
Foto: Public Domain
Berlin (kobinet) Wenn es nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht, soll die Intensivpflege mit Beatmung in den eigenen vier Wänden bald nur noch die absolute Ausnahme sein. Das geht aus dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG) hervor, den das Ministerium den Verbänden heute zu einer sehr kurzfristig angesetzten Anhörung versandt hat.
Insbesondere bei der ambulanten Versorgung von Beatmungspatienten sei „von einer Fehlversorgung auszugehen“, heißt es im Gesetzesentwurf. Zudem bestünden Fehlanreize und Missbrauchsmöglichkeiten. Das verursache hohe Kosten für die Versichertengemeinschaft und Einbußen bei der Lebensqualität der Betroffenen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Intensivpflege mit Beatmung in den eigenen vier Wänden nur noch die absolute Ausnahme sein darf. Allein bei Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres soll sie die Regel bleiben. Für Pflege-WGs sollen die Qualitätsanforderungen massiv steigen. Krankenhäuser und stationäre Pflegeeinrichtungen sollen die Beatmungsentwöhnung dagegen besser bezahlt bekommen. berichtet Häusliche Pflege.
Ersten Einschätzungen zufolge könnte dieses Gesetzesvorhaben, wenn es so beschlossen würde, die Inklusion von behinderten Menschen, die Beatmung nutzen und seit vielen Jahren beweisen, dass man auch mit Beatmung zu Hause leben und am gesellschaftlichen Leben mit der entsprechenden Unterstützung teilhaben kann, um Jahrzehnte zurückwerfen. Es wäre also ein echtes Exklusionsgesetz, das da im Bundesgesundheitsministerium versteckt hinter vielen schönen Worten ausgesonnen wurde.
„Die Leistungen der außerklinischen Intensivpflege werden künftig regelhaft in vollstationären Pflegeeinrichtungen, die Leistungen nach § 43 des Elften Buch Sozialgesetzbuch erbringen, oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten, die strengen Qualitätsanforderungen unterliegen, erbracht. Die Eigenanteile, die die Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege in diesen vollstationären Pflegeeinrichtungen zu leisten haben, werden erheblich reduziert. In Ausnahmefällen kann die außerklinische Intensivpflege auch im Haushalt des Versicherten oder sonst an einem geeigneten Ort erbracht werden“, heißt es im Referentenentwurf.
Was der Grund für die geplante Gesetzesänderung angeht, liest sich im Referentenentwurf dann so: „Durch Verbesserungen der Qualität im Bereich der außerklinischen Intensivpflege verbunden mit einer regelhaften Leistungserbringung in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten können der gesetzlichen Krankenversicherung bei voller Jahreswirkung Einsparungen in einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag entstehen.“ Inklusion soll angesichts der möglichen Kosteneinsparungen also keine Rolle mehr spielen, wenn es nach dem Referententwurf des Bundesgesundheitsministeriums geht.
Den Verbänden bleibt nach der heutigen Aussendung des Referentenentwurfs nun gerade einmal gut drei Wochen Zeit zu einer schriftlichen Stellungnahme. Für den 11. September ist dann bereits die mündliche Anhörung zum Referentenentwurf im Bundesministerium für Gesundheit in Berlin vorgesehen.
Natürlich sollen Menschen, die auf Beatmung angewiesen sind, nicht schlechter gestellt werden. Scheinbar gibt es aber Fehlanreize im System, die unseriöse Anbieter auf den Plan ruft. Anders lässt sich die drastische Zunahme der Beatmungspatienten innerhalb weniger Jahre nicht erklären. Spahn rührt hier an einen wunden Punkt mit seinem Gesetzentwurf – zu Recht meines Erachtens. Denn es ist nicht einzusehen, dass viel, viel Geld der Versichertengemeinschaft für künstliche Beatmung aufgewendet wird, obwohl ein Großteil der Patienten entwöhnt werden könnte. Einen erhellenden Beitrag zum Nachhören hier: https://www.ndr.de/info/sendungen/das_feature/ARD-radiofeature-Uebertherapie-am-Lebensende%2csendung861800.html
Es ist richtig, dass es Qualitätsdefizite in Beatmungs-WGs gibt und auch, dass gerade Krankenhäuser zu wenig zur Entwöhnung beitragen.
Fakt ist aber auch, dass es
a) Krankheitsbilder gibt, bei denen eine Entwöhnung nicht möglich ist und selbst der Versuch eine drastische Verschlechterung herbeiführen kann (degenerative Muskelerkrankungen, ALS, SMA, etc.) und
b) durch das Gesetz für alle Versicherten mit einem hohen Bedarf an Behandlungspflege die häusliche Krankenpflege abgeschafft wird und stattdessen regelhaft nur noch eine stationäre Unterbringung vorgesehen ist.
All die Personen, die also nicht entwöhnt werden können und heute selbstgewählt und zufrieden in ambulanten Verhältnissen (oft mit Assistenz und ambulanten Diensten in den eigenen vier Wänden) leben, werden zwangsweise in stationäre Einrichtungen gedrängt. Der einzige Ausweg wäre eine Argumentation über die Unzumutbarkeitsklausel. Dies ist aber dann – wie wir aus den Resultaten vergangener Gesetze wissen – eine individuelle Entscheidung des Sachbearbeiters, hat keine rechtliche Basis und führt zu keiner rechtssicheren Entscheidung.
Kurz: Statt die tatsächlichen Probleme anzugehen, wird kurzerhand die Wahlfreiheit für Betroffene abgeschafft und ein Leben in einer vollstationären Einrichtung oder speziellen Beatmungs-Einheiten zur Regelversorgung gemacht.
Ziel muss sein, da wiederhole ich mich gerne, dass die Betroffenen die bestmögliche Behandlung erhalten; dazu gehört mE aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Schwachstellen. Dass diese von dubiosen Anbietern gnadenlos ausgenutzt werden, steht außer Frage. Erst im Mai dJ konnte ein großangelegter Abrechnungsbetrug von Pflegediensten bei der Betreuung von Beatmungspatienten von der Polizei aufgedeckt worden. Hier ging es nicht um Peanuts, sondern um Millionenbeträge. Das ist nicht hinnehmbar. Und: Wenn die GKV weiter finanzierbar bleiben soll, muss man an eben diese Schwachstellen ran. Offensichtlich ist es bis heute möglich, schnelles Geld auf dem Rücken der Betroffenen zu machen. Das haben einige Investoren erkannt, die es bestens verstehen, das maximal Mögliche aus dem System zu saugen. Hauptsache, die Kasse stimmt, lautet ihr Motto.
Es muss daher erlaubt sein, professionelle Beatmungs-Dienste genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn diese bis zu 25.000 Euro pro Monat für die Versorgung eines Beatmungspatienten im eigenen Zuhause erhalten, dann darf eine optimale Behandlung erwartet werden durch Intensivmediziner und besonders qualifiziertes
Pflegepersonal. Das ist wohl leider nicht immer der Fall (gewesen).
Allgemein: Ein SPON Artikel aus dem Jahr 2017 beschreibt sehr gut die Missstände, die Spahn gerne beseitige möchte:
https://www.spiegel.de/spiegel/das-geschaeft-mit-den-wohngenmeinschaften-fuer-schwerkranke-a-1179398.htm
Da widerspricht Ihnen und dem Minister niemand.
Hier wird aber grundsätzlich die Möglichkeit genommen, überhaupt ambulant im häuslichen Umfeld versorgt zu werden. Der Gesetzesentwurf verbessert nicht die Situation, sondern verlagert die Betroffen immer, selbst wenn die Versorgung gut sein sollte. Genau das ist das Problem. Mit allen anderen Regelungen gibt es kein Problem.
Zu diesem Thema findet auch kommenden Sonntag (18.08.2019) um 10.00 Uhr eine Demo vor dem Bundesministerium für Gesundheit, Friedrichstraße 109, Berlin-Mitte statt. Trotz des – leider – sehr kurzen zeitlichen Vorlaufs hoffe ich auf bzw. bitte ich um möglichst zahlreiche Beteiligung…
Das Bundesministerium macht sich Sorgen wegen Missbrauch bei Beatmungspatienten in deren eigenen Wänden, während die Heimbetreiber die Krankenkassen abzuzocken? Irgendwie läuft da was verkehrt? Herr Spahn! Welcher Alptraum hat Sie zu dieser Idee getrieben? War es der Trauf in der Gestalt der Heimbetreiber welche jetzt schon wieder die Eurozeichen in ihren Augen haben? Wieviel wollen Sie denen noch zuschustern?
eindeutiger Verstoß gegen https://www.behindertenrechtskonvention.info/unabhaengige-lebensfuehrung-3864/
sehr richtig, nur im Ernstfall müssen die Betroffenen wieder klagen