept einer jeden Notaufnahme. Das bedeutet, in der Notaufnahme wird eine Form der Priorisierung vorgenommen. Schon heute und das unabhängig davon, ob wir eine Pandemie haben oder nicht.
Vor der Pandemie hat diese Form der Triage niemanden gestört. Aber jetzt?
Auch ohne „Überlastung der Intensivstation“ muss jede Notaufnahme eine Triage durchführen. Die wird nach Grad der Verletzung und Dringlichkeit der Behandlung durchgeführt.
Bei der Pandemie, und das ist auch richtig so, wollen Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligt werden, auch wenn Vorerkrankungen oder akute Erkrankungen vorliegen.
Im Sinne des Art 3 GG heißt das, dass die Bewertung unabhängig davon erfolgen muss, ob jemand eine Behinderung hat oder nicht.
Aber: Ob Behinderung oder nicht, irgendwo wird man immer entscheiden müssen, inwieweit die Heilungschance besteht und wer ein Intensivbett bekommt. Insofern das unabhängig davon geschieht, ob eine Behinderung vorliegt oder nicht, wäre der verfassungsrechtlichen Anforderung genüge getan.
Wenn es aber gerade die Behinderung ist, die eine schlechtere Heilungschance prognostiziert, ja dann wird es zu einem moralischen Aspekt, ob die Person das Intensivbett bekommen soll, die mit 80% Heilungschance eingeliefert wird, oder die mit weniger Heilungschance. Genau da sollte man gedanklich und juristisch ansetzen, um dann zu entscheiden, ab wann ein Verstoß nach Art 3 GG vorliegt.
Vielleicht traut sich Kobinet ja mal an das Thema ran, denn das würde dann den gesetzlichen Auftrag einer Redaktion gerecht werden.