Menu Close

Marco Rockert coacht zu Selbstbestimmung, Vielfalt und Akzeptanz

Porträt von Marco Rockert
Marco Rockert
Foto: ISL

Berlin/Ingelheim (kobinet) Marco Rockert arbeitet neben seinem Beruf als Coach und hat sich auf die Themen Motivation, Empowerment sowie die eigene Potenzialentwicklung spezialisiert. Den Perspektivwechsel und eine neue, selbstbestimmte Sicht auf Behinderungen zu wagen, ist seine Motivation, als Referent tätig zu sein. Zusätzlich dazu ist er Trainer im Bereich Gesundheit und Sport. Maria Trümper vom Projekt "CASCO – Vom Case zum Coach“ der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), das 2020 endete, führte mit ihm ein Interview über sein Wirken.



Das Projekt „CASCO – Vom Case zum Coach“ ist ein vierjähriges Projekt der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL), das 2020 endete. In dieser Zeit wurden insgesamt 32 Menschen mit Behinderungen zu fachlich qualifizierten Referent*innen für eine menschenrechtsbasierte Behindertenpolitik ausgebildet. Unter http://www.referenten-mit-behinderung.de/ kann man sie für Veranstaltungen, Seminare und Workshops buchen.

Maria Trümper: Lieber Marco, danke, dass du die Zeit für ein Interview finden konntest. Eine simple, aber wichtige Frage zuerst: Wie geht es dir?

Marco Rockert: Danke, mir geht es hervorragend, da ich meiner Passion als Empowerment- und Impuls-Coach folgen darf, andere Menschen dabei zu unterstützen, ihr Potenzial zu entdecken und zu leben. Schon immer war ich ein dankbarer Mensch, doch durch „die Corina“ – wie ich sie nenne – hat meine Dankbarkeit eine neue Dimension der Tiefe und größerer Wertschätzung bekommen. Zudem nehme ich den Alltag heute viel bewusster und mit einem anderen Verständnis dafür, was wirklich wichtig ist, wahr.

Maria Trümper: Du hast von 2018 bis 2019 an der CASCO-Weiterbildung teilgenommen – was hat dir gut an der Ausbildung zum CASCO-Referenten gefallen?

Marco Rockert: Die praxisnahen Themen, die wir als Teilnehmer*innen von einem Expertenteam vermittelt bekommen haben, und die Bedürfnisse aus dem Alltag der Teilnehmer*innen wurden hierbei mit eingebunden – somit wurde ein Rahmen für einen wertvollen und produktiven Austausch geschaffen. Daraus resultierte eine entspannte, respektvolle und lockere Atmosphäre, in der auch der Spaß nicht zu kurz kam. Dieses Zusammenspiel von der, manchmal trockenen, Theorie und der Praxis des Alltages – das alles im Teamwork – hat mir enorm gut gefallen.

Maria Trümper: Warum wolltest du CASCO-Referent werden?

Marco Rockert: Mein WARUM kommt aus meiner Gesundheitsgeschichte. Im Jahr 2014, als ich durch einen lebensbedrohlichen Vitalstoffmangel eine Schwerbehinderung erlitt, war mein sehnlichster Wunsch, einen Ansprechpartner zu haben, der meine damalige Lage verstehen, meine emotionale Verletzung nachvollziehen und mir bei den ganzen Anträgen und Dokumentationen helfen kann. Es war ein sehr mühsamer, nervenzehrender und demotivierender Kampf, der mich an den Rand der Verzweiflung und mich fast zum Aufgeben brachte. Herr Thomas Landini, Stabstelle Inklusion in der Weiterbildung im Weiterbildungszentrum Ingelheim, hat mich auf die Ausbildung zum CASCO-Referenten aufmerksam gemacht. Nach einem Telefonat mit der ISL in Berlin und Abgabe meiner Bewerbung durfte ich mit der Ausbildung starten.

Maria Trümper: Welche Themen sind deine Steckenpferde und warum?

Marco Rockert: Meine Herzensthemen erschließen sich aus meinen Erfahrungen als Fitness-Trainer vor meiner Schwerbehinderung heraus, den selbst erlebten Situationen als Schwerbehinderter im Alltag, im Austausch mit anderen Betroffenen und den Reaktionen meines Umfeldes. Hieraus erkannte, beziehungsweise erkenne ich, einen enormen Bedarf an Aufklärung und Programmentwicklungen speziell für Menschen mit Behinderungen und deren Umfeld. Ich referiere bevorzugt zu Themen, die gesellschaftliche Inklusion mit dem Umgang und der Wahrnehmung der eigenen Behinderungen verbinden, also zum Beispiel zu Motivation, ressourcenorientiertem Umgang, Lebensplanung, wie man seine Einschränkungen als Chance begreift, neue eigene Potentiale entfaltet und eine „Life-Balance“ entwickeln kann, also mental fit bleiben durch Bewegung – mit Körper, Geist und Seele.

Maria Trümper: Als Referent und Coach sprichst du bewusst aus der Perspektive deiner eigenen Erfahrungen heraus. Warum ist die Peer-Perspektive wichtig?

Antwort: Ein Selbstbetroffener spricht aus eigenen Erfahrungen und diese Selbsterfahrungen sind unschlagbar, denn diese authentischen Schilderungen entsprechen der Wahrheit in der Welt des Behindert-Seins. Zum Beispiel hat eine Mutter gegenüber einem Vater einen Expertenstatus beim „Kinder-kriegen“ und daran wird auch in keiner Weise gezweifelt, warum soll dann beim Thema Behinderungen Nicht-Behinderte das besser wissen können als Behinderte? Das finde ich wichtig zu betonen.

Maria Trümper: Welches behindertenpolitische Thema liegt dir am Herzen?

Marco Rockert: Inklusion in der politischen Bildung: Menschen mit Einschränkungen beziehungsweise Behinderungen einen größeren Zugang mit mehr Mitsprache in der Politik zu gewähren, ist der Brennstoff meines Tuns. Das Anders-Sein durch die Behinderung ist im Sinne der Vielfalt und im Zuge des demokratischen Wandels, aus meiner Wahrnehmung, eine riesengroße Chance für die gesamte Gesellschaft in einem verantwortungsvollen Füreinander.

Maria Trümper: Und welches Thema in Verbindung mit Behinderung benötigt mehr Aufmerksamkeit in der gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit?

Marco Rockert: Für mich sollten Themen wie „Stärkung/Förderung von Menschen mit Behinderungen für den ersten Arbeitsmarkt“ und „Weiterbildungsprogramme für Menschen mit Behinderungen“ (besonders in der Persönlichkeitsentwicklung) zukünftig ernsthaft und nachhaltig debattiert werden. Aufklärungsprogramme in Bezug auf Behinderungen und Alternativen für eine Gleichberechtigung in der Gesellschaft für die Zukunft gehörte schon längst auf den Tisch, es wird höchste Zeit. Menschen mit Behinderungen haben, aus meiner Wahrnehmung, eine Lösungsorientierung, die ausgeprägter als bei anderen Menschen ist. Ihrer Behinderung entsprechend bedarf es an Kreativität und Ideenreichtum, um den alltäglichen Herausforderungen gewachsen zu sein. Diese selbst entwickelte Lösungsstrategie kann auch sehr gut im normalen Arbeitsalltag eingesetzt werden, um neue Lösungen und Innovationen zu gestalten. Außerdem sehe ich den größten Aktionsbedarf im Bereich der Aufklärung, um den Irrglauben der Bevölkerung, dass Behinderungen eine „Krankheit“ sei, endlich zu beenden. Eine Zukunftswerkstatt als Bespiel mit Beteiligten aus den Bereichen selbstbetroffene Behinderte, Gesellschaft, Gesundheit und Politik wäre für mich realistisch vorstellbar, denn das Thema Behinderungen betrifft die komplette Bevölkerung, da es jeden Menschen treffen kann.

Maria Trümper: Welche Rolle spielen Menschenrechte in deinem privaten Leben und im Arbeitsalltag? Wo erfährst du durch deine Beeinträchtigung Diskriminierung und wirst an der Wahrnehmung deiner Menschenrechte behindert?

Marco Rockert: Menschenrechte spielen bei mir eine sehr große Rolle – privat wie beruflich. Ich respektiere und akzeptiere jeden Menschen genauso, wie er ist und ich biete lediglich unterstützende Hilfe, wenn ich die Erlaubnis dazu habe. Ich durfte jedoch schmerzhaft lernen, dass bei dieser Art von Akzeptanz noch ein großer Bedarf an Aufbauarbeit notwendig ist. Bei äußerlich erkennenden Behinderungen, bei mir beim Sprechen, ist es enorm schwer, sich auf die Menschenrechte zu beziehen – die Barriere im Kopf der Menschen ohne Behinderungen ist (noch) zu groß. Erschwerend kommt der Leistungs- und Zeitdruck hinzu, denen der Großteil von Nicht-Betroffenen den Menschen mit Behinderung überhaupt nicht zutrauen. Ein Mensch mit Behinderungen hat gelernt, um Hilfe zu bitten, was für die überwiegende Zahl an Menschen ohne Behinderung Überwindung kostet – wobei ich da wieder beim Thema „Behinderung als Chance“ angekommen bin.

Maria Trümper: Zum Schluss ist natürlich wichtig zu wissen, wo du deine Expertise weitergeben kannst. Ist eine Veranstaltung, bei dem du demnächst als Referent zugegen bist, geplant?

Marco Rockert:Ja, natürlich. Am 23.04.2021 findet der „Digitale Studientag gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung“ der Fridjof-Nansen-Akademie statt. Im Weiterbildungszentrum Ingelheim leite ich den Workshop „Inklusion versus Toleranz“. Mit der Stadt Ingelheim habe ich zusammen mit Herrn Thomas Landini (Stabstelle Inklusion in der Weiterbildung) das Projekt „Was ist Dein LOS?“ initiiert, um für Menschen mit Behinderungen eine größere Aufmerksamkeit zu erzielen. Hierzu sind einige Kampagnen in der Vorbereitung und Präsenzveranstaltungen werden im Mai 2021 infolge Corona umgestaltet. Als Referent in der politischen Bildung der Fridjof-Nansen-Akademie bin ich für weitere Workshops und Impuls-Vorträge vorgesehen.

Maria Trümper: Lieber Marco, danke für das Interview und deine persönlichen Erfahrungen und Ansichten, die du mit uns geteilt hast! Da wir ja eine CASCO-Interviewreihe sind: Welche*n CASCO-Referent oder Referentin möchtest du für das nächste Interview nominieren und warum?

Marco Rockert: Ich würde mich sehr auf ein Interview mit Anja Schneider freuen. Als alleinerziehende Mutter und mit Beeinträchtigung lebend, steht sie mitten im Leben – selbstbewusst, empathisch und lebensfroh mit absolut positiver Ausstrahlung. Anja blickt schon auf eine langjährige Vortrags- und Seminartätigkeit zurück und widmet sich auch besonderen Themen, z.B. Sexualität für Menschen mit Beeinträchtigungen. Mit ihren Stärken in der Kommunikation vermittelt Anja komplexe und schwierige Themen mit Witz und Leichtigkeit so, dass es jede*r verstehen kann. Diese Expertise nutzt Anja geschickt in ihrem alltäglichen Tun im Antragswesen und in Leistungsangelegenheiten. Diese Vielseitigkeit gepaart mit Anjas kompetenter Persönlichkeit finde ich äußert spannend und auf ihr Interview bin ich enorm gespannt.

Link zu weiteren Infos über Marco Rockert