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Partizipation – Fehlanzeige bei der Regierungskoalition

UN-Flagge mit Text Behindertenrechtskonvention im Hintergrund
UN-Flagge mit Konvention
Foto: BIZEPS Wien

Berlin (kobinet) Die Behindertenrechtskonvention und vor allem das dort verankerte Partizipationsgebot - also die Einbeziehung behinderter Menschen - ist bei der Regierungskoalition im Deutschen Bundestag noch nicht so richtig angekommen. Das war diese Woche bei der Anhörung zum Änderungsgesetz von Regelungen im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz zu beobachten. 10 Jahre nach Inkrafttreten der Konvention in Deutschland interessieren sich die Mitglieder von CDU/CSU und SPD im Ausschuss für Arbeit und Soziales wenig dafür, was Betroffene von dem Gesetzentwurf halten, so mein Kommentar.

Kommentar von kobinet-Redakteur Franz Schmahl

Dr. Sigrid Arnade von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) nahm bei der Anhörung am vergangenen Montag kein Blatt vor den Mund, als sie Mängel in Sachen Partizipation bei der Entwicklung von Gesetzen der Bundesregierung mit zum Teil äußerst kurzen Anhörungsfristen kritisierte. Und diese Kritik trifft auch auf den Deutschen Bundestag – also das Parlament selbst – zu. Hätten nicht die Oppositionsfraktionen von Linken und Grünen behinderte Menschen benannt, die aus ihrer Perspektive Stellung zu den Reformplänen beziehen konnten, wäre da nicht mehr viel übrig geblieben.

Vonseiten der Regierungsfraktionen wurde kein behinderter Mensch aus Selbstvertretungsverbänden benannt, obwohl diese viel mehr Fragezeit hatten und mehr Sachverständige für die Anhörung benennen konnten. Selbst die SPD begnügte sich damit, eine Lebenshilfevertreterin als Sachverständige zu benennen, die keine der noch bei deren Kongress in Leipzig hochgehaltene Selbstvertreterin war. Zudem betreibt die Lebenshilfe selbst vielerlei Einrichtungen. Das dürfte Selbst Aktiv von der SPD kaum gefallen haben. Ohne die Benennungen der Linken und der Grünen wäre dies eine Anhörung frei nach dem Motto „Alles über uns ohne uns“ gewesen.

Doch auch mit der Anwesenheit von Dr. Sigrid Arnade, Dr. Detlef Eckert und Ottmar Miles-Paul als Sachverständige schien sich weder die Unionsfraktion noch die SPD für die Meinung der Betroffenen zu interessieren. Die SPD befragte wieder und wieder die Lebenshilfe – Ulla Schmidt ist hier die Vorsitzende – und noch ein bisschen den Deutschen Gewerkschaftsbund. Fragen wurden brav vom Zettel abgelesen und zum Teil wiederholt, obwohl dazu schon mehrfach klar geantwortet wurde.

Und den Regierungsfraktionen war es sogar noch wichtiger, wiederholt nach Stellungnahmen zu einem nicht erwähnenswerten und völlig abwegigen Antrag einer Oppositionspartei zu fragen, die sich in Sachen Behindertenpolitik im Deutschen Bundestag schon mehrfach disqualifiziert hat. Auch so kann man diese unnötig aufwerten. Wie groß muss die Angst der Regierungsfraktionen sein, etwas kritisches über ihre Vorhaben von den Betroffenen zu hören oder gar etwas dazuzulernen? So die nicht ganz abwegige Frage im Anschluss an die Anhörung von einem aufmerksamen Zuhörer.

Die Wohlfahrtsverbände, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten, die Arbeitgeberverbände konnten sich demgegenüber bestens ausbreiten und ihre Sicht der Dinge schildern. So war das mit der Partizipation in der UN-Behindertenrechtskonvention aber sicherlich nicht gemeint. Und so dürfte es im Bundesteilhabegesetz auch nicht gemeint sein, wenn es darum geht, dass behinderte Menschen auf Augenhöhe mit einbezogen und die Leistungen personenzentriert erbracht werden sollen. Und wenn doch, dann sollte die Regierungskoalition das auch offen sagen.

Link zum Bericht zur Anhörung und der Videoaufzeichnung auf der Internetseite des Deutschen Bundestages

Lesermeinungen

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Martin Theben
17.10.2019 21:15

Ein sehr guter, treffender, in der Sache aber auch ernüchternder Befund. Mir haben die Beiträge von Sigrid Arnade, Ottmar Miles-Paul und auch Joachim Raddatz von Bis e.V. sehr gefallen.
Grüße
Martin Theben