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Carola Szymanowicz wirbt bei Bahntour für Gebärdensprache

Carola Szymanowicz mit T-Shirt der Reisegruppe Niemand
Carola Szymanowicz mit T-Shirt der Reisegruppe Niemand
Foto: UNgehindert

Falkensee (kobinet) Carola Szymanowicz aus Falkensee ist von Geburt an gehörlos und eine derjenigen, die am 12. November mit der "Reisegruppe Niemand" eine 3tägige Tour mit dem Regionalverkehr durch alle 16 Landeshauptstädte unternimmt. 25 Jahre nach Inkrafttreten des Benachteiligungsverbotes für behinderte Menschen im Grundgesetz will die Aktivistin für die Rechte behinderter Menschen mit ihren Mitstreiter*innen vom Verein UNgehindert ein Zeichen für die konsequente Umsetzung des Benachteiligungsverbots für behinderte Menschen im Grundgesetz setzen, das am 15. November 1994 in Kraft trat. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul, der die Tour begleitet, sprach mit Carola Szymanowicz u.a. darüber, warum sie bei der Tour mitmacht und welche Ziele sie dabei verfolgt.

binet-nachrichten: Wofür setzen Sie sich ein und warum machen Sie bei der Bahntour der Reisegruppe Niemand mit?

Carola Szymanowicz: Ich bin von Geburt an gehörlos und habe sehr früh erfahren müssen, was es bedeutet, nicht Teil der Gesellschaft auf Grund meiner Gehörlosigkeit zu sein. Mit sieben Jahren musste ich mein Elternhaus verlassen, um eine Schule internatsmäßig in Berlin und Potsdam zu besuchen. Es gab für mich nie die Möglichkeit, wieder in meine Heimat zurückzukehren, außer Besuche im Elternhaus. Was ich erst bei Pflegeeltern erleben musste, weil das Internat noch nicht bezugsfähig war, hinterließ mit erlebter Gewalt Spuren in meinem Leben. Dies änderte auch nichts nach dem Umzug in das Internat. Die Separierung war immer spürbar. Man gehörte nicht zu den Menschen, die am Internat vorbeigelaufen sind, obwohl es mein größter Wunsch war, immer dazu zu gehören.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie auf 25 Jahre Grundgesetzergänzung durch den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ blicken, was fällt Ihnen dazu ein?

Carola Szymanowicz: 1994 haben Menschen mit Behinderungen dafür gekämpft, dass im Artikel 3 des Grundgesetzes der Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ aufgenommen wird. Das bedeutet heute, wie auch vor 25 Jahren, das Gleichheitsgebot für Menschen mit Behinderungen. Ich setze mich politisch für dieses Gleichheitsgebot, die inklusive Partizipation, Chancengleichheit und Barrierefreiheit in der Gestaltung aller Sozialräume, die das Leben in den Städten, Kommunen und Gemeinden für Menschen mit – und ohne Behinderung – bestimmen, ein. Das Hauptziel ist für mich dabei die Einführung und Verpflichtung unserer Gesellschaft zur Deutschen Gebärdensprache, wie auch zur Umsetzung der „Leichten Sprache“ für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Beides sind Grundrechte und gehören zur Verpflichtung der angemessenen Vorkehrungen für alle gesellschaftlichen Ebenen.

Dieser kleine Satz mit der Benachteiligung im Grundgesetz hat für Menschen mit Behinderungen in Deutschland schon einiges bewegt. So sind in relevanten Regelungen und Gesetzen ausdrücklich die Belange von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen. Das gilt sowohl für das Gesetz zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Sozialgesetzbuch IX, das Behindertengleichstellungsgesetz, aber auch für die Antidiskriminierungsgesetze. Da aber alle Gesetze noch viele Lücken aufweisen, weil zum Beispiel Menschenrechte wie die Inhalte der UN-Behindertenrechtskonvention nicht berücksichtigt werden und ganze gesellschaftliche Gruppen, wie der private Bereich und die Wirtschaft in den Gesetzen nicht berücksichtigt wurden, ist es für mich Pflicht, auf diese Missstände in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Dazu kommt für mich persönlich die Ausgrenzung als gehörlose Bürgerin bei der Teilhabe zur politischen Partizipation, wie das passive Wahlrecht. Ich kann mich als Kandidatin aufstellen lassen, wenn es dann gelingt, bekomme aber keine Kommunikationsunterstützung. Ohne Kommunikation mit den Menschen, kann ich meine politischen Ideen nicht vermitteln.

kobinet-nachrichten: Was fürchten Sie an der Mammuttour über 76 Stunden mit den 358 Stationshalten mit 29 Umstiegen mit Regionalzügen am meisten bzw., worauf freuen Sie sich?

Carola Szymanowicz: Mir ist es klar, dies wird eine anstrengende Sache für alle werden, aber auch eine, die sich lohnt, etwas Öffentlichkeitswirksames zur Bewusstseinsbildung in unserer Gesellschaft beizutragen. Wichtig ist für mich, dass die Deutsche Bahn Verlässlichkeit zeigt in punkto Pünktlichkeit, so dass unser Vorhaben nicht gefährdet wird. Wir wollen an den Haltepunkten pünktlich sein, damit auch diejenigen, die unserem Aufruf folgen, uns Schriften an den Bundespräsidenten mitzugeben oder auch ihre Erfahrungen zur Einhaltung der eigenen Grundrechte nach Artikel 3 aushändigen, nicht zu lange im Regen stehen müssen. Es ist für mich ein Erlebnis, hier mitmachen zu dürfen, denn diese Gruppe sind Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen, die sich aber bestens verstehen und vertrauen. Alle Beteiligten stehen zu Menschenrechten, zur Partizipation von allen Menschen und für inklusive Vielfalt. Jede*r ist sich bewusst, dass diese Tour nicht nur ein Zeichen für Menschen mit Behinderungen ist, sondern ein Zeichen für Menschen mit und ohne Behinderungen.

In einem Video erklärt Carola Szymanowicz auf Facebook mit Gebärdensprache, worum es bei der Bahntour der Reisegruppe Niemand geht. Link zum Video:

https://www.facebook.com/ReisegruppeNiemand/videos/1816778618465756/

Link zum Liveblog zur Reise der Reisegruppe Niemand zum 25jährigen Inkrafttreten des Benachteiligungsverbotes für behinderte Menschen im Grundgesetz

Link zum Fahrplan für die Tour vom 12. – 15. November 2019