
Foto: Franziska Vu ISL
Berlin (kobinet) Dass es trotz der erst kürzlich verabschiedeten Regelungen zur Assistenz im Krankenhaus noch einen großen Handlungsbedarf gibt, das hat ein Online-Seminar des Bildungs- und Forschungsinstituts zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) mit dem renommierten Juristen Horst Frehe deutlich gemacht. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach nach dem Seminar mit Jenny Bießmann von der ergaänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstelle (EUTB) des Berliner Verein aktiv und selbstbestimmt (akse) über noch bestehende Gesetzeslücken und deren Auswirkungen auf die Betroffenen.
kobinet-nachrichten: Im Rahmen eines Online-Seminars des Bildungs- und Forschungsinstituts zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) ging es am 18. Oktober um die Neuregelungen zur Assistenz im Krankenhaus. Weshalb ist das Thema für Sie als Vertreterin einer ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstelle (EUTB) so wichtig?
Jenny Bießmann: Viele Ratsuchende mit Behinderung kommen häufig mit der Anfrage „was passiert eigentlich, wenn ich ins Krankenhaus muss?!“ zu uns. „Ich bin ein Mensch mit hohem Assistenzbedarf und bekomme meine Assistenz über einen Dienst … Ich habe gehört, ich darf die Assistenz nicht mitnehmen!“ Dies ist beispielsweise eine häufige Anfrage an uns. Auch Menschen mit u.a. starken Kommunikationsproblemen haben große Angst ins Krankenhaus zu müssen, da dort meist mit ihnen umgegangen wird, als ob sie nicht zurechnungsfähig wären, da sich einfach keine Zeit genommen wird, um richtig zuzuhören. Aber natürlich kommen auch Angehörige von Menschen mit Behinderung und haben große Angst vor dem Thema Krankenhaus für ihre Angehörigen.
Da wir täglich mit diesen Anfragen zu tun haben, ist es für uns natürlich sehr relevant, dass hier endlich eine Besserung für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige gefunden wird. Wenn Angehörige aktiv die Begleitung ins Krankenhaus übernehmen, gibt es ja jetzt zum Glück schon Verbesserungen.
kobinet-nachrichten: Bei den Ausführungen von Horst Frehe, der die neuen Regelungen während des Seminars vorstellte, wurde deutlich, dass es im Hinblick auf den Personenkreis, der zukünftig Assistenz im Krankenhaus nutzen kann, noch erhebliche Lücken gibt. Welche sehen Sie dabei?
Jenny Bießmann: Leider ist im neuen Gesetz eine wichtige Personengruppe vergessen worden, nämlich Menschen mit hohem Assistenzbedarf, welche ihre Assistenz über ein Dienstleistermodell regeln oder über die Behandlungspflege im SGB V erhalten. Für diese Menschen ist es immer noch nicht möglich, die Assistenz mit ins Krankenhaus zu nehmen, da die Kostenträger weiterhin die Dienste für diese Tätigkeit im Krankenhaus nicht bezahlen werden. Gerade für Menschen mit einem hohen Assistenzbedarf ist es absolut wichtig, vertraute Personen um sich herum zu haben. Nur diese können adäquat und schnell handeln. Es soll hier natürlich nicht den Ärzten die Expertise abgesprochen werden, sondern die Menschen mit Behinderung wollen einfach weiterhin ihre Selbstbestimmung leben und nicht zwei Stunden auf jemanden warten, damit sie ein Glas Wasser bekommen oder neu gelagert werden können.
kobinet-nachrichten: Welche Verbesserungen würden Sie sich gerade angesichts der aktuellen Koalitionsverhandlungen in Sachen Assistenz im Krankenhaus wünschen?
Jenny Bießmann: Zum einen fordere ich natürlich eine Überarbeitung des Gesetzes für Assistenz im Krankenhaus, in dem auch Menschen mit hohem Assistenzbedarf im Dienstleistermodell sowie über die Behandlungspflege im SGB V ihre Assistenz mit ins Krankenhaus nehmen können. Dies könnte analog gestaltet werden, wie bei den behinderten Arbeitgeberer*innen.
Des Weiteren ist es natürlich immer noch ein großes Thema, wie mit der Begleitperson im Krankenhaus umgegangen wird. Viele bekommen häufig gar kein Essen oder Bett gestellt. Das muss sich ändern und politisch gewollt sein.
kobinet-nachrichten: Während des Seminars gab es Berichte über erhebliche Ängste behinderter Menschen, ins Krankenhaus zu müssen. Machen Sie ähnliche Erfahrungen in Ihrer Beratungspraxis?
Jenny Bießmann: Ja, Menschen mit Behinderung haben große Angst ins Krankenhaus zu kommen. Vor allem Menschen mit einem hohen Assistenzbedarf haben große Ängste jemals in ein Krankenhaus zu kommen, vor allem jetzt während der Corona-Pandemie. Die Vorstellung in einem Bett mit Schmerzen zu liegen, ohne das man gelagert wird oder etwas zu essen oder trinken bekommt, macht vielen Menschen große Angst. Aber auch der Druck, der von Ärzten ausgeübt wird, auf Menschen mit seelischen Hindernissen ist immer wieder Thema und bringt viele von ihnen auch immer wieder in die Bedrängnis, ob sie überhaupt einen Krankenhausaufenthalt in Erwägung ziehen, obwohl es der Gesundheitszustand unbedingt erfordern würde.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.