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Gleiche Arbeit muss auch gleich bezahlt werden

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Foto: ht

Berlin (kobinet) Seit dem 1. Juli 2019 werden Assistent*innen, die im Arbeitgeber*innenmodell bei assistenzbedürftigen Menschen in Berlin direkt angestellt sind, schlechter bezahlt als Assistent*innen, die beim Verein ambulante dienste und Neue Lebenswege gGmbH angestellt sind. Und das, obwohl die während der Arbeit geleisteten Tätigkeiten völlig identisch sind. Das berichtet Birgit Stenger von der Arbeitsgemeinschaft für selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen (ASL) in Berlin. Sie fordert: Gleiche Arbeit muss auch gleich bezahlt werden.

Dies beruhe darauf, dass die Mitarbeiter*innen der beiden größten Berliner Assistenzdienste in Zusammenarbeit mit ver.di einen Haustarifvertrag abschließen konnten. Dieser Haustarifvertrag sehe vor, dass die Assistenzkräfte nach Entgeltgruppe 5 des Tarifvertrags der Länder (TV-L) entlohnt werden. Grundlage dieser Eingruppierung sei ein Gutachten von ver.di, berichtet Birgit Stenger. Gemäß des Bundesozialgerichtsurteils, nach dem Vergütungen auf Grundlage eines Tarifvertrags als angemessen gelten, konnten die Assistenzdienste mit den Pflegekassen einen entsprechend hohen Vergütungssatz aushandeln.

„Bis zum Abschluss dieses Haustarifvertrags wurden alle Assistent*innen in Berlin – also sowohl diejenigen, die bei den Assistenzdiensten angestellt waren, als auch diejenigen, die bei behinderten Arbeitgeber*innen angestellt waren – nach TV-L-Entgeltgruppe 3 entlohnt. Mit dem bisherigen Kostensatz war es jedoch nur für behinderte Arbeitgeber*innen möglich, Zuschläge (für Nacht-, Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit) und Sonderzahlungen in voller Höhe auszuzahlen. Mit dieser „Besserstellung“ wurde die Tatsache honoriert, dass die Assistent*innen im Arbeitgeber*innenmodell eine größere Verantwortung tragen und überdurchschnittlich zuverlässig sein müssen. Das Team muss alle Krankheits- und Urlaubsvertretungen abdecken. Anders als bei den Assistenzdiensten steht kein Bereitschaftsdienst zur Verfügung, der ‚von außen‘ bei Krankheit eines Teammitglieds einspringen kann. Seit dem Abschluss des Haustarifvertrags hat sich diese Besserstellung in eine Benachteiligung umgewandelt“, schildert Birgit Stenger die Situation.

Die zuständige Senatsverwaltung sei dem Bericht zufolge nicht bereit, den behinderten Arbeitgeber*innen den nötigen Geldbetrag zu bewilligen, damit sie ihre Angestellten ebenfalls nach Entgeltgruppe 5 entlohnen können. Unter dieser Voraussetzung würden behinderte Arbeitgeber*innen keine Assistent*innen mehr für sich gewinnen können. „Erste Assistent*innen, die bei behinderten Arbeitgeber*innen beschäftigt waren, haben gekündigt und sind zu den beiden großen Berliner Assistenzdiensten gewechselt. Wer will sich schon darauf einlassen, eine größere Verantwortung und Zuverlässigkeit an den Tag legen zu müssen als unbedingt nötig – und dafür noch durch geringere Entlohnung ‚bestraft‘ zu werden?“ fragt Birgit Stenger.

Diese Weigerung der Senatsverwaltung sei nach Ansicht der ASL weder inhaltlich noch finanziell nachvollziehbar. Bisher galt, dass die Kalkulation, welche die behinderten Arbeitgeber*innen jährlich erstellen müssen, den Betrag nicht überschreiten darf, den die Dienste für die entsprechende Leistung erhalten würden. Selbst wenn die behinderten Arbeitgeber*innen ihre Assistent*innen gemäß Entgeltgruppe 5 bezahlen würden, würde dieser Betrag nicht überschritten werden. „Ganz im Gegenteil: Allein bei den 10 behinderten Arbeitgeber*innen, für die die ASL die jährlichen Kalkulationen erstellt, ergäbe sich eine jährliche Einsparung von 1.231.312,15 € gegenüber der Inanspruchnahme eines Assistenzdienstes. Das heißt, wenn alle behinderten Arbeitgeber*innen ihre Assistenz über Assistenzdienste beziehen würden, hätte das Mehrausgaben in Millionenhöhe zur Folge. Assistenzbedürftige Menschen haben als behinderte Arbeitgeber*innen eine deutlich höhere subjektive Lebensqualität: Sie müssen keine Pflegedokumentation führen und können ihre Assistent*innen völlig frei wählen. Bei einem Assistenzdienst können assistenzbedürftige Menschen nur aus dem Pool der Angestellten wählen“, ist Birgit Stenger überzeugt.

Aus den genannten Gründen sei das Arbeitgeber*innenmodell eine Win-Win-Situation – für behinderte Arbeitgeber*innen einerseits und für die Senatsverwaltung anderseits. Trotzdem tue die Senatsverwaltung durch die Verweigerung einer gleichen Bezahlung alles dafür, das Arbeitgeber*innenmodell auszutrocknen. Darum rufen die ASL alle, die sich mit behinderten Arbeitgeber*innen solidarisieren wollen zu Protestaktionen gegen die zuständige Senatorin bzw. den zuständigen Staatssekretär auf. Aktionsvorschläge seien herzlich willkommen, heißt es im Bericht von Birgit Stenger.

Kontakt:

Arbeitsgemeinschaft für selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen – ASL e.V.

Email [email protected]