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Weshalb funktioniert schulische Inklusion selbst dann eingeschränkt, wenn sie politisch gewollt ist?

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Foto: ht

Kassel (kobinet) "Weshalb funktioniert schulische Inklusion selbst dann eingeschränkt, wenn sie politisch gewollt ist?" Mit dieser Frage hat sich Alexander Drewes in einem Beitrag für die kobinet-nachrichten anhand der Situation in Hessen auseinander gesetzt.

Beitrag von Alexander Drewes

Weshalb funktioniert schulische Inklusion selbst dann eingeschränkt, wenn sie politisch gewollt ist?

Wir haben hier in Hessen ja ein Schulgesetz, das dem Grunde nach die Prärogative der inklusiven Beschulung vorsieht. Wir haben hier zudem eine seit Jahren leidlich funktionierende schwarz-grüne Koalition auf Landesebene.

Um zu verdeutlichen, wie dysfunktional eine solche Gesetzgebung sein kann, die sich papiern tatsächlich so liest, als sei der Inklusionsanspruch im Bereich schulische Bildung vollkommen realisiert, mag ein Beispiel dienen (es handelt sich dabei um meine Tochter):

Das Kind ist blind und erheblich entwicklungsverzögert. Das Schulamt hat bei der ursprünglichen Schulzuweisung eine segregative Beschulung favorisiert, weil sie die Schulstandorte in der hiesigen Kommune nicht für hinreichend barrierefrei ausgestattet angesehen hat, zudem fehle es an entsprechendem Lehrpersonal.

Auf Drängen der Eltern fand über sieben Jahre hinweg – zunächst an zwei örtlichen Grundschulen, danach an einer Modellprojektschule – der Versuch eines inklusiven Unterrichts statt.

Seit dem vergangenen Jahr besucht das Kind eine segregative Einrichtung, die einzige, die einen Gymnasialabschluss für blinde Schüler*innen in Deutschlang anbietet.

Weshalb haben wir – ich bin seit Jahrzehnten sowohl behindertenpolitisch als auch behindertenrechtlich ein exponierter Verfechter der inklusiven Beschulung – letztlich diesen Weg gewählt?

Inklusion fand eigentlich keinen einzigen Tag tatsächlich statt. Das Kind hatte – eine weitgehend durch uns (vor)finanzierte Schulassistenz (die Sozialhilfeverwaltung der hiesigen Kommune hat im vergangenen Jahr der Begleichung der angefallenen Schulassistenzkosten im Rahmen eines Güterichterverfahrens vor dem Landessozialgericht zugestimmt, aber die rundweg 100.000,- €, um die Assistenz vorzufinanzieren, muss man ja auch erst einmal haben), allerdings hielt sich das pädagogische Bemühen, einen inklusiven Unterricht stattfinden zu lassen, von Anfang an in überschaubaren Grenzen.

Nun ist es sicherlich nicht ganz unkompliziert, ein blindes Kind mit einer autismusnahen Spektrumsstörung inklusiv zu unterrichten, allerdings haben sämtliche der unterrichtet habenden Lehrkräfte die diesbezügliche Verantwortung praktisch vollständig auf die zuständige Förderlehrkraft und die Assistenz abgeschoben, sodass das Kind in den Klassen bis zur 7. Jahrgangsstufe eigentlich immer ein Fremdkörper blieb.

So war die Intention der Modellschule, das Kind auf eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Sehen abzuschieben, ab einem gewissen Zeitpunkt völlig unverkennbar.

Die Tragik bei dieser Fallgestaltung: Im vorliegenden Fall stellt es nach Lage der Dinge tatsächlich die beste Lösung für das Kind dar, segregativ beschult zu werden, obwohl eine – dem Grunde nach nach wie vor notwendige – Assistenzleistung mittlerweile nicht mehr stattfindet, weil sie von der jetzigen Schulleitung ersichtlich nicht gewollt ist.

Vorliegend kann man verschiedene Aspekte des Inklusionsansatzes recht hübsch deutlich machen:

– Inklusion kann politisch gewollt sein, sofern sie allerdings nicht mit den – man denke nur an die entsprechende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – hinlänglich notwendigen personellen, sächlichen und finanziellen Mitteln ausgestattet wird, ist sie von vornherein zum Scheitern verurteilt.

– Vorliegend fehlte es an allen drei Faktoren: Weder waren in hinreichendem Umfang die personellen Ressourcen gegeben (sämtlichen drei Schulen war das Thema Inklusion sinnesbeeinträchtigter Kinder mindestens lästig, eine Auseinandersetzung des Lehrpersonals mit der Thematik fand weitgehend nicht statt), die sächlichen Mittel mussten durch eine Fördereinrichtung erbracht werden, weil sie weder durch en Schulträger noch gar durch das Schulamt in irgendeiner Weise vorab organisiert worden waren, hinsichtlich der Finanzierung schuf die zuständige Behörde Problemschwerpunkte, vor denen andere Eltern mutmaßlich bereits in der Primarstufe kapituliert haben würden.

Schwierig ist der Ansatz auch deshalb, weil man im Grunde genommen ein doch recht fundiertes juristisches Fachwissen benötigt, um sich in den schul- und sozialleistungsrechtlichen Fallstricken nicht vollends zu verfangen.

In Nordrhein-Westfalen muss man nun dennoch konstatieren, dass die bürgerschaftliche Teilhabe präferierenden Grünen scheinbar vor ihrem eigenen Versagen in der letzten rot-grünen Koalition auf Landesebene einzuknicken scheinen. Bedauerlicherweise beobachtet man diese Herangehensweise bei den Grünen regelmäßig, wenn es um Machtaspekte geht (und um mich dem Vorwurf, ich schriebe von einer anderen Parteiwarte aus, erst gar nicht auszusetzen: Ich bin gegenwärtig Mitglied bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN).