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Erinnerung an „Euthanasie“-Konferenz vor 80 Jahren

Dr. Martin Theben
Dr. Martin Theben
Foto: privat

Berlin (kobinet) Der Besucherdienst des Abgeordnetenhaus von Berlin erinnert in einem aktuellen Video unter dem Hashtag #AGHauspost an eine der dunkelsten Kapitel des Parlamentsgebäudes. Im heutigen Plenarsaal, damals als Haus des Fliegers bezeichnet, fand am 23. und 24. April 1941 eine Konferenz statt, in der die damaligen führenden Juristen des NS-Staates vom Reichsjustizminister Schlegelberger angewiesen wurden, Fälle von Ermordungen behinderter Menschen nicht zu verfolgen. Dieses Ereignis jährt sich nun zum 80zigsten mal in diesem Jahr. Der Chronist der kobinet-nachrichten, Dr. Martin Theben, erinnert in seinem Beitrag an die damalige "Euthanasie"-Konferenz und die weitere Entwicklung.

Bericht von Dr. Martin Theben

Der Besucherdienst des Abgeordnetenhaus von Berlin erinnert in einem aktuellen Video unter dem Hashtag #AGHauspost an eine der dunkelsten Kapitel des Parlamentsgebäudes. Im heutigen Plenarsaal, damals als Haus des Fliegers bezeichnet, fand am 23. und 24. April 1941 eine Konferenz statt, in der die damaligen führenden Juristen des NS-Staates vom Reichsjustizminister Schlegelberger angewiesen wurden, Fälle von Ermordungen behinderter Menschen nicht zu verfolgen.

Bis vor einem Jahr fehlte ein entsprechender Hinweis auf die Konferenz in der Dauerausstellung im Foyer des Berliner Parlaments. Dies war mir bereits aufgefallen, als ich schon 2015 einen Vortrag zur Geschichte der Behindertenbewegung auf einer Veranstaltung der damals im Abgeordnetenhaus vertretenen Piratenfraktion hielt. Der Hartnäckigkeit des behindertenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion Lars Düsterhöft und seiner damaligen Mitarbeiterin Lisa Reimann war es zu verdanken, dass dieses gleichermaßen bedeutende, wie bedrückende Ereignis nunmehr endlich seinen angemessen Platz in der Chronik der Geschichte des ehemaligen Preußischen Landtages gefunden hast.

Hier der Link zum Video

#AGHauspost​: Die Juristenkonferenz vom April 1941 (Folge 15) – YouTube

Und hier ein längerer Text zum Hintergrund der Konferenz, den ich schon vor sechs Jahren verfasst habe:

„Das Volk verlangt die Ausübung der Rechtspflege durch Richter seines Vertrauens. Es erinnert sich sehr wohl daran, dass das gelernte Richtertum als Einrichtung nur eine Folge der immer mehr zunehmenden Unübersichtlichkeit der Lebensverhältnisse und damit der Rechtsordnung war, dass der gelehrte Richter aber ebenso in der Volksgemeinschaft stehen muss wie der Volksrichter vergangener Zeiten. Fühlt der Richter sich nicht mit seinem ganzen Herzen dem Volke verbunden, so kann er den ihm vom Volk durch den Führer erteilten Auftrag, das Recht zu finden, nicht erfüllen. Der Richter soll Recht sprechen im Namen des Volkes. Hat sich die Weltanschauung in einem Volke so grundlegend und mit gefestigter Kraft gewandelt, wie in Deutschland nach dem Siege der Bewegung, so kann der Richter getreu seines Amtes nur walten, wenn er von dieser neuen Weltanschauung durchdrungen ist, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass nunmehr jede Norm des geltenden Rechts unter Berücksichtigung der im Parteiprogramm anerkannten Sittenordnung und Weltanschauung und dazu der massgebenden Willensäusserung ihres Schöpfers und berufensten Künders, des Führers, auszulegen und anzuwenden ist […] In Ihren mündlichen und schriftlichen Berichten, meine Herren, kehrt fortlaufend der Zweifel wieder, welche Bewandtnis es mit der Vernichtung unwerten Lebens hat. Sie berichten über unglaubliche im Volke herumschwirrendende Gerüchte, und Sie beklagten, dass Sie sich ausser Stande sähen, aufklärend zu wirken, weil Ihnen das Wissen der Dinge fehlt. Diese Klage ist begründet. Ich habe deshalb alsbald nach der Übernahme des Ministeramts Gelegenheit gesucht, mir selbst restlos Klarheit zu verschaffen, und ich danke auch an dieser Stelle dem Chef der Kanzlei des Führers, Reichsleiter Pg. Bouhler, für die eingehende Unterrichtung. Noch mehr aber danke ich ihm dafür, dass er sich bereit gefunden hat, durch seine ersten Sachkenner in dieser Versammlung die Aufschlüsse zu geben, die für die Amtsführung der Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte notwendig sind….“ [1]

Diese Worte stammen aus der Eröffnungsrede des damaligen kommissarischen Reichsjustizministers Franz Schlegelberger auf einer Konferenz, die am 23. und 24. April 1941 auf seine Einladung hin in Berlin abgehalten worden ist. Ziel dieser Konferenz war es, die Teilnehmer auf die massenhafte Vernichtung sog. lebensunwerten Lebens, also den Mord an Menschen mit Behinderungen, einzuschwören. Seit Beginn des sog. Euthanasieprogramms kam es immer wieder zu zahlreichen Nachfragen, Eingaben und auch Strafanzeigen. Diese Vorkommnisse sorgten in Kreisen der Justizbehörden und bei den Gerichten für große Unruhe. Insbesondere die Vormundschaft- und Nachlassgerichte sowie die Staatsanwaltschaften, als Vollstreckungsbehörde für Unterbringungsmaßnahmen, waren durch die häufige Zahl von Todesmeldungen stark verunsichert.

Franz Schlegelberger wurde am 23. Oktober 1876 in Königsberg/Ostpreussen geboren. Er war zunächst Staatsekretär im Reichsjustizministerium und übernahm 1941 bis April 1942 kommissarisch die Amtsgeschäfte seines Vorgängers Franz Gürtners. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt erhielt Schlegelberger von Adolf Hitler, so wie Reichskanzler Otto von Bismarck von Kaiser Wilhelm I nach dem Sieg über Frankreich und der Reichsgründung 1871, 1944 ein Gut im Werte von 100.000 Reichsmark. Im Nürnberger-Juristenprozess wurde Franz Schlegelberger zu lebenslanger Haft verurteilt, 1951 aber vorzeitig, wegen Haftunfähigkeit entlassen. Er lebte dann in Flensburg und verstarb dort am 14. Dezember 1970.

Sein jüngerer Sohn Hartwig Schlegelberger, geb. am 9. November 1913 war von 1943-1945 NS-Militärjurist in Berlin und wirkte als Ankläger an Todesurteilen wegen Wehrkraftzersetzung mit. Nach dem Krieg fungierte er von 1961-1963 als Finanzminister und von 1963-1971 als Innenminister des Landes Schleswig-Holstein. Ehrenamtlich amtierte Schlegelberger von 1970-1991 als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes des Landesverbandes Schleswig-Holstein. Er verstarb am 6. Oktober 1997 in Flintbek.

Nach den einleitenden Worten Schlegelbergers wurden die Konferenzteilnehmer sodann vom Leiter der Hauptabteilung II der Kanzlei des Führers Viktor Brack (er wurde im Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zum Tode verurteilt) und dem Leiter der medizinischen Abteilung der für die Euthanasiedurchführung eingerichteten Verwaltungszentrale in der Tiergartenstraße 4, Prof. Dr. Werner Heyde, über Organisation und Durchführung der Massentötungen informiert.

Dr. Heyde lebte nach dem Krieg unter dem falschen Namen Dr. Sawade in Flensburg. Er wurde jedoch enttarnt und aufgrund der Anklage des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer am 18. Februar 1964 – der ebenfalls von Fritz Bauer initiierte 1. Auschwitzprozess lief noch – mit anderen Mitangeklagten wegen seiner Beteiligung an der Euthanasie vor Gericht gestellt. Dr. Heyde entzog sich jedoch dem Prozess, indem er fünf Tage vorher am 13. Februar 1964 den Freitod wählte.

Eine Diskussion bzw. offenen Widerspruch der anwesenden Konferenzteilnehmer zu den vorgestellten Maßnahmen, bei denen es sich immerhin um den Präsidenten des Reichsgerichts Dr. Dr. h.c. Erwin Bumke, den Präsidenten des Volksgerichtshofes Dr. Otto Thierack, die beiden Oberreichsanwälte beim Reichsgericht und beim Volksgerichtshof sowie 8 Oberlandesgerichtspräsidenten und 7 Generalstaatsanwälte handelte, fand nicht statt. Auch von Dr. Roland Freisler, dem späteren Präsidenten des Volksgerichtshofes, der an der Konferenz als Staatsekretär des Reichsjustizministeriums teilnahm und in dieser Funktion etwa neun Monate später, am 20. Januar 1942, der berüchtigten Wannseekonferenz beiwohnte, sind kritische Anmerkungen zu den Massenmorden an Menschen mit Behinderungen (natürlich!) nicht überliefert. Die Konferenzteilnehmer wurden durch den kommissarischen Reichsjustizminister Franz Schlegelberger dann, auch in Form eines schriftlichen Erlasses, darauf hingewiesen, dass sie künftig derartige Strafanzeigen wegen der Morde unbearbeitet lassen sollten. In diesem Sinne hätten sie auch auf die ihnen nachgeordneten Dienststellen einzuwirken. Die Massentötungen sollten den Anschein des legalen erhalten.

Bekanntermaßen wurde die sog. Euthanasieaktion offiziell aufgrund der Predigt des Bischofs von Münster, August Clemens von Galen, und seiner Strafanzeige wegen Mordes gegen Unbekannt vom Juni 1941 aufgrund eines Führerbefehls im August 1941 offiziell beendet; freilich grassierte die sog. „wilde Euthanasie“ noch weiter.

Der Versuch Fritz Bauers, die überlebenden Konferenzteilnehmer wegen Beihilfe zum Mord anzuklagen, blieb jedoch erfolglos. Das zuständige Landgericht Limburg gab mit Beschluss vom 27. Mai 1970, Az.: 4 VU 8/65, dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Außerverfolgungssetzung statt.

Ort der Konferenz vom 23. und 24. April 1941 war das Haus des Fliegers im Preußischen Landtag. Etwas mehr als 58 Jahre später, am 29. April 1999, wurde an gleicher Stelle, im nunmehrigen Plenarsaal des Abgeordnetenhauses von Berlin das Landesgleichberechtigungsgesetz als erstes Antidiskriminierungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet.

[1] Dieses Zitat ist der Anschuldigungsschrift des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer vom 22. April 1965 (Az.: Js 20/63), GStA Frankfurt, Band VI, Blatt 36 ff. entnommen. Dieses Dokument ist abgedruckt in einem Tagungsband, herausgegeben von Hanno Loewy und Bettina Winter, NS-Euthanasie vor Gericht – Fritz Bauer und die Grenzen juristischer Bewältigung, Frankfurt am Main 1996, dort abgedruckt auf den Seiten 145 ff. Der Bericht über die Konferenz von Hans Christoph Schaefer findet sich auf Seite 133 ff. in dem Tagungsband.