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Nieder-Olm (kobinet) Gracia Schade hat im Rahmen ihres Journalismus-Lehrgangs bei verschiedenen Akteur*innen nachgehakt, was Persönliche Assistenz konkret bedeutet und welche Vor- und Nachteile dieses bringt.
Bericht von Gracia Schade
7 Uhr morgens, bei Viola Kirch, 53 Jahre, klingelt der Wecker. Doch statt direkt aufzustehen, lauscht sie angespannt, ob sich ihre Wohnungstür öffnet und ihre Assistentin Nora Weld (Name geändert) kommt. Viola Kirch braucht Assistenz, um das Bett zu verlassen. Aufgrund einer Spastik, die sich auf Arme und Beine auswirkt, benötigt sie bei fast allen alltäglichen Handgriffen Unterstützung durch andere. Wenn die Assistenz pünktlich da ist, dauert es rund drei Stunden vom Aufstehen, bis Viola Kirch fertig in ihrem Elektrorollstuhl sitzt. Dann verlässt sie das Haus und steigt in ihr behindertengerechtes Auto ein, das Fahren übernimmt die Assistenz.
Viola Kirch arbeitet als Beraterin im ZsL Mainz e.V.. Dort unterstützt sie andere, oft auch bei Anträgen auf Assistenz. Auf die Frage, warum sie sich für die selbstorganisierte Assistenz in Form des Arbeitgebermodells entschieden hat, antwortet sie: „Ich will zu 100 % selbst entscheiden, wer wann für mich arbeitet. Nur so kann ich ein wirklich selbstbestimmtes Leben führen. Pflegedienste schicken ihre Kräfte, wenn es in den Dienstplan passt. Auch bei Assistenzdiensten muss ich zu viele Kompromisse eingehen.“ Der Nachteil ist, dass es viel Organisationstalent und hohe Anleitungskompetenz bedarf, damit es gut funktioniert. Fällt eine Assistenz kurzfristig aus, muss Viola Kirch spontan Urlaub nehmen.
Jan Reifenberger hat viele Jahre als Assistent gearbeitet. Erst im Zivildienst, dann parallel zum Studium. Sein Fazit: „Ich habe die Arbeit gerne gemacht, an die Aufgaben habe ich mich schnell gewöhnt, da hatte ich keine Berührungsängste. Eine Herausforderung ist sicherlich der Rollenwechsel. Wann nehme ich mich komplett zurück und respektiere die Privatsphäre meines Arbeitgebers, und wann kann ich mich an Gesprächen beteiligen. Es ist ein Arbeitsverhältnis, bei dem ich zwangsläufig viel über meinen Arbeitgeber erfahre, umgekehrt aber nicht. Mir hat der Job gezeigt, dass mit der richtigen Unterstützung und den passenden Menschen im Prinzip alles möglich ist.“ Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Assistenz kann zwischen freundschaftlichem Miteinander und einer sehr distanzierten Arbeitsbeziehung variieren. Das muss zwischen den beiden zu Beginn der Arbeit geklärt sein, um Missverständnisse zu vermeiden. Jan Reifenberger sagt: „Man braucht viel Empathie und ein gutes Einfühlungsvermögen als Assistent. Dafür lernt man auch viel in dem Job. Schade, dass es für diese Fertigkeiten bislang kein Zertifikat gibt.“
Im Büro angekommen, hilft die Assistentin Viola Kirch bei allen Bürotätigkeiten wie Ordner anreichen, Notizen bei Beratungsgesprächen anfertigen und Computerarbeiten. Nach Dienstende stehen oft noch Therapien auf dem Programm. Schwierig wird es, die Dienste einzuteilen, wenn berufliche Abendtermine stattfinden, denn eigentlich endet die Arbeitszeit der Assistenz um 20:30 Uhr. Kochen, Besuche von Freunden und der Haushalt sind Tätigkeiten für die freien Tage. Auf die Frage, was die größte Herausforderung im Arbeitgebermodell ist, antwortet Viola Kirch: „Personal zu finden, meine Mitarbeiter müssen bestimmte Dinge können, und ich muss ihnen absolut vertrauen können. Es kommt vor, dass sie für mich Bankgeschäfte erledigen. Schwierig wird es, wenn sie Handgriffe, wie Spülmaschine ausräumen, verweigern, weil sie keine Lust dazu haben. Ich bestimme was, wann gemacht wird. Die Assistenz ersetzt lediglich meine Arme und Beine.“
Mit der Rheinassistenz hat Lukas Krause einen Dienstleister gegründet, der die Freiheiten des Arbeitgebermodells mit Zuverlässigkeit, Sicherheit und Service vereinbaren will. Er selbst lebt seit vielen Jahren auch mit Assistenz. Lukas Krause erzählt: „Ich kannte viele Menschen mit Assistenzbedarf, die mit ihren Anbietern unzufrieden waren, ich war überzeugt, das geht besser. Wir Menschen mit Behinderung sind Experten in eigener Sache, wir brauchen niemanden, der uns sagt, wie wir uns waschen sollen.“ Assistenzdienstleister leiden unter struktureller Benachteiligung. Gleichzeitig tragen sie ein hohes Risiko in Sachen Haftung und Arbeitsschutz. Wenn ein Kunde längerfristig ausfällt, müssen dessen Assistenten weiterbezahlt werden, das kann zu einer großen wirtschaftlichen Belastung werden. Lukas Krause sagt: „Eine Gelingensbedingung für den Erfolg ist, gutes Personal zu haben. Das ist besonders in den Zeiten der Corona-Pandemie eine große Herausforderung. Viele haben Angst in privaten Haushalten zu arbeiten, obwohl wir Schutzausrüstung zur Verfügung stellen.“
Unabhängig davon, welches Modell man nutzt, ist es weiterhin schwierig, die Kostenübernahme der nötigen Assistenzstunden zu erhalten. Doch nur damit kann das Leben in einer Einrichtung vermieden werden. Gerlinde Busch, Leiterin der Teilhabeberatung im ZsL Mainz sagt dazu: „Auch mit der neuen Gesetzgebung ist kein Teilhaberecht entstanden. Assistenzleistungen zählen weiterhin zur Sozialhilfe und sind einkommens- und vermögensabhängig.“
Assistenz ist genauso vielfältig, wie die Menschen, die sie brauchen. Beispielsweise benötigen gehörlose Menschen Assistenz zur Kommunikation und blinde Menschen zur Orientierung. Der Unterstützungsbedarf beschränkt sich bei einigen Menschen mit Behinderung auf die Assistenz am Arbeitsplatz. Wünschenswert ist ein Abbau der Bürokratie bei der Antragstellung, und dass die Bewilligung von Assistenz dem jeweiligen Bedarf entspricht. Selbstbestimmt Leben muss ein Menschenrecht sein.