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Wiesbaden (kobinet) Rika Esser tritt dafür ein, dass die Themen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, noch stärker als Querschnittsthemen auf Landesebene verankert werden. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte mit der Beauftragten der hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, die vor gut zwei Jahren ihr Amt antrat, folgendes Interview über ihr Wirken in Zeiten der Corona-Pandemie, die Stärken der hessischen Behindertenpolitik und über entsprechende Herausforderungen, die noch angegangen werden müssen.
kobinet-nachrichten: Vor gut zwei Jahren, am 2. März 2020, fand die Veranstaltung zu Ihrer Amtseinführung als Landesbehindertenbeauftragte in Hessen statt. Was hat sich seither für Sie persönlich verändert?
Rika Esser: Während meiner vorhergehenden beruflichen Stationen habe ich vielfältige Erfahrungen in der Behindertenpolitik gesammelt, nicht nur in Deutschland, sondern auch im internationalen Bereich. Ich habe aber auch immer wieder in Arbeitsbereichen außerhalb der „klassischen“ Behindertenpolitik gearbeitet, wie dem Bundesratsreferat eines Landesministeriums. Ich freue mich, hier mein Wissen und meine Erfahrungen miteinander kombinieren und einbringen zu können. Für mich persönlich hat sich verändert, dass ich in diesem Amt in der Lage bin, eigene inhaltliche Schwerpunkte zu setzen, was ich sehr schätze.
kobinet-nachrichten: Kurz nach Ihrer Amtseinführung begann die Corona-Pandemie. Wie hat dies Ihre bisherige Amtszeit und vor allem die Behindertenpolitik in Hessen geprägt?
Rika Esser: Mein Arbeitsalltag ist stark durch die Auswirkungen der Pandemie geprägt worden. Die meisten Vorgänge wickeln wir mittlerweile papierlos ab. Unsere wöchentlichen Teambesprechungen finden vor dem PC und nicht im Büro statt. Aber gerade für ein Amt wie das meine ist der persönliche Austausch enorm wichtig. Entscheidungsträger*innen beraten, die Vermittlung in kontroversen Diskussionsprozessen und das Einbringen spezifischer Perspektiven, all das wird durch ein direktes Gespräch erleichtert, was durch die Pandemie nur noch selten möglich war.
Corona nahm aber auch starken Einfluss auf die inhaltliche Agenda. Einerseits erreichten meine Dienststelle sehr viele Eingaben von Bürger*innen mit Behinderungen, die durch die Auswirkungen der Pandemie in elementare Bedrängnis geraten waren. Hier haben mein Team und ich versucht, im Rahmen unserer vermittelnden Beratung zu helfen, wo immer uns das möglich war. Gemeinsam mit den Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern habe ich mich auch öffentlich immer wieder zur Lage von Menschen mit Behinderungen während der Pandemie positioniert.
Weiterhin entstanden durch die Pandemie neue Aufgaben. So wurde ich zum Beispiel in das neu geschaffene interne Gremium „COVID-19-Eingliederungshilfe“ im Sozialministerium eingebunden. Dieser Kreis aus Vertreter*innen der hessischen Eingliederungshilfe und der Landesverwaltung erörterte die sich schnell verändernden Herausforderungen der Pandemie und diskutierte Maßnahme zu deren Bewältigung.
kobinet-nachrichten: Welche Stärken sehen Sie in der hessischen Behindertenpolitik?
Rika Esser: Hessen ist ein wirtschaftsstarkes Bundesland. Daraus resultiert auch für unsere Mitbürger*innen mit Behinderungen eine echte Chance auf Teilhabe am Arbeitsleben. Im Bereich der Arbeit und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen gibt es bereits eine gute Grundlage für Inklusion, die weiter ausgebaut werden sollte. Hier setzt meine Initiative des „Forums Inklusive Privatwirtschaft“ an. An ihm sind Vertreter*innen der Arbeitgeber*innen, der Arbeitnehmer*innen, der Reha-Träger*innen, aus der Wissenschaft und Verwaltung beteiligt. Bei regelmäßigen Treffen erörtert dieser Kreis, wie die Inklusion schwerbehinderter Arbeitnehmer*innen weiter vorangebracht werden kann.
kobinet-nachrichten: Und wo besteht noch kräftiger Handlungsbedarf?
Rika Esser: Bleiben wir beim Thema Arbeit und Beschäftigung: Der demografische Wandel arbeitet uns entgegen. Statistisch betrachtet sind Menschen mit Behinderungen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eher älter. Viele Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen scheiden in nächster Zeit aus dem Berufsleben aus. Für die Beschäftigungsquote heißt das beispielsweise, dass wir im hessischen Landesdienst mit unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen, um unsere Spitzenposition bei der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen im Bundesvergleich zu behalten.
Die Barrierefreiheit ist, wie in den anderen Ländern auch, ein Dauerbrenner: um eine flächendeckende Barrierefreiheit sowohl baulich als auch kommunikativ und im Verkehr zu erreichen, sind noch große Anstrengungen nötig. Hier müssen wir am Thema „dranbleiben“.
kobinet-nachrichten: Welche Wünsche haben Sie noch für den weiteren Verlauf Ihres Wirkens als Landesbehindertenbeauftragte von Hessen?
Rika Esser: Ich würde mich sehr freuen, wenn eine verbesserte pandemische Lage mir die Möglichkeit gäbe, öfter mit den Menschen in Hessen in Kontakt zu kommen. Hierzu plane ich beispielsweise in diesem Sommer eine Reihe von Ortsterminen im gesamten Bundesland.
2019 hat der Gesetzgeber das Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz novelliert. Dabei wurde eine neue Aufgabe für die Landesbeauftragte definiert: die mit der Inklusion auf der kommunalen Ebene befassten Akteur*innen sollen unterstützt und der Erfahrungsaustausch gefördert werden. Ich freue mich sehr, dass ich inzwischen eine gute und vertrauensvolle Arbeitsbeziehung zu den drei kommunalen Spitzenverbänden aufbauen konnte. Auf der Grundlage eines Entwurfs des Inklusionsbeirats arbeiten wir aktuell am Entwurf von Satzungsmustern. Diese sollen die Etablierung kommunaler Behindertenbeauftragter erleichtern. Mit der Veranstaltung „Inklusion in hessischen Kommunen“ im vergangenen November hat ein produktiver Erfahrungsaustausch vielfältiger Akteur*innen auf kommunaler Ebene stattgefunden. Diese Aktivitäten möchte ich in der laufenden Legislaturperiode weiter ausbauen.
Schließlich würde ich mich freuen, wenn es uns gelingt, die Themen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, noch stärker als Querschnittsthemen auf Landesebene zu verankern. Hier möchte ich dazu beitragen, den Austausch zwischen Interessenvertretungen, Politik und Verwaltung weiter zu vertiefen.