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Bergkamen (kobinet) Nach Ansicht von Hubert Hüppe haben sich trotz der Diskussionen zur UN-Behindertenrechtskonvention die Sonderstrukturen in vielen Bundesländern wieder durchgesetzt. Sonderschulen würden mit massiven Geldmitteln ausgestattet, binden Geldmittel und Pädagogen, inklusive Schulen würden dagegen finanziell benachteiligt. Dies erklärte der ehemalige Bundesbehindertenbeauftragte im Interview mit kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul und macht dies an einem Beispiel einer "Förder"-Schule in Bergkamen deutlich.
kobinet-nachrichten: Als vor 11 Jahren die UN-Behindertnkonvention ratifiziert wurde, spielte die schulische Inklusion eine große Rolle. Wie schätzen Sie die Entwicklung im Rückblick in diesem Bereich ein?
Hubert Hüppe: Nachdem es tatsächlich vor rund zehn jahren zunächst eine Aufbruchstimmung gab, haben sich die Sonderstrukturen in vielen Bundesländern wieder durchgesetzt. Sonderschulen werden mit massiven Geldmitteln ausgestattet, binden Geldmittel und Pädagogen, inklusive Schulen werden dagegen finanziell benachteiligt. In vielen Bundesländern, nimmt der Anteil der Sonderschüler*innen wieder erheblich zu und es werden sogar mit Millionenbeträgen neue Förderschulen gebaut. Immer wieder wird behauptet, Inklusion sei zu teuer. Tatsache ist: Exklusion kostet unwahrscheinlich viel Geld und die Folgekosten sind enorm.
kobinet-nachrichten: Was verstehen Sie unter Folgekosten?
Hubert Hüppe. Wer die Ergebnisse der Förderschulen betrachtet, kann feststellen, dass viele Jugendliche danach arbeitslos sind, in andere Sonderbildungsstätten wie Berufsbildungswerke, oder direkt in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) überführt werden. Insbesondere bei Sonderschulen für Menschen mit körperlichen oder sogenannten „geistigen Behinderungen“ kann man davon ausgehen, dass die Schulabgänger*innen anschließend ein Leben lang Empfänger von Sozialleistungen werden.
kobinet-nachrichten: Sie haben jetzt als Bürgervertreter im Kreissozialausschuss des Kreises Unna eine Anfrage zu der Förderschule für geistige Entwicklung in Bergkamen gestellt. Wie kam es dazu und was war das Ergebniss?
Hubert Hüppe: Wie haben zwei dieser sog. „Förder“-Schulen für geistige Entwicklung. Beide sollen mehrere Millionen Euro für Renovierungen und Erweiterungen bekommen. Die schulische Inklusion wird bei uns eher vernachlässigt. Es wird immer erzählt, wie erfolgreich die Förderschulen seien und welch hohe Qualität diese hätten. Ich habe deswegen mal nach der Ausstattung, den Kosten und vor allem nach den Ergebnissen gefragt.
Das Ergebnis war niederschmetternd: Die Schule Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule in Bergkamen hat 302 Schüler*innen – vor der Ratifizierung der UN-behindertenrechtskonvention 2009 waren es nur 288. Dafür hat die Schule 83 Lehrkräfte und zusätzlich 46 Integrationshelfer*innen und FSJ`ler bzw. BFD`ler. Dazu kommen noch Hausmeister, Schulsozialarbeiter*inen usw. . Zusätzlich wurden im letzten Jahr nur für diese Schule über 700.000 € für die Schülerfahrtkosten vom Kreis bezahlt.
Allein im Schuljahr 2017/2018 kamen von anderen Schulformen 36 Schüler*innen. Aber niemand hat es von dort wieder an eine Regelschule geschafft. Diese Sonderschule ist eine Sackgasse aus der es kein Zurück mehr gibt. Das Ergebnis dieser immensen Personal- und Geldressourcen: Von den Schüler*innen des Abschlussjahrganges 2019 hat nur ein Schüler einen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt bekommen. Fast alle anderen sind in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gewechselt oder sind jetzt arbeitslos. Dabei haben noch nicht einmal 20 Prozent der Schüler*innen einen Behindertenausweis.
Das Makabre daran: Die Stiftung Weiterbildung des Kreises Unna hat dieser Schule das sog. „Berufswahlsiegel“ verliehen, mit dem die Schule auf der ersten Seite ihres Internetsauftritts wirbt. Damit erweckt die Sonderschule noch den Eindruck bei unbedarften Eltern, dass sie den Kindern später mal zu einem Beruf verhelfen würde. Das Schlimme aber ist: Wenn das Geld und das Personal für die Inklusion eingesetzt würde, dann hätten tatsächlich viele der Kinder und Jugendlichen später eine echte Chance auch auf berufliche Teilhabe.
kobint-nachrichten: Ist das Ihrer Meinung nach ein Einzelfall?
Hubert Hüppe: Natürlich nicht. Ich laste das im Übrigen auch nicht den Sonderpädagog*innen an. Ich nehme es diesen aber Übel, wenn sie immer noch erzählen, dass die Sonderschule gut für die Menschen sei. Es liegt an der Isolierung der Schüler. Das ist der Fehler der Sonderschulen, den die Sonderschulideolog*innen völlig ignorieren. Die Politik will die schlechten Ergebnisse der Sonderschulen nicht wissen.
kobint-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.
Hmm,
Hüppe beschreibt nur, was lange Standard war und noch länger Standard sein wird….
Natürlich muss man an Aussagen wie „fast alle“ und ähnlichem im Fortgang des Interviews zweifeln, denn erstens haben alle Abgänger dieser Schulform einen Anspruch zu Leistungen am Arbeitsleben – also arbeitslos mögen diese Abgänger zwar sein, aber sie werden in einer WfbM beschäftigt.
Und zweitens: Das Märchen von nicht einmal 20% Abgängern dieser Schulform ohne Schwerbehindertenausweis glaube ich nicht, falls dieser Wert wirklich unter 90% läge, würde ich sofort alle Mitarbeiter des Versorgungsamtes und des zuständigen Amtsgerichts einbestellen – bei den restlichen 10% würde ich mit dem Schulamtsleiter mal ein paar klärende Worte wechseln…
Also mich wundert das alles nicht – nur mit einem konkreten Ausstiegsdatum hätte es anders laufen können – dies betrifft Behindertenheime ebenso!
In Augsburg werden gerade 35 Millionen in den Neubau einer Förderschule gesteckt, dabei ist Deutschland laut UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet seit 2009 alle Mittel in die Entwicklung neuer inklusiver Schulstrukturen zu investierten.
Das scheint dem Freistaat Bayern egal zu sein. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist leider das Papier nicht Wert auf das es geschrieben wurde.
Es hat in über 10 Jahren auf schulischer Ebene nichts verbessert, sondern sogar in einigen Ländern verschlechtert.
Wie kann das möglich sein?