
Foto: BIZEPS
Wien (kobinet) Martin Ladstätter von BIZEPS, dem Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen in Wien, hat in der Corona-Krise erschreckt, wie schnell Grundrechte in einer allgemeinen Panik außer Kraft gesetzt und wie extrem schnell verfassungswidrige Gesetze (wenn auch zeitlich befristet) beschlossen wurden. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit dem Menschenrechtsaktivist, der sich auch mit einem Video an der bundesweiten Online-Kundgebung zum Europäischen Protesttag für die Gleichstellung behinderter Menschen beteiligt hat, wie es ihm in Corona-Zeiten geht und was ihn bewegt.
kobinet-nachrichten: Wie geht es Ihnen in Corona-Zeiten und wie hat sich Ihr Leben in dieser Zeit verändert?
Martin Ladstätter: Anfang März 2020 ging alles ziemlich schnell. Zuerst berichteten die Medien von vielen Erkrankten in Italien und den ersten Toten. Wenige Tage später wurden die Vorfälle in Tirol öffentlich und dann war schnell klar, dass ein Corona-Lockdown in ganz Österreich erfolgt. Seit 16. März 2020 ist unser Beratungszentrum BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Home-Office; seit 12. März habe ich meine Wohnung nicht mehr verlassen.
Persönlich erschreckt hat mich, wie schnell Grundrechte in einer allgemeinen Panik außer Kraft gesetzt wurden und wie extrem schnell auch verfassungswidrige Gesetze (wenn auch zeitlich befristet) beschlossen wurden. Plötzlich nicht mehr die Wohnung verlassen zu können, ist nach mehreren Wochen schon sehr anstrengend. Ich hoffe, dass ändert sich bald.
kobinet-nachrichten: Welche Gedanken beschäftigen Sie besonders in dieser Krise? Was treibt Sie um?
Martin Ladstätter: Im Behindertenbereich zeigen sich in der Krise meiner Erfahrung nach die gleichen Probleme, wie bei der „Normalität“. Behinderte Menschen werden häufig bei Plänen nicht mitgedacht. Der Unterschied in der Krise ist allerdings, dass dies zu gravierenden Auswirkungen führt. Die Behindertenfeindlichkeit als unterschwellige Tendenz der Gesellschaft zeigt sich in der Krise weniger weichgewaschen und dadurch deutlicher. Da wird im Rahmen der Triage gleich pauschal ein Behandlungsrecht diskutiert oder behinderte Menschen in Heimen nicht nur betreut, sondern buchstäblich eingesperrt. Derzeit wird überlegt, flächendeckend behinderte Menschen in Einrichtungen zu testen, was ohne Einwilligung rechtswidrig wäre.
kobinet-nachrichten: Deutschland öffnet sich nun langsam wieder nach dem weitgehenden Stillstand vieler Bereiche des öffentlichen Lebens. Wie sieht das in Österreich aus und wie funktioniert’s?
Martin Ladstätter: Der Prozess des langsamen Hochfahrens hat in Österreich schon schrittweise begonnen. Immer unter genauer Beobachtung der Entwicklungen. Bisher funktioniert es gut. Während Geschäfte recht schnell wieder hochgefahren sind, ist dies bei Dienstleistungen im Behindertenbereich noch völlig unklar. Man gewinnt teilweise sogar den Eindruck, dass es manchen Kostenträgern gar nicht unangenehm ist, wenn Dienstleistungen einfach nicht angeboten werden und daher nicht finanziert werden müssen.
kobinet-nachrichten: Am 5. Mai waren Sie mit einem Beitrag bei der Online-Kundgebung zum europäischen Protesttag für die Gleichstellung behinderter Menschen vertreten. Wie fanden Sie diese corona-bedingte Anpassung des Protests?
Martin Ladstätter: Die 29. Abhaltung des schon seit 1992 durchgeführten Protesttages war ein kraftvolles Zeichen und fand auch große Resonanz innerhalb der Bewegung. Es war mir eine Freude auch ein Video beisteuern zu dürfen.
Es ist toll gewesen zu sehen, was innerhalb kürzester Zeit ermöglicht wurde. Ein Aspekt fiel allerdings heuer weg. Der Protest war ziemlich ohne Öffentlichkeit JENSEITS unserer Community. Es macht einen Unterschied, ob eine Gruppe behinderter Menschen an einem öffentlichen Platz präsent ist oder ob sie sich nur untereinander vernetzen und die Allgemeinheit dies kaum mitbekommt.
kobinet-nachrichten: Gab es Aktivitäten in Österreich?
Martin Ladstätter: Heuer haben wir uns kraftvoll am Protesttag beteiligt und BIZEPS hat zur Teilnahme aufgerufen. Es gab eine Reihe von Aussendungen, Texte, Videos. Schauen wir ob nächstes Jahr – immerhin mit dem 30. Protesttag ein runder Geburtstag – nicht noch mehr geht!
kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, welche wären dies derzeit?
Martin Ladstätter: Einerseits ein Umsetzungsplan, wie wir das Prinzip der Inklusion möglichst gut in die Gesellschaft implementieren können. Andererseits eine zündende Idee, wie wir das nun trotz deutlich weniger finanzieller Ressourcen schaffen.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.