
Foto: Axel Dressel
Bad Friedrichshall (kobinet) "Jeder Mensch muss sich darauf verlassen können, dass er in Notsituationen eine gleichberechtigte, gerechte und menschliche Versorgung bekommt. Dies darf keine Frage von Behinderung oder Alter sein.“, fordert die Landesbehindertenbeauftragte von Baden-Württemberg Simone Fischer und betont: "Die Situation der ausgelasteten Krankenhäuser beängstigt Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung und ihre Angehörigen. Was mit ihnen passiert, wenn nicht mehr ausreichend Intensivplätze zur Verfügung stehen, bereitet ihnen seit Beginn der Pandemie große Sorge.“ Die Beauftragte beobachte daher die Entwicklungen um die Fragen der Triage sehr aufmerksam.
Simone Fischer hat am 22. Dezember die LebensWerkstatt in Bad Friedrichshall besucht, um mit Menschen mit Behinderungen und Mitarbeitenden ins Gespräch zu kommen und sich ein Bild von der aktuellen Situation zu machen. Die Landesbehindertenbeauftragte erklärte dabei: „Die Folgen der Corona-Pandemie verlangt Menschen mit Behinderungen zu viel ab. Wenn sie in Wohngemeinschaften oder Pflegeheimen leben, sind sie in einem Ausmaß mit den Folgen konfrontiert, die der Durchschnittsbürger meist nicht mitbekommt. Sie erleben Benachteiligung und Isolation noch stärker als vor der Pandemie. Wir dürfen bei der Inklusion nicht noch mehr Rückschritte machen.“
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus stellten Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen seit nunmehr fast zwei Jahren vor gewaltige Herausforderungen. Sie erlebten tiefere Einschnitte in ihrem sozialen Umfeld, in ihrem Alltag und bei der Arbeit, als der Bevölkerungsdurchschnitt. Menschen, die in gesonderten Lebensformen wohnen und arbeiten, beispielsweise in einer Wohngemeinschaft oder einer Werkstätte für Menschen mit Behinderungen, müssten weiterhin strengere Regeln in Kauf nehmen. Die Welt der Bewohner konzentriere sich seither fast ausschließlich auf das unmittelbare, exklusive Lebensumfeld. Aktivitäten und Begegnungen außerhalb der Einrichtungen seien begrenzt. Seit Beginn der Corona-Maßnahmen fänden weniger Besuche von oder bei Angehörigen statt. Sie seien mit viel Aufwand verbunden, was die Attraktivität einschränke, betonte Simone Fischer.
„Auch innerhalb der Wohngruppen mussten Begegnungen und Gemeinschaft reduziert werden. Viele kämpfen mit Erkrankungen, mussten mehrfach Zeit in Quarantäne verbringen, an vielen Orten verstarben Mitbewohner an Covid-19. Menschen ziehen sich zurück, viele trauern und leiden langfristig unter Depressionen, Desorientierung oder Demenz“, so beschreibt Simone Fischer die Erfahrungen vieler behinderter Menschen und betont: „Die Situation der ausgelasteten Krankenhäuser beängstigt Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung und ihre Angehörigen. Was mit ihnen passiert, wenn nicht mehr ausreichend Intensivplätze zur Verfügung stehen, bereitet ihnen seit Beginn der Pandemie große Sorge.“ Sie beobachte die Entwicklungen um die Fragen der Triage sehr aufmerksam. Vor allem müsse alles getan werden, damit das Gesundheitssystem alle Menschen versorgen kann. „Jeder Mensch muss sich darauf verlassen können, dass er in Notsituationen eine gleichberechtigte, gerechte und menschliche Versorgung bekommt. Dies darf keine Frage von Behinde-rung oder Alter sein.“
Es könne beispielsweise nicht sein, dass Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Pflege Vorauswahl darüber treffen müssten, wer ihrer Bewohner im Notfall eine Krankenhausbehandlung erhalte. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen. Kurzfristig sei jetzt aber jeder einzelne aufgerufen, alles dafür zu tun, damit dies in unserem Land gewährleistet ist, an den Corona-Regeln und wissenschaftlichen Empfehlungen orientiert und von seinem Impfrecht Gebrauch macht. Kontakte reduzieren, Maske tragen, Hände waschen und Impfen sind Maßnahmen, um uns selber zu schützen und die Krankenhäuser nicht zu überlasten.
„Ich danke für Ihren Besuch und die Verbundenheit mit denjenigen, die in besonderem Ausmaß von den Folgen der Pandemie betroffen sind.“, sagte Friedemann Manz, Geschäftsführender Vorstand der LebensWerkstatt. „In den vergangenen Monaten tragen auch die Mitarbeitenden eine hohe Anstrengung. Sie begleiten Menschen mit Behinderungen kompetent und engagiert, stellen die Grundversorgung sicher und unterstützen im Alltag nach dem Grundsatz ‚So viel Infektionsschutz wie nötig und so viel Selbstbestimmung wie möglich‘. Die Mitarbeitenden begleiten und assistieren Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen in beachtlicher Weise.“ Allerdings sei das Personal zunehmend erschöpft. Der Fachkräftemangel zeige sich auch im Bereich der Eingliederungshilfe. Es braucht bessere Arbeitsbedingungen, damit Menschen ihre Arbeit gut machen können.“ Auf Seiten der Mitarbeitenden in den Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe bestünden schon seit Monaten massive Belastungen aufgrund der quarantänebedingten Personalausfälle, der hohen Hygienestandards und Testvorgaben.
Simone Fischer dankte all jenen, die in der Pandemie verantwortungsbewusst ihren Dienst am Nächsten tun: „Menschen mit Behinderungen sind darauf angewiesen, dass sie auf Personal treffen, das aufrichtig und zugewandt ihre Assistenz übernimmt. In der aktuellen Zeit ist Ihre Arbeit und Verantwortung wichtiger denn je. Persönliche Assistenz und Pflege sind eine Frage von Vertrauen. Immer noch können nicht alle Menschen selbstverständlich aussuchen, wie und wo sie leben wollen.“