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Wenn eine Krise die Barrieren verstärkt

Markus Ertl
Markus Ertl
Foto: privat

Lenggries (kobinet) Markus Ertl fordert die politisch Verantwortlichen auf, Barrierefreiheit endlich ernst zu nehmen. Die Corona-Krise offenbare nun deutlich, wo die bisherigen Barrieren zu sehr großen Problemen für die Betroffenen mutieren, so der Inklusionsbotschafter und Sprecher für Barrierefreiheit der Interessensvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL).

„Viele von uns Menschen mit Behinderungen wurden vor der Krise oft von vielen Bereichen des Lebens ausgeschlossen oder mussten durch Hilfestellungen, durch große Umwege, durch Verzicht auf Teilhabe auf die unerträglichen Barrieren reagieren. Schon lange vor der Inkraftsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention haben sich Deutschland und alle Bundesländer in deren Gesetzen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zur Barrierefreiheit bekannt. Da sollte es doch nach fast 20 Jahren selbstverständlich sein, dass in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens alle teilhaben können sollten, ja sollten“, erklärte Markus Ertl.

Doch es fehle vorne bis hinten die faire Chance der Teilhabe, im öffentlichen und auch im privatwirtschaftlichen Bereich, besonders jetzt in Krisenzeiten. Sehr sichtbar sei dies nach Ansicht von Markus Ertl vor allem bei der Dolmetschung in Deutsche Gebärdensprache von wichtigen Bekanntmachungen über die Maßnahmen zur Krise. Erlebten Gehörlose dies zum Beispiel in Italien, Spanien, England oder auch den USA schon weit vor der Krise als selbstverständlich, müssten gehörlose Menschen in Deutschland heute immer erst umständlich suchen, ob nicht doch auf irgend einem anderen Kanal, über einen Web-Livestrean eine Übersetzung angeboten wird. „Da ist die Information oft schon gelaufen, bevor man selbst vielleicht fündig geworden ist. Diese fehlenden Informationen verunsichern die Menschen und bringen diese auch in Gefahr“, stellt Markus Ertl.klar.

Es seien aber auch die weniger bis nicht sichtbaren Barrieren, wie zum Beispiel die fehlenden Bekanntmachungen, die nicht in Leichte Sprache übersetzt sind oder auch die Zugänglichkeit von Webseiten und Anwendungen, speziell von Informationen der öffentlichen Hand. Ein wichtiges Informationsmedium in einer politischen Debatte und der Gesetzgebung in Krisenzeiten wären hier die Drucksachen des Deutschen Bundestages. Obwohl diese nach der Novellierung in 2016 gemäß dem Gesetz zur Gleichstellung für Menschen mit Behinderungen (BGG) schon längst für alle gemäß den Standards zugänglich gemacht hätten sein sollen, kämpfe die Rechtsberatung behinderter Menschen gerade in einem Schlichtungsverfahren und wohl bald in einer Verbandsklage genau auch hier für die längst überfällige Zugänglichkeit. „Durch diese Barrieren werden entscheidende Informationen vorenthalten, welche Menschen zum eigenen Schutz benötigen, aber auch an der wichtigen Debatte in der Krisenzeit befähigen muss“, betont Markus Ertl.

Bei den unterschiedlichsten Bedarfen gäbe es auch die unterschiedlichsten Barrieren, welche im öffentlichen Bereich längst beseitigt hätten sein müssen, aber nein, jetzt werde panisch nach den Lösungen gesucht, um diese jetzt noch schnell schnell zugänglich zu machen. Da erscheine sogar eine Information in Leichter Sprache als äußerst lobenswert und leider noch nicht, wie es eigentlich bereits sein müsste, als selbstverständlich.

„Aber was ist mit den Barrieren in der Privatwirtschaft?“ fragt Markus Ertl. „Die Zugänglichkeit von Kinos und Theatern war und wird sicherlich immer eine wichtige Forderung von uns sein. Diese tritt derzeit aber etwas in den Hintergrund, weil auch alle anderen von einem Kino- oder Theaterbesuch ausgeschlossen bleiben. Es sind in Krisenzeiten die Barrieren auf Seiten und Apps in Online-Shops und von Lieferando.de & Co, welche uns nötigen, weiterhin in Geschäften einkaufen zu müssen und uns dem Risiko auszusetzen. Es sind die Schwellen auf den Balkon, welche uns daran hindern, in häuslicher Quarantäne an die frische Luft zu gelangen. Es sind die Barrieren in den Anwendungen für Video-Konferenzen und – seminaren, welche in Zeiten von Homeoffice auf einmal wie selbstverständlich im beruflichen Kontext eingesetzt werden und wir zum Teil ausgeschlossen bleiben. Es sind die nicht zugänglichen wichtigen Informationen von Schulen und Lehrenden, welche uns von der Betreuung unserer Kinder in Zeiten von Home-Schooling ausschließen. Es sind die Barrieren im Bus und in der Bahn, welche mich und die unterstützenden Personen einem zusätzlichen Risiko aussetzen. Es sind die noch fehlenden barrierefreien Medienangebote, welche im Heimkino für Unterhaltung für alle Familienmitglieder sorgen sollten“, so nur einige Beispiele, die Markus Ertl nennt.

Das seien aber auch noch die Barrieren in den Köpfen der anderen, welche den Mindestabstand ignorieren und man keine Chance bekomme, sich dem zu entziehen. „Es sind aber die gleichen Barrieren, welche bereits vorher eigenlich schon unerträglich waren und deren Unerträglichkeit sich durch die Krise nur noch deutlich verstärkt. Deshalb ein klarer Apell von mir, WEG MIT DEN BARRIEREN! Und sollten wir nach der Krise ein Wirtschaftspaket benötigen, dann fordere ich die Politik auf, Ein Maßnahmenpaket – Barrierefreiheit – aufzulegen. Dies würde alle Bereiche des Lebens und nicht nur einzelne Branchen stärken. Bleibt bitte gesund und kommt gut durch die Krise“, so Markus Ertls Appell.