Hannover (kobinet) Herr Friedrich war vor seiner Kopf-Operation Versicherungsberater. Es war eine seiner größten Stärken, auf Menschen zuzugehen. Es machte ihm Spaß, mit anderen Menschen zusammen zu arbeiten und sie auf ihren Weg zu begleiten. Passend zur derzeitigen Diskussion um Alternativen zur Werkstatt für behinderte Menschen und der Entwicklung einer Verordnung zur weiteren Förderung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstellen (EUTB) beschreibt er in einem Interview, wie er seinen Weg aus einer Werkstatt für behinderte Menschen zum noch ehrenamtlichen Peer-Berater in einer ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstelle (EUTB) eingeschlagen hat und diesen auch gerne hauptamtlich ausüben möchte . Kerstin Blochberger, die die Peer Counseling Weiterbildungen des Bildungs- und Forschungsinstituts zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) koordiniert, an der Herr Friedrich ab Sommer teilnehmen wird, sprach mit ihm über seine Erfahrungen.
Kerstin Blochberger: Nach der Operation mussten Sie vieles wieder neu erlernen. Einige Zeit haben Sie in der Reha und Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) verbracht. Wie war diese Zeit für Sie?
Herr Friedrich: Ich habe verschiedene Bereiche ausprobiert, wie Holzwerkstatt, Gartenbau, Näherei. Aber keiner der Bereiche hat etwas mit dem Beruf zu tun, den ich machen möchte und auch nichts mit dem, was ich vorher gemacht habe. Ich habe das Gefühl, dass ich dort unterfordert bin. Der Weg ist dort vorgezeichnet, wenn ich eigene Ideen vorbringe, werden die nicht ernst genommen. Irgendwie erscheint mir die Situation manchmal wie festgefahren. Meine eigene Meinung, darüber, was ich kann und machen möchte, wird oft von der WfbM ignoriert.
Kerstin Blochberger: Haben Sie auch gute Erfahrungen in der Sonderwelt der WfbM gemacht?
Herr Friedrich: Am Anfang war das auch gut so, aber ich habe mich in der Zeit weiterentwickelt. Ich versuche immer, neue Erfahrungen zu machen, die mich irgendwie auf meinen Weg weiterbringen können. Das Arbeitstempo bei der Werkstatt ist mir inzwischen zu langsam, ich werde nicht genug gefordert. Mein Gehirn wird in Watte gepackt und ich werde jeden Tag wie ein kranker Mensch behandelt. Wenn ich aber mal etwas nicht so gut kann, fördern mich meine Anleiter aber auch nicht richtig. Ich passe da eben in keine Schublade. Es steht die Werkstatt eher im Mittelpunkt, als die Menschen, die dort arbeiten. Dieser vorgezeichnete Weg macht mich nicht glücklich.
Kerstin Blochberger: Was hat Ihnen geholfen, aus der eingefahrenen Situation heraus zu finden?
Herr Friedrich: Ich habe Menschen um mich, zu denen ich sehr viel Vertrauen habe: neben Ärzt*innen ist das meine Familie, mein Sohn und meine EUTB Beraterin. Das sind Menschen, die mir zur Seite stehen. Diese Leute unterstützen mich bei allen Sachen, die ich machen möchte und behandeln mich wie einen ganz normalen Menschen, bei dem nicht jeden Tag die Krankheit an erster Stelle steht.
Kerstin Blochberger: Jetzt möchten Sie selbst Berater für Menschen mit Behinderung (Peer-Counselor) werden. Warum?
Herr Friedrich: Von einer Tätigkeit als Peer-Berater erhoffe ich mir, das Selbstwertgefühl wieder zu bekommen, das ich in meinem alten Beruf hatte. Eine Weiterbildung zum Peer-Counselor ist ein Schritt in die richtige Richtung. So habe ich die Möglichkeit, meine beruflichen Erfahrungen von früher und alle Erfahrungen, die ich jetzt auf meinem Weg gemacht habe, zu verbinden.
Meine Beraterin der EUTB hat mir diese Weiterbildung vorgeschlagen und damit bei mir sofort einen Nerv getroffen. Ich bin inzwischen ehrenamtlicher Berater in der EUTB und habe schon bei einigen Beratungen mitgeholfen. Außerdem habe ich so die Chance, eine normal bezahlte Arbeit zu finden und nicht auf die Werkstatt und eine ausschließlich unbezahlte ehrenamtliche Tätigkeit angewiesen zu sein.
Deshalb beginne ich im Sommer 2021 die Weiterbildung zum Peer-Counselor (ISL) und hoffe, danach auch eine hauptamtliche Stelle als Berater zu bekommen – in einer EUTB. Denn das Netz dieser kostenlosen, bundesweiten, ergänzenden und unabhängigen Beratung (EUTB) braucht noch mehr Menschen mit Behinderung, die aus eigener Erfahrung wissen, worauf es auf dem Weg aus der Sonderwelt hin zur Teilhabe in einer inklusiven Gesellschaft ankommt.
Kerstin Blochberger: Vielen Dank für Ihren persönlichen Einblick und alles Gute für Ihren weiteren Weg.