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Soziales und inklusives Konjunkturpaket angemahnt

Horst Frehe vor dem ISL-Logo
Horst Frehe vor ISL Logos
Foto: Franziska Vu ISL

Berlin (kobinet) Die eigentlich positiven und ambitionierten Maßnahmen im Rahmen des Konjunkturprogramms der Bundesregierung zur Corona-Pandemie bekommen nach Ansicht der Interessenvertretung Selbstbetimmt Leben in Deutschland (ISL) einen bitteren Beigeschmack, da behinderte Menschen und deren inklusive Teilhabe, in diesem Maßnahmenpaket kaum Berücksichtigung finden.

„Zur Bewältigung der unmittelbaren und längerfristigen Folgen der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung Anfang Juni ein umfangreiches Maßnahmenpaket verabschiedet. Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Wirtschaft zu stärken, Arbeitsplätze zu erhalten, soziale Härten abzufedern, Länder und Kommunen im der Krisenbewältigung zu stärken und insbesondere junge Menschen und Familien zu unterstützen. Diese positiven und ambitionierten Maßnahmen bekommen jedoch einen bitteren Beigeschmack, da behinderte Menschen und deren inklusive Teilhabe, in diesem Maßnahmenpaket kaum Berücksichtigung finden“, heißt es in einer Presseinformation der ISL.

„Die Maßnahmen sehen vor, dass im Bereich der Bildung, der öffentlichen Verwaltung und im Zulassungs- und Vergaberecht, schnellstmöglich Fortschritte durch entsprechende Investitionen und unbürokratische Lösungen erzielt werden sollen. Schul-, Hochschul- und Berufsbildung sowie alle behördlichen Angelegenheiten sollen für den einzelnen digital und unkompliziert nutzbar sein. Bei all diesen Vorhaben ist von behinderten Menschen und Barrierefreiheit keine Rede. Es sollten beispielsweise flächendeckend Schulungen zur Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung unter Einbeziehung der Betroffenengruppen geschaffen werden. Die neue Corona-Warn-App und das letzte Amtsblatt auf Altpapier muss digital für alle zur Verfügung stehen“, heißt es vonseiten der ISL weiter.

„Hier wird wieder einmal deutlich, dass wir behinderte Menschen weiterhin behindert und exkludiert werden, da wir in den Ambitionen der Bundesregierung zum digitalen Fortschritt überhaupt nicht mitgedacht werden,“ kritisiert Horst Frehe, Vorstandsmitglied der ISL. Alle Förderrichtlinien von Bund und Länder müssten an Mindestanforderungen für Barrierefreiheit gekoppelt werden und in allen Bereichen gewährleistet werden. Private Anbieter von Waren und Dienstleistungen müssten endlich zügig zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. Weiter appelliert Horst Frehe: „Dabei bietet gerade die Digitalisierung ein unerschöpfliches Innovationspotenzial, das Barrierefreiheit und Teilhabe für behinderte Menschen geradezu verlangt und fordert. Berufliche, schulische und kulturelle Inklusion könnten wachsen und uns behinderte Menschen als Akteur*innen und Konsument*innen in all diesen wichtigen Bereichen Chancengleichheit und Inklusion ermöglichen.“

Auch in Bezug auf die Selbstbestimmung behinderter Menschen verpasse der Maßnahmenkatalog eine wichtige Gelegenheit. Gemeinnützige soziale Unternehmen, wie beispielsweise soziale Inklusionsunternehmen, würden durch Kredithilfen unterstützt, behinderte Menschen als individuelle Arbeitgeber*innen, die im Rahmen der persönlichen Assistenz, Assistentinnen und Assistenten beschäftigen, blieben jedoch völlig außen vor und müssen weiterhin ihre Beschäftigten knapp über Mindestlohnniveau entlohnen. Glaube man den Bekenntnissen der Bundesregierung, hätte eine Absicherung der tariflichen Bezahlung der Assistent*innen vorgesehen werden müssen. Die Förderung gemeinnütziger sozialer Unternehmen sei ein Schritt in die richtige Richtung, um Arbeitsplätze zu erhalten, einer wirksame und ernstgemeinte selbstbestimmte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, trage diese Maßnahme jedoch keinesfalls Rechnung.

Das Maßnahmenpaket sei nach Ansicht der ISL, wenn überhaupt, gezeichnet von dem Jargon der Behindertenhilfe und lässt behinderte Menschen als selbstbestimmte, mitgedachte und inkludierte Gesellschaftsgruppe größtenteils außen vor. Um wirksame gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu erreichen, bedürfe das Maßnahmenpaket dringender Nachbesserungen, z.B. durch eine Finanzierung sozialer Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, die seit Wochen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen waren und noch sind, die der Gesetzgeber gemeinsam mit den Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen, erarbeiten und beschließen müsse.

Die ISL erwartet daher von der Bundespolitik, dass sie Inklusion, Selbstbestimmung und Barrierefreiheit als handlungsleitende Prinzipien des Maßnahmenpaketes begreift, die in den Maßnahmen ihren Niederschlag finden müssen. Zeitnaher Dialog und Tatkraft seien dringend geboten, um diese wichtige und zukunftsweisende Chance nicht verstreichen zu lassen. Denn hier werde sich zeigen, ob die UN-Behindertenrechtskonvention auch in Krisenzeiten ihre Wirkung entfalten kann.