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Der 20jährige Nils Bollenbach will in den Bundestag

Porträt von Nils Bollenbach
Nils Bollenbach
Foto: privat

Barteheide (kobinet) Nils Bollenbach aus Bargteheide ist 20 Jahre alt, bekennt sich als schwul und hat eine Behinderung. In diesem Jahr will er für die Grünen Schleswig-Holstein auf dem aussichtsreichen Listenplatz 6 zur Bundestagswahl kandidieren. Christian Judith hat für die kobinet-nachrichten mit ihm über sein Engagement, seine bisherigen Erfahrungen und seine Pläne gesprochen.

Christian Judith: Du willst ja für den Bundestag kandidieren, warum machst du das?

Nils Bollenbach: Es geht mir im Großen und Ganzen um Gerechtigkeit! Die Rechte von LGBTIQ, von Menschen mit Behinderung (ich selbst habe Asperger-Autismus) können gar nicht angemessen vertreten sein, da diese Gruppen in allen Parlamenten schon immer unterrepräsentiert waren. Es ist aber eben ganz wichtig, dass unser Parlament endlich diverser wird, viele Teile der Bevölkerung sind schon jetzt nicht mehr ausreichend repräsentiert, fühlen sich von der Politik abgelehnt oder gar nicht erst angesprochen. Ich bringe da, denke ich, einiges mit, was dem entgegen wirken könnte.

Christian Judith: Warum glaubst du, dass du den Unterschied machen kannst?

Nils Bollenbach: Ich bin jung, schwul und behindert. Das sind schon drei Gruppen, die nachweislich nicht angemessen repräsentiert sind. Ich bin Kind aus einer Ost-West Ehe und weder meine Eltern, noch meine Großeltern haben einen akademischen Beruf erlernt. Ich selbst möchte später Kunst studieren. Menschen mit so einem Profil gibt es generell nur selten und erst recht nicht im deutschen Bundestag.

Christian Judith: Du sagst, du willst später Kunst studieren, warum machst du nicht erst das Studium und kandidierst dann für den Bundestag?

Nils Bollenbach: Weil ich nicht noch länger warten kann! Die Klimakrise steht vor der Tür, wir haben höchstens noch 14 Jahre, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Als Fridays for Future Aktivist habe ich viel Kompetenzen erworben. Im Umgang mit Menschen, in der Organisation verschiedenster Dinge, aber auch rein fachlich. Der Klimawandel wird eine große soziale Ungerechtigkeit mit sich bringen, die trifft dann wieder vor allem arme und behinderte Menschen. Gleichzeitig muss auch der Klimaschutz inklusiv gedacht werden, weil wir um ans Ziel zu kommen, alle Menschen brauchen.

Christian Judith: Das mag wohl stimmen, aber diese Themen könnten doch auch von einer etwas älteren Person mit mehr Erfahrung bearbeitet werden?

Nils Bollenbach: Bislang haben Ältere das aber nicht hinbekommen. Gerade beim Klima wurde einiges verpennt. Am Ende des Tages geht es darum, ein Volk angemessen zu vertreten, da spielt Alter meiner Meinung nach keine Rolle.

Christian Judith: Da sprichst du schon ein großes Thema von dir an, den Klimaschutz. Welche Themen beschäftigen dich noch, wofür möchtest du dich konkret stark machen?

Nils Bollenbach: Aus eigener Betroffenheit beschäftigen mich natürlich auch die Themen Inklusion in Schule und auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ich wäre selbst fast auf einer Förderschule gelandet, weil Lehrer meinten, es wäre das Richtige für mich. Heute habe ich Abitur, bin gesellschaftlich, gerade in meiner Partei, gut eingebunden und kann zu 100 % bestätigen, dass ich in einer Förderschule unterfordert gewesen wäre. Deshalb fordere ich die schnelle Schließung aller Förderschulen, welche eigentlich schon beschlossen ist, und mache mich für neue Systeme stark, in denen Bedarfe gefördert werden und Ausbeutung in Werkstätten gestoppt wird. Durch den engen Austausch mit meinen Großeltern, von denen zwei im Rollstuhl sitzen, weiß ich auch, wie es um die Barrierefreiheit in unserem Land steht. Kulturangebote sind nur selten zugänglich, gleiches gilt für Gaststätten, den ÖPNV und sogar die medizinische Versorgung. Inklusion muss uns künftig auf allen Ebenen gelingen.

Für die Queere Community gilt fast das gleiche, wir müssen weiterhin für Toleranz und Akzeptanz kämpfen. Auch hier ist die Gesundheitsvorsorgung, gerade für inter und trans Personen, mangelhaft. Schwule dürfen nach wie vor kein Blut spenden, ohne ein Jahr auf Sex zu verzichten. Das ist eine vom Staat ausgeführte Diskriminierung.

Christian Judith: Jetzt wird es persönlich, hast du selbst schon einmal Diskriminierungserfahrungen gemacht?

Nils Bollenbach: In der Schulzeit war ich vor allem mit Mobbing konfrontiert. Es war aber schon in der Grundschule so, dass für mich, aufgrund meiner Behinderung, z.B. bei Ausflügen etc. andere Regeln galten. Bei Ausflügen ins Theater durfte ich z.B. nicht bei den anderen Kindern sitzen, sondern nur direkt neben der Lehrkraft. Auch wurde ich sehr oft vom Unterricht ausgeschlossen. Damals hatte ich noch keine Diagnose, was die Sache auch für die Lehrkräfte nicht leicht gemacht hat. Jedoch hat man sich auch gar nicht darum bemüht, zu schauen, woran mein Verhalten liegt. Es wurde alles nur mit einem schlechten Umgang im Elternhaus erklärt. Eine Frechheit und ein Vorwurf, der nicht nur meinen Eltern gemacht wurde und wird, sondern vielen Familien mit autistischen Kindern. Die gesamte Gesellschaft muss viel stärker für nicht sichtbare Behinderungen sensibilisiert werden.

Christian Judith: Du bist ja auch von der Intersektionalitat betroffen, weil du schwul und behindert bist, die anderen Eigenschaften mal weg gelassen, welche Auswirkung hat das?

Nils Bollenbach: Ich glaube, dass ich dadurch leider eine viel größere Zielscheibe für Angriffe biete. Über das Mobbing hatte ich ja gerade schon gesprochen. Gleichzeitig sehe ich darin aber auch eine Kompetenz, da ich gelernt habe, Themen intersektional zu denken. Gerade die Felder Homosexualität und Behinderung vereinen ja eben auch das gemeinsame Ziel, nach Offenheit, Toleranz und Gerechtigkeit.

Christian Judith: Wo siehst du deine persönlichen Stärken?

Nils Bollenbach: Ich glaube, durch meine Behinderung rationalere Entscheidungen treffen zu können und habe parallel eben für Vieles gelernt, Verständnis zu haben. In meiner Familie gibt es sehr viele Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen, daraus ziehe ich sehr viele Kompetenzen.

Christian Judith: Du hast deine Behinderung eben ja schon angesprochen und bist ja bekannt als Fridays for Future Aktivist. Greta Thunberg hat ja auch Autismus, welche Bedeutung hat sie für dich?

Nils Bollenbach: Greta hat mir persönlich erst Mut gemacht, zu meiner Behinderung öffentlich zu stehen. Jahrelang haben die Medien ein Bild suggeriert, welches wie bei vielen Behinderungen mit Schwäche und Inkompetenz gleichgesetzt wurde. Greta hat ganz klar das Gegenteil bewiesen. Mir ist durch sie bewusst geworden, dass das Verstecken der falsche Weg ist. Auch ich kann und will ein Vorbild sein.

Christian Judith: Würdest du Autismus dann eher als Stärke oder Schwäche einschätzen?

Nils Bollenbach: Eine schwer zu beantwortende Frage. Wie viele Menschen mit Autismus verfüge auch ich über eine überdurchschnittliche Intelligenz. Durch jahrelange Therapie und einen enormen Ehrgeiz konnte ich gut lernen, mit meiner Behinderung zu leben. Die wahren Probleme bestehen vor allem im Alltag und im Privaten.

Christian Judith: Greta erfährt, gerade von Rechtspopulisten, ja auch viel Hass, wie gehst du damit um?

Nils Bollenbach: Tatsächlich wurde ich damit vor kurzem erst in einem Insta-Live mit der ebenfalls behinderten Grünen Europa Abgeordneten Katrin Langensiepen konfrontiert und wie anfangs schon erwähnt, biete ich ja auch jede Menge Angriffspunkte. Ich werde mich aber nicht verstecken. Wir Demokrat*innen sind immer noch in der Mehrzahl und müssen endlich auch anfangen, lauter zu werden.

Christian Judith: Was erwartest du dir speziell von deiner Partei, von den Grünen?

Nils Bollenbach: Ich erwarte von den Grünen, dass sie ihr Vielfalts Statut ernst nehmen und gerade jetzt die Liste zur Bundestagswahl divers besetzen. Wie am Anfang erklärt, läuft uns einfach die Zeit davon und es wäre eine Schande, wenn wieder kaum junge, schwule, behinderte Personen ohne Jurastudium ins Parlament gewählt werden.

Christian Judith: Eine letzte Frage noch, glaubst du, du bist Vielfalt?

Nils Bollenbach: Ich glaube Vielfalt sind wir alle zusammen. Auf die Kombi kommt es an. Dadurch, dass ich selbst mehreren Minderheiten angehöre und Diskriminierungserfahrungen gemacht habe, kann ich aber zumindest verstehen, was es bedeutet und worauf es ankommt. Ich würde im Bundestag jeden Tag für Achtung, Respekt und Wertschätzung aller Menschen einstehen und für noch mehr Vielfalt auf allen Ebenen einstehen.

Link zur Internetseite von Nils Bollenbach