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Bundessozialgericht zur Erstattung von Urlaubskosten für Assistent*innen

Foto zeigt Bundessozialgericht
Foto zeigt Bundessozialgericht in Kassel
Foto: Bundessozialgericht

Kassel (kobinet) "Behinderte Menschen können Eingliederungshilfeleistungen für solche Kosten erhalten, die entstehen, weil sie bei einer Urlaubsreise auf eine Begleitperson angewiesen sind. Dies hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts am 19. Mai 2022 entschieden", heißt es auf der Internetseite des Bundessozialgerichts in Kassel, zur Entscheidung, über die die kobinet-nachrichten bereits berichtet haben.

„Der auf einen Rollstuhl angewiesene, behinderte Kläger beschäftigt zu seiner Pflege rund um die Uhr drei Assistenten. Er unternahm im Juli 2016 eine 7-tägige Schiffsreise auf der Nordsee mit zwei Landausflügen. Einen seiner Assistenten nahm er zur Sicherstellung seiner Pflege auf die Reise mit. Seine eigenen Reisekosten trug der Kläger selbst. Er machte gegenüber dem beklagten Sozialhilfeträger die Übernahme der Reisekosten für den Assistenten geltend, was dieser wie auch das Sozialgericht und das Landessozialgericht ablehnten“, heißt es vonseiten des Bundessozialgerichts zur getroffenen Entscheidung.

Der 8. Senat hat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurückverwiesen, weil Feststellungen zur abschließenden Entscheidung fehlten. „Der Senat wies jedoch darauf hin, dass Urlaubsreisen als Form der Freizeitgestaltung ein legitimes soziales Teilhabebedürfnis darstellen. Einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger löst jedoch nicht schon das bei dem behinderten Menschen selbst bestehende Urlaubsbedürfnis aus, weil dieses bei nicht behinderten wie behinderten Menschen in gleicher Weise entsteht. Kosten für den eigenen Urlaub sind deshalb grundsätzlich nicht als Leistung der Eingliederungshilfe zu übernehmen. Anders kann es bei behinderungsbedingten Mehrkosten wie den Reisekosten einer notwendigen Begleitperson liegen. Denn mit diesen Kosten ist der behinderte Mensch allein aufgrund seiner Behinderung konfrontiert. Sie sind als Teilhabeleistung zu übernehmen, wenn sie vor dem Hintergrund der angemessenen Wünsche des behinderten Menschen notwendig sind. Der Wunsch eines behinderten Menschen, sich jährlich einmal auf eine einwöchige Urlaubsreise zu begeben, ist im Grundsatz als angemessen anzusehen. Dem Senat fehlten jedoch insbesondere Feststellungen dazu, ob dem Kläger die Buchung einer anderen, im Wesentlichen gleichartigen Reise möglich gewesen wäre, die geringere oder keine behinderungsbedingten Mehrkosten ausgelöst hätte“, heißt es weiter vonseiten des Bundessozialgerichts.

Link zur Pressemitteilung des Bundessozialgerichts

Link zum Bericht der kobinet-nachrichten

Lesermeinungen

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Alexander Drewes
22.05.2022 21:08

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bereits in der Pressemitteilung (die schriftliche Entscheidungsgründe bleiben abzuwarten, werden aber nach ihrem Ergehen auch kommentiert werden) in sich völlig schlüssig und konnte spätestens nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch Deutschland gar nicht anders ausfallen.
Das BSG stellt wesentlich auf den tatsächlichen Teilhabeaspekt ab, wobei der entschieden habende 8. Senat richtigerweise auch Freizeitaspekte wie Urlaubsreisen dem Teilhabebegriff unterfallen lässt. 
Insofern sind die Entscheidungen der Vorinstanzen (SG Chemnitz, LSG Sachsen) nicht nur gemessen am spezifischen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verfassungswidrig, die Rechtswidrigkeit ergibt sich schon einfachgesetzlich aus den Normen des Neunten Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) und der UN-BRK. Anders als die Vorinstanzen meinen, bedeutet Teilhabe nicht nur ein gesellschaftsnützliches Verhalten (ginge man ernstlich davon aus, müsste der Teilhabeleistungsträger einem/r Teilhabeleistungsberechtigten noch nicht einmal die anfallenden Assistenzkosten für einen Kinobesuch bezahlen, da sich auch hier eine „Gesellschaftsnützlichkeit“ schwer erklären ließe), Teilhabe meint unter menschenrechtlichen Aspekten jedes mindestens sozialadäquate Bedürfnis. Ob und inwieweit ein darüber hinausgehender Anspruch besteht, bleibt der sozial- und verfassungsrechtlichen Diskussion vorbehalten, wobei man den Teilhabebegriff nach hiesigem Verständnis weit wird fassen müssen.