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Salz in die Wunden!

Der Hammer
Ein großer Hammer
Foto: Katja Greye

Hollenbach (kobinet) In Nordrhein-Westfalen schreibt ein Landschaftsverband folgende Bestimmung in eine Zielvereinbarung: „Mit der Auszahlung ist der Leistungsanspruch erfüllt; Nachzahlungen sind ausgeschlossen.“ Gemeint ist die Zahlung des Persönlichen Budgets.

In Bayern schreibt ein Bezirk in eine Stellungnahme zu einer Klage: „Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Ziel der steuerfinanzierten sozialen Fürsorgeleistungen der Schutz vor sozialer Ausgrenzung ist und hierbei auf die Lebensgewohnheiten abgestellt werden muss, die auch von der Bevölkerung in ‚bescheidenen Verhältnissen‘ geteilt werden (Urteil des Bayerischen LSG vom 26.02.2010, Az.: L 8 SO 55/09), so dass sich daraus eine ‚Grenze‘ des der Klägerin zustehenden Wunsch- und Wahlrechts ergibt.“

Vielerorts ist die Zeit stehen geblieben

Ein Kommentar von Kobinet-Redakteur Gerhard Bartz

Geben sich die beiden Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens und Bayerns in der Öffentlichkeit so gegensätzlich; in der Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen mit Behinderung eint sie und ihre Sozialverwaltungen jedoch das längst der Vergangenheit zugeordnete Denken.

Wie kommt ein Landschaftsverband dazu, unterstützungssuchende Menschen mit derartigen Klauseln so brutal einzuschüchtern. Auch Menschen mit behinderungsbedingtem Assistenzbedarf können nicht in die Zukunft schauen. Sie wissen nicht, ob sich der Bedarf erhöht, ob eine Krankheitswelle über das Assistenzteam hereinbricht, ob notwendige Neueinstellungen höhere Löhne erforderlich machen, damit die Lücke wieder aufgefüllt werden kann. Hinzu kommt, dass es sich in diesem Bereich nicht um Unternehmen, sondern lediglich um Betriebe handelt. Da es keine Gewinne geben kann, können keine Risiken übernommen werden. Der Rest der Zielvereinbarung ist ebenfalls gespickt mit eigenwilligen Interpretationen.

In Bayern gilt in den Köpfen der Sozialverwaltung nach wie vor der Gedanke, dass Behinderte der Gesellschaft nicht über Gebühr zur Last fallen dürfen. Das Zitat des Landessozialgerichtes war bereits 2010 völlig aus der Zeit gefallen. Schließlich galt damals schon der Artikel 3 des Grundgesetzes, wonach niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden darf. Dass sich dieses Denken in den Köpfen von Behördenangestellten so festgesetzt hat, dass es heute noch selbst in Stellungnahmen an ein Gericht wiederzufinden ist, wirft ein bezeichnendes Bild auf den sozialpolitischen Zustand des Freistaates.

Sozialgesetze geben nur vor, Regelungen für die Bürgerinnen und Bürger zu enthalten.

In Wirklichkeit begrenzen sie deren Rechte, die sehr oft direkt aus den allgemeinen Menschenrechten abgeleitet werden können. Die vielzitierte Personenzentrierung findet in aller Regel keine Anwendung, da offensichtlich nicht die Person im Fokus steht, sondern die Schonung diverser Etats.

Unter dem Deckmantel der Fürsorge bedroht das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz freilebende Menschen mit hohem behinderungsbedingtem Assistenzbedarf mit der Heimeinweisung. Dabei geht es mit hoher Wahrscheinlichkeit darum, den Bedarf in „Heimen“ zusammenzufassen und damit Synergieeffekte zur Kosteneinsparung zu nutzen. Auf die Tatsache, dass Freiheitseinschränkungen, die in solchen Anstalten zwangsläufig entstehen, wird keine Rücksicht genommen. Jens Spahn stellt dagegen in den Vordergrund, dass Missbräuche durch Pflegedienste verhindert werden sollen. Das sollte jedoch nicht damit erreicht werden, dass man vielen Menschen die Freiheit nimmt.

Die Assistenz im Krankenhaus für Menschen mit Behinderung hätte man – den Willen hierzu vorausgesetzt – einfach erreichen können. Der Hilfebedarf dieser Menschen ist als gegeben anzusehen, wenn sie diesen auch außerhalb der Klinik haben. In diesem Falle sollte der Mensch diesen Hilfebedarf, den die Klinik nicht kennt und weder personell noch finanziell decken kann, auch in der Klinik mit seinen eingearbeiteten Unterstützungspersonen decken können. Doch nun hat die Regierung bereits handwerklich fehlerhaften Gesetzen aus den Jahren 2009 und 2012 weitere unzulängliche Formulierungen hinzugefügt. Hier fehlt einfach der Wille des Gesetzgebers, eine wirkliche Regelung herbeizuführen. An den Kosten liegt es sicherlich nicht. Vermutlich eher daran, dass man Menschen mit Behinderung nicht zu schnell an die Menschenrechte heranführen dürfe.

Eine weitere Mogelpackung ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Es ist ein Gesetz zur Stärkung der Freiheit derer, die noch immer Barrieren aufbauen und darauf bestehen, solche aufrecht zu erhalten. Was nutzen Teilhabegesetze, wenn ihre Anwendung durch Barrieren eingeschränkt oder sogar verhindert wird. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Barrierefreier Wohnraum ist kaum vorhanden und wenn, dann sind es kleine Wohnungen, die noch nicht mal den rechtlich abgesicherten Raum für die Assistenz sicherstellen. Der dahinterstehende Gedanke ist sicherlich, dass man damit die Ansiedelung freilebender Menschen in der Kommune verhindert oder zumindest stark einschränkt. Mit einem echten bundesfinanzierten Leistungsgesetz wäre dieser Knoten binnen kurzer Zeit zerschlagen.

Und da ist dann auch noch das sogenannte Bundesteilhabegesetz. In diesem Gesetz gibt es noch immer Regelungen zur Einkommens- und Vermögenswegnahme, zum Poolen von Hilfen, zu Heimeinweisungen, zur Verfahrensherrschaft von Kostenträgern usw. Nicht umsonst wird es von behinderten Menschen mitunter als Bundesteilhabeverhinderungsgesetz bezeichnet.

Die Schikanen von Behörden und Sachverständigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind, wirken wie Salz in offene Wunden. Und immer stellen verzweifelte Menschen die Frage, warum dies nicht strafrechtlich geahndet werden kann. § 240 Abs 4 StGB: Nötigung in einem besonders schweren Fall liegt vor „wenn der Täter (… Nr. 2.) seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht.“ Anzeigen bei den Staatsanwaltschaften blieben erfolglos, da angeblich der sozialrechtliche Instanzenweg offensteht. Dass Menschen in Not keine Zeit haben, diesen Instanzenweg auszuhalten, interessiert niemand, selbst nicht das Bundesjustizministerium. Ganz zu schweigen, dass sich viele Menschen mit Behinderung eine gute anwaltliche Vertretung gar nicht mehr leisten können. So bleiben immer wieder Menschen auf der Strecke und sind sich dessen bewusst, dass dies seitens der Behörden genau so gewollt war.

Man sieht, dass sich unsere Gesellschaft die Illusion der Inklusion und die faktische Ausgrenzung nach wie vor sehr viel kosten lässt. Heerscharen von Verwaltungsangestellten, von Juristen, Sachverständigen, Pädagogen werden aufgeboten, um Menschen mit Behinderungen in den ihnen seit vielen Jahren scheinbar antrainierten bescheidenen Verhältnissen (um wieder auf das Urteil aus Bayern im Jahre 2010 zurückzukommen) festzuhalten. Die Frage ist doch, wer Menschen ohne Behinderung das Recht gibt, dem Rest die Menschenrechte zu verweigern? Nur, weil sie dafür bezahlen müssten? Oder deshalb, weil man es schon immer so gemacht hat?

Gibt es Hoffnung auf die neue Dreier-Koalition? Optimismus ist das Gebot der Stunde!