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Corona im Kopf

Katja Arnecke
Katja Arnecke
Foto: Anna Schroll

Jena (kobinet) In Katja Arnecke vom Landesverband Selbstbestimmt Leben in Thüringen "ballt sich immer wieder ein Klumpen zusammen", wenn sie Botschaften hört, dass das Corona-Virus hauptsächlich "Risikogruppen" bedroht und man diese "schützen" müsse, um Maßnahmen zu lockern. In ihrer Kolumne für die kobinet-nachrichten bringt die selbst aufgrund ihrer chronischen Erkrankung zur Risikogruppe gehörende Frau, ihre Gedanken zu solchen Äusserungen zum Ausdruck.

Kolumne von Katja Arnecke

„Bleibt ruhig, Leute!“ „Der überwiegende Teil der Bevölkerung darf sich sicher fühlen.“ „Das Corona-Virus bedroht vor allem Menschen im höheren Lebensalter und Menschen mit Vorerkrankungen.“ „Wer jung und gesund ist, hat nichts zu befürchten.“ Diese und ähnliche Sätze hat man in den ersten Wochen der Corona-Krise ständig gelesen oder gehört.

Ich bin nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt. Ich rauche nicht, trinke selten, betreibe viel zu wenig Sport, okay, aber ernähre mich dafür recht gesund. Außerdem habe ich eine Grunderkrankung, die mit einem chaotischen Immunsystem einhergeht. Und als wäre das noch nicht genug, nehme ich Medikamente ein, die eben dieses Immunsystem in Schach halten sollten. Pech gehabt. Risikogruppe.

Immer, wenn einer dieser Sätze kommt, die einem Großteil der Bevölkerung Zuversicht zuflüstern sollen, ballt sich in mir ein schwerer Klumpen zusammen. Fast könnte man meinen, die meisten Medien kennen nur ein Publikum: das der jungen Gesunden. Aber die gute Nachricht für die einen impliziert die schlechte Nachricht für die anderen.

Wenn ich diesen Klumpen im Bauch fühle, weiß ich, dass da etwas ist, das ich bearbeiten muss. Sonst arbeitet es mit mir.

Hat dieser Klumpen etwas damit zu tun, dass ich keine schlechten Nachrichten hören will, die mich betreffen? Oder gönne ich den jungen Gesunden ihre Erleichterung nicht?

Nun, was den ersten Punkt anbelangt: Nach 15 Jahren mit einer chronischen Erkrankung bin ich einiges gewohnt. Und ich wollte schon immer gern Klartext hören. Das ist es also nicht.

Was den zweiten Punkt anbelangt, bin ich absolut sicher, keinem Menschen seine Gesundheit zu neiden. Ich bin heilfroh, dass meine „gesunden“ Angehörigen und Freunde vermeintlich nicht allzu viel zu befürchten haben. Auch das ist es also nicht.

Vielmehr glaube ich, dass das beklemmende Gefühl etwas mit der Art der Botschaften zu tun hat.

Stellen Sie sich vor, Sie und Ihre beste Freundin / Ihr bester Freund haben sich für einen besonderen Abend so richtig in Schale geworfen, alle Register gezogen. Als Sie einem gemeinsamen Bekannten in der Stadt begegnen, ergeht sich dieser in Lobgesängen auf das fantastische Aussehen Ihrer Freundin. Über Sie verliert er kein Wort.

Wie fühlen Sie sich?

Genau.

Auch das Schweigen kann eine Botschaft enthalten.

Und so denke ich, es ist das Implizite, das Zwischen-den-Zeilen-Lesen, das Nicht-Kommunizieren in so vielen medialen Berichten, das in mir diesen Klumpen formt. Hier spiegelt sich einmal mehr wider, wie schwer sich die Gesellschaft immer noch tut, mit uns und nicht über uns zu reden, schwere Themen anzusprechen, über Krankheit und Behinderung, Angst und Tod mit Respekt und Empathie zu reflektieren.

Inzwischen haben sich die Botschaften etwas verändert. Nach der großen Empörung über Corona-Partys werden auch die Risiken für junge, gesunde Menschen betont. Niemand ist gegen einen schweren Verlauf gefeit. Auch immer mehr junge Influencer mit Behinderung melden sich zu Wort. Und inzwischen findet man auch genauere Informationen nicht nur über, sondern auch für die Risikogruppen. Und trotzdem gibt es Menschen, die immer noch behaupten, Corona sei das Problem einer abgrenzbaren Gruppe.

Selbst in der ARD wurde zur besten Sendezeit ein Statement des SPD-Oberbürgermeisters Thomas Geisel ausgestrahlt, es gehe nun darum, die Risikogruppe der Älteren mit Vorerkrankungen zu identifizieren und zu schützen. Eine solche Behauptung ist natürlich Wasser auf den Mühlen derjenigen, die meinen, dass die Kontaktsperren längst gelockert werden sollten. Eine solche Behauptung teilt die Gesellschaft ein in die große Gruppe derjenigen, die zum Tagesgeschäft zurückkehren können, und jene, die isoliert (geschützt!) werden müssen. Da blendet mal wieder einer aus, dass es eine beträchtliche Anzahl von jüngeren Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen gibt, die nicht in isolierbaren Heimen leben, sondern voll im Berufsleben stehen und Familie haben oder sogar beides.

Der Corona-Virus bedroht nicht nur unsere Körper. Er ist längst in unseren Köpfen.

Lesermeinungen

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Michael Günter
28.03.2020 19:21

Nein,
in meinem Kopf ist nicht Corona (schlägt ja sowieso eher auf die Lunge), sondern die Sorge, dass ein Haufen uninformierter Schwachköpfe mir mein Leben versauen!
Schon geistern irgendwelche politisch unbedeutenden Irrlichter durch die Gegend, die meinen, wenn man alle Alten und Vulnerablen wegsperrt, kann man ab morgen lustig weiter leben. Ich finde die Perspektive „Corona-Heim“ ehrlich gesagt nicht so prickelnd, dafür bin ich gefühlt noch 30 Jahre zu jung, aber bitte…
Dann bitte liebe Risikogruppe macht dieses Faß auf – ich wandere munter ins Heim mit 12 Millionen anderen und ihr macht Herdenimmunität, dann liegt die Sterberate nur noch bei 0,3% für den Rest, also radieren wir mal Darmstadt und halb Mainz von der Landkarte – und nochmal genausoviele werden eben nicht Buisness as usual machen, sondern mich und Fr. Arnecke betreuen bis es einen Impfstoff gibt…
Achso, dass mit der Herdenimmunität klappt leider nicht, weil sobald die Büchse der Pandora geöffnet ist, das Gesundheitswesen kollabiert – macht aber nichts für die die dennoch überleben…jetzt solltet ihr Aktien von Amazon und Parship kaufen (Singles gibt’s demnächst mehr als genug – und noch ein paar hunderttausende Lungengeschädigter dank Corona, ihr seht wir Behindis wachsen einfach nach…).