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London (kobinet) Die aus Deutschland stammende Christiane Link arbeitete 20 Jahre lang als Journalistin und ist seit Beginn des Jahres als Leiterin in Sachen Barrierefreiheit für ein Verkehrsunternehmen in Großbritannien tätig. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte mit der engagierten Rollstuhlnutzerin, die seit vielen Jahren in Großbritannien lebt und u.a. den Blog Behindertenparkplatz betreibt, folgendes Interview über den Brexit und dessen Bedeutung für behinderte Menschen und für sie selbst.
kobinet-nachrichten: Wie wird die Brexit-Frage in der Behindertenbewegung in Großbritannien gesehen und diskutiert?
Christiane Link: Das wird jetzt vielleicht einige Leserinnen und Leser schockieren, aber die Mehrheit der behinderten Briten hat für den Brexit gestimmt und zwar in höherem Maße als die Gesamtbevölkerung. Ein Leiter eines Selbstbestimmt-Leben-Zentrums in der Mitte Englands hat mir erzählt, dass fast alle seine Klienten für den Brexit gestimmt haben, aber die Mehrheit der Assistenten, die dieses Zentrum für die Klienten beschäftigt, Osteuropäer seien. Die Gründe sind sicher vielfältig, aber ein Grund ist sicherlich das unredliche Versprechen, mehr Geld in den nationalen Gesundheitsdienst NHS pumpen zu können, wenn der Brexit kommt.
Das führte in den vergangenen Jahren und Monaten dazu, dass sich viele Behindertenorganisationen sehr zurückhaltend zum Brexit äußerten, da ihr eigenes Klientel mindestens gespalten ist oder eben sogar für den Brexit stimmte. Ich muss leider sagen, die Unterstützung für behinderte EU-Bürger in den vergangenen Jahren von Seiten der großen Organisationen war daher gering. Wir haben daraufhin unsere eigene kleine Lobbygruppe gegründet, die de facto erfolgreich die Rechte der betroffenen Bürger gesichert hat, wir haben eine Resolution im EU-Parlament angestoßen, die auch erfolgreich war während der Verhandlungen und haben intensiv mit dem britischen Innnenministerium gesprochen, um es behinderten EU-Bürgern einfach zu ermöglichen, problemlos hier zu bleiben ohne ihre Rechte zu verlieren.
kobinet-nachrichten: Welche Folgen könnte der Brexit für die Behindertenbewegung in Großbritannien und in Europa haben?
Christiane Link: Es gab in den vergangenen Jahren bereits massive Kürzungen im Behindertenbereich. Viele Organisationen und Bewegungen waren auf Geld von der EU angewiesen. Gleichzeitig spielte Großbritannien eine sehr progressive Rolle innerhalb der EU, wenn es um die Rechte behinderter Menschen in der EU ging. Diese progressive Stimme fällt nun weg, was sicherlich auch Auswirkungen auf die EU hat.
kobinet-nachrichten: Wie geht es für Sie persönlich in Großbritannien weiter?
Christiane Link: Ich persönlich habe 2017 die britische Staatsangehörigkeit beantragt und bekommen. Ich habe also zwei Pässe. Ich wollte zum einen wählen können und zum anderen nicht dauerhaft zur Bürgerin zweiter Klasse werden, wenn die Rechte von EU-Bürgern massiv eingeschränkt werden. Ich lebe in London, einer Stadt, die mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt hat und die sich immer durch seine Offenheit ausgezeichnet hat. Insofern merke ich die Auswirkungen nicht so stark, wie das vielleicht in anderen Teilen des Landes der Fall wäre. Aber dennoch ist die Entwicklung nicht gut für das Land und ich befürchte, einige werden erst in ein paar Jahren merken, welche Nachteile sie sich mit ihrer Stimme gegen die EU-Mitgliedschaft selbst geschaffen haben.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.