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Sinn und Unsinn von Gastro-Führern

im Porträt
Hubertus Thomasius
Foto: privat

Berlin (kobinet) Ja, wir wollen wissen, wo wir essen und trinken gehen können. Ja, wir wollen wissen, wo wir nicht willkommen sind, weil es nicht für alle Menschen nutzbar ist. Nein, wir wollen nicht den Zustand erhalten und in Heften und Broschüren zementieren. Wir wollen, dass Gaststättenführer für Behinderte nicht mehr nötig sind, weil alle Einrichtungen nutzbar sind, für alle Menschen.

Das verstehe ich auch für alle anderen öffentlichen Orte in diesem reichen Deutschland. Eigentlich ist es ein Irrsinn, noch Hefte oder Broschüren finanziell zu fördern, die letztlich nicht in vollem Umfang barrierefrei gestaltet werden können. Ist es nicht besser, diese Aufwendungen dafür zu nutzen, dass keine Barrieren mehr existieren und jede/r essen und trinken gehen kann wo er/sie möchte? Das ist zweifellos utopisch, aber ein erreichbares Ziel.

Und den Weg können wir gemeinsam gehen. Gemeinsam heißt, nicht nur die heterogene Szene der behinderten Menschen selbst, sondern auch die großen Verbände, die Städte und Gemeinden und natürlich die Betreiber der Gaststätten. Die Gesetzeslage in Deutschland ist gegenwärtig schlecht bestellt, denn keine Wirtschaft wird verpflichtet, Barrierefreiheit zu garantieren.

Warum knickt gerade an dieser Stelle der Gesetzgeber ein? Warum glaubt der Gesetzgeber, dass sich so etwas allein regelt? Es regelt sich nicht, so meine Erfahrung. Eine verpflichtende Barrierefreiheit wäre gesetzlich durchgesetztes Menschrecht. Keiner darf laut unserer Verfassung benachteiligt werden. Die Eigentümer von Gaststätten haben keinen Schaden, wenn bei einer zugänglichen Toilette auch Kunden kommen, die darauf angewiesen sind. Die Ausrede, „es kommen ja keine Behinderten in mein Lokal, warum soll ich da etwas barrierefrei machen“, ist ja sattsam bekannt, aber tatsächlich geschäftsschädigend.

Das ist mir in einem kleinen sächsischen Kurort mit einem Seniorenheim (viele Kaffeekunden) nahe Dresden aufgefallen. Zwei Lokalitäten in einer Straße. Wir wurden sehr gut bedient, nachdem der Wirt eine Holzrampe ausgelegt hatte. Gegenüber war man nicht so freundlich zu Kunden, die einen Gast im Rollstuhl dabei hatten.

Um einen Gastronomieführer herausgeben zu wollen, ist viel zu tun. Eine Liste aller Einrichtungen muss zusammengestellt werden. Alle müssen um Einverständnis gefragt werden (erste Selektion). Verbleibende müssen erkundet werden. Dazu benötigt man geschultes, sachkundiges und bereitwilliges Personal aus der Zielgruppe der Behinderten mit verschiedenen Einschränkungen, um die Fakten festzustellen. Selbstauskunft der Betreiber bringt keine zuverlässigen Daten.

Welche Fakten man zusammentragen muss, wissen die Vereine und Verbände der jeweiligen Behinderungsart (nicht mobil, nicht sehend, nicht hörend, alle WC-Nutzer, kognitiv oder manuell beeinträchtigt usw.). Es gibt auch Standards wie DIN, Bauordnungen und weitere. Die Vorbereitung und die Durchführung ist eine zeitlich anspruchsvolle und finanziell zu entschädigende Leistung. Die Ausgaben ehrenamtlich Mitwirkender muss entschädigt werden.

Fragen über Fragen

Dann kommt die Datenaufbereitung. Das Ergebnis muss natürlich barrierefrei sein, sonst ist es sinnlos. Symbole und Bilder werden gebraucht. Die erfassten Werte müssen nach den einschlägigen Normen systematisiert werden. Nun kommt die Frage, welche der erfassten Daten und welche Einrichtungen werden in die zu veröffentlichende Ausgabe aufgenommen: Alle?, nur die sehr Guten?, mit dem Mittleren? (die 2. Selektion). Und wenn man Pech hat bleiben nur 10% bis 20% übrig. Ist das gerechtfertigt bei soviel Arbeit?

Welches Medium soll verwendet werden? Druck als Broschüre? Denkt man da auch an die blinden Menschen (Braille) oder an kognitiv eingeschränkte (Einfache Sprache)? Online als PDF? Das ist mehr als antiquiert. Heute muss man schon eine Datenbank anbieten, in der man suchen und recherchieren kann. Und wenn PDF, dann bitte barrierefreies PDF. Dafür gibt es Standards und Richtlinien.

Online als Datenbank? Da sollte man eher nicht etwas Neues anfangen, denn es gibt schon sehr große davon, mit einem Fundus von Daten, über ganz Deutschland und darüber hinaus. Da ist es einfacher, die Daten zum Beispiel in die große Datenbank wheelmap.org einzugeben. Diese Datenbank ist am Arbeitsplatz, von zu Hause und auch auf Mobilgeräten nutzbar.

Nun haben wir den Prozess in etwa erfasst. Kostenpunkt zum Beispiel 15 000 Euro Fördermittel. 15 000 Euro nur für die Erfassung von Barrierefreiheit? Nach wenigen Monaten sind die Angaben veraltet. Gaststättenführer für Behinderte sind Unsinn. Alternativ, also in meinen Augen sinnvoll, kann man dieses, meist Fördergeld nehmen und vorhandene Barrieren beseitigen. Zum Beispiel kann man für 200 bis 300 Euro eine Rampe erwerben, die bis 30 cm an Stufen überbrückt. Oder zum Beispiel 5 000 Euro für den Umbau eines WC verwenden.

So könnte es ablaufen

1. Erst bespricht man sich. Welche Barrieren existieren? Welche Barrieren sind besonders schlimm und müssen weg (Zugang zu Arztpraxen, Verkehrsmittel, Zugang zu Ämtern und Behörden, Geschäften, Frisören, Straßenüberquerungen usw.)?

2. Jeder Betroffene, der kann und möchte, trägt seine Erfahrungen mit Gaststätten in Wheelmap.de ein. Eine gesonderte Erfassung der Behinderungen kann im Zwiegespräch für die Zusammenarbeit zusammengetragen werden.

3. Prioritäten setzen für die Beseitigung von Behinderung.

4. Welche Informationen an Barrierefreiheit lassen sich einfach in Prospekten, Faltblättern und sonstigen Veröffentlichungen der Region gleich bei deren Erstellung verwenden? Das schafft man in Zusammenarbeit der Tourismus-Information vor Ort.

5. Die bestehenden Barrieren, mit oder ohne Fördermittel, beseitigen.

Um Barrieren zu beseitigen, kann die lokale Presse (auch Anzeigenblätter) mobilisert werden. Die Redaktionen sind dankbar, wenn Betroffene mit genau recherchierten Fakten auf zu überwindende Mißstände vor Ort aufmerksam machen,

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Stephan Wieners (KSL-OWL)
06.02.2020 18:24

Lieber Herr Thomasius,

Sie haben recht: Eine barrierefreie Umwelt würde Übersichten wie z.B. Gastro-Führer überflüssig machen. Und es ist auch richtig, dass man zur Schaffung von Barrierefreiheit stärkere Anstrengungen unternehmen muss. Sich hierfür einzusetzen muss jedoch nicht gleichzeitig bedeuten, Anstrengungen zur Erhebung von Barrierefreiheit einzustellen. Ein regionaler Gastro-Führer kann gewiss immer nur eine unvollständige Krücke sein – die diesbezüglichen Probleme haben Sie alle korrekt aufgezählt. Es gibt jedoch auch einige bedeutende Nebeneffekte bei der Erstellung einer solchen Übersicht:
1. Gastronomiebetriebe werden zwangsläufig mit dem Thema Barrierefreiheit konfrontiert und im günstigsten Falle sensibilisiert. Die Erhebung kann hierbei direkt genutzt werden, um hierüber zu informieren. Das Nicht-erwähnt-werden in einer regionalen Übersicht kann für Gastronomen darüber hinaus Ansporn sein, Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit einzuleiten.
2. Die in aller Regel magere Ausbeute an nennenswerten, barrierearmen Gastronomiebetrieben kann als wirksames Argument genutzt werden, um baurechtliche, städteplanerische Aktivitäten von Kommunen einzufordern. Ohne belegbare Zahlen argumentiert es sich meist schlechter.
3. Erhebungsaktivitäten sind gut geeignet für eine öffentliche Bewusstseinsbildung – nicht nur zur Barrierefreiheit, sondern auch zu einer Auseinandersetzung mit weiterführenden Themen zum Leben mit Behinderung.
4. Es schadet niemandem, neben den etablierten Plattformen wie wheelmap.org, eine weitere regionale Übersicht einsehen zu können. Der Zugriff und die Verfügbarkeit lässt sich häufig sehr viel niedrigschwelliger gestalten und auch noch im Nachgang anpassen, um sie anfangs ggf. nicht bedachten Zielgruppen zugänglich zu machen.

Maximal-Forderungen zu stellen ist in menschenrechtlichen Fragestellungen stets richtig und notwendig. Sie dürfen aber nicht dazu führen, nutzbare Zwischenschritte und unvollkommene Übergangslösungen kategorisch und dogmatisch abzulehnen. Zufriedengeben sollte man sich mit Kompromissen nicht, aber sie können erste Schritte auf einem längeren Weg sein. Dass hierbei auch Produkte entstehen können, die Lücken aufweisen, die eine Beteiligung Betroffener nicht sichergestellt haben, die nicht in allen barrierefreien Formaten verfügbar sind oder sonstige Fehler enthalten, liegt in der Natur der Sache – wer vieles versucht, kann auch viele Fehler machen. Wichtig ist es dann, auf die Fehler hinzuweisen, Unterstützung anzubieten und aufzuklären, worauf es ankommt – nicht aber kopfschüttelnd das Weite zu suchen.

Wie viel Geld und Mühe für solche Zwischenschritte angemessen erscheinen, lässt sich schwerlich bewerten – aber jeder Mensch mit Behinderung, der eine neue, nutzbare Kneipe für sich entdeckt und jeder Gastronom, der anfängt über den Kauf einer Rampe nachzudenken, rechtfertigt diese Anstrengung.

Stephan Wieners (KSL-OWL)

Michael Günter
Antwort auf  Stephan Wieners (KSL-OWL)
06.02.2020 19:27

Ich stimme ihnen zu, was den letzten Absatz betrifft. Dennoch: Wieviel „schwieriger“ wäre es, die Unternehmen, die an den Bewertungen von Restaurants und co. Geld verdienen (bspw. Tripadvisor), dahingehend zu sensibilisieren auf ihren Bewertungsportalen auf Barrieren aufmerksam zu machen? Es geht ja nicht darum ein alteingesessenes Unternehmen in Rom, Paris oder Budapest an den „Pranger“ zu stellen, sondern zu erheben, ob diese Einrichtungen barrierefrei sind (dies muss ja nicht in die Bewertung einfliessen, aber in den Beschreibungstext könnte man dies aufnehmen!)…

Stephan Wieners (KSL-OWL)
Antwort auf  Michael Günter
07.02.2020 13:48

Gute Idee – allerdings weiß ich nicht, wer die Grundinformationen auf den Bewertungsseiten erhebt. Da ich nicht davon ausgehe, dass diese Seiten eigene Mitarbeiter auf den Weg schicken, wird man vermutlich auf Selbstauskünfte der Gastronomiebetriebe zurückgreifen. Hierauf ist leider zu wenig Verlass, als dass man mit den Informationen dann auch wirklich etwas anfangen könnte. Immerhin bekäme man aber vielleicht eine Orientierung, wo es sich lohnen könnte, noch einmal nachzufragen. Eine Koppelung mit den Daten auf wheelmap.org wäre natürlich auch chic – und zwar in beide Richtungen: Bei tripadvisor die wheelmap-Bewertung sehen und auf wheelmap die TripAdvisor-Bewertung – beide Portale würden profitieren und mehr Öffentlichkeit beim Thema würde auch geschaffen…