Kassel (kobinet) Der Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) und der Verein Selbstbestimmt leben in Nordhessen (SliN) fordern als Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen entscheidende Verbesserungen bei der Fortschreibung des Nahverkehrsplans des Nordhessischen Verkehrsverbund (NVV) zur vollständigen Barrierefreiheit.
Um den Anforderungen aus dem geänderten Personenbeförderungsgesetz (PBefG) gerecht zu werden, wonach die Nahverkehrspläne als Ziel eine vollständige Barrierefreiheit im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bis zum 1. Januar 2022 zu berücksichtigen haben, müssten noch einige Schippen draufgelegt werden, um eine barrierefreie Beförderung aller behinderten Fahrgäste sicherzustellen, betonten Ottmar Miles-Paul vom fab und Petra Willich von SliN.
„Auch wenn der NVV auf einem guten Weg zur barrierefreien Ausstattung der Fahrzeugflotte ist, kann es nicht sein, dass behinderte Menschen wie derzeit im Entwurf der Fortschreibung des Nahverkehrsplans geplant, noch bis Dezember 2027 warten müssen, bis die Busflotte komplett barrierefrei ausgestattet sein soll. Völlig inakzeptabel ist es, dass die Barrierefreiheit der Fahrzeuge im Bündel für Melsungen und Umland sogar erst 2029 hergestellt werden soll. Auch in Kassel sei es beispielsweise wichtig, die noch drei vorhandenen Hochflurstraßenbahnen schnell durch barrierefreie Fahrzeuge zu ersetzen“, erklärte Ottmar Miles-Paul vom fab.
Für Petra Willich vom Verein Selbstbestimmt leben in Nordhessen (SliN) ist es völlig unverständlich, dass derzeit nur 739 von 5.618 Bushaltestellen außerhalb Kassels im Bereich des NVV barrierefrei sind, wie es in der Fortschreibung des Nahverkehrsplans heißt. Ärgerlich sei dies vor allem auch deshalb, weil eine entsprechende Verpflichtung zur vollständigen Barrierefreiheit des Öffentlichen Personennahverkehrs bereits seit 2013 im Personenbeförderungsgesetz mit dem Stichtag der Umsetzung zum 1. Januar 2022 gesetzlich verankert ist. „Inakzeptabel ist für uns, dass im Vorschlag für die Fortschreibung des Nahverkehrsplans des NVV zur vollständigen Barrierefreiheit bei 1.300 Haltestellenpositionen mittel- und langfristig gar kein barrierefreier Ausbau vorgesehen ist. Das bedeutet, dass viele mobilitätsbehinderte Menschen auch weiterhin von der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs ausgeschlossen sein werden“, betont Petra Willich. Die selbst blinde Nutzerin von Bussen und Bahnen setzt sich zudem dafür ein, dass die Qualität und Lautstärke der Ansagen der Haltestellen in Bussen und Bahnen und über die Außenlautsprecher der Fahrzeuge regelmäßig überprüft und nachjustiert wird. Es dürfe zukünftig nicht mehr von der Lust und Laune der Fahrer*innen abhängen, ob die Haltestellenansagen betätigt werden oder nicht, weil dies für erhebliche Verunsicherung bei Fahrgästen sorge, die auf die Ansagen angewiesen sind.
Petra Willich und Ottmar Miles-Paul fordern im weiteren Abstimmungsprozess für die dringend nötige Fortschreibung des Nahverkehrsplans des Nordhessischen Verkehrsverbund (NVV) für eine vollständige Barrierefreiheit entscheidende Verbesserungen, um den Regelungen des Gesetzes und der gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen bei der Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs gerecht zu werden. „Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt zudem dort, wo wirklich keine vollständige Barrierefreiheit erreicht werden kann, angemessene Vorkehrungen vor, um die Teilhabe zu ermöglichen. Davon ist im Nahverkehrsplan bisher noch nichts zu sehen. Einfach zu sagen, Haltestellen könnten nicht umgebaut werden bzw. dies wäre wirtschaftlich nicht vertretbar, ist im 21. Jahrhundert nicht mehr akzeptabel.“, erklärte Ottmar Miles-Paul. Hier müssten übergangsweise individuell angepasste Angebote geschaffen werden, um die gleichberechtigte barrierefreie Nutzung des ÖPNV für alle zu gewährleisten.
Von der Stadt Kassel, die in der Fortschreibung des NVV-Nahverkehrsplans nicht umfassend erfasst ist und ein eigenes Verfahren durchführen will, erwarten die beiden Vereine, dass dies möglichst schnell angepackt wird und vor allem der Umbau der noch nicht barrierefreien Bushaltestellen im Stadtgebiet entscheidend beschleunigt wird. „Barrierefreiheit ist kein nice to have und keine Wohltat, sondern ein Menschenrecht“, stellte Ottmar Miles-Paul klar.