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Stühlerücken im närrischen Reformhaus

Harald Reutershahn
Harald Reutershahn
Foto: Bettina Wöllner-Reutershahn

UNBEKANNT (KOBINET) Liebe Närrinnen und Narranesen, seid ihr auch schon alle da? Denn unter der Narrenkappe hauen sie bereits wieder auf die Pauke und drängen sich in die Bütt, die Totalitäten alle voran in neue Kostüme verkleidet. Allen voran natürlich wieder die alten Lahmärsche von der SPD mit der Lachkanone: "Zeit für mehr Gerechtigkeit. Zeit für Martin Schulz." Nein, das ist nicht etwa das diesjährige Karnevalsmotto, das ist Auftakt der SPD zum Bundestagswahlkrampf. Jetzt geht’s lo'hos. Humba humba täterä. Alle Mann in die Bütt, schmeißt die ollen Kamellen und Konfetti unters Volk was das Zeug hält.

Die neuen Losungen werden gerade frisch gepinselt auf die lustig bunten Paradewagen. Allen voran natürlich wieder die alten Lahmärsche von der SPD mit der Lachkanone: Zeit für mehr Gerechtigkeit. Zeit für Martin Schulz. Nein, das ist nicht etwa das diesjährige Karnevalsmotto, das ist der Auftakt der SPD zum Bundestagswahlkrampf. Jetzt geht’s lo’hos. Humba humba täterä. Alle Mann in die Bütt, schmeißt die ollen Kamellen und Konfetti unters Volk, was das Zeug hält.

Bevor die Narren sich wieder ihre Pappnasen ankleben und die Schunkellieder anstimmen, bringen sie ihre alten Pappkameraden in Stellung und hauen auf die Pauke, als hätte es die triste Zeit vor der nächsten Bundestagswahl nicht gegeben.

Der politisch heruntergekommene Trauersaal wird endlich wieder bunt geschmückt, denn jetzt sind wir alle ein Reformhaus. Die krachlederne Trachtengruppe aus Bayern, die Schwarzlimousinenfahrer, die Deutschländerwürstchen, der Altarbeiter- Sparverein, die schwarzbraun-bin-auch-ich-Fackelträger, die Freihandelsbeutelschneider, die vermögenssteuerfreien Zurückruderer, die exklusive Allinklusivagentur, die karrieretollen Möwenpicker, die lactosefreie Bionadebourgeoisie, die Türsteher von Dagobert Duck und das ganze Gruselkabarett von Entenhausen.

Der Schulz war als erster in der Bütt. Er sprach: „Ich werde dafür kämpfen, dass nicht nur Arbeitsplätze, sondern gute Arbeitsplätze entstehen! Mit einem Einkommen, mit dem man in Würde leben kann. Mit Löhnen unter Berücksichtigung der spezifischen Besonderheiten des jeweiligen Landes, die es den Menschen ermöglicht, dort zu leben und zu arbeiten, wo sie zuhause sind. Das ist mein Programm gegen Armutszuwanderung in Europa – und nicht billige Hetze gegen ausgebeutete Menschen!

Moment mal … Pardon, da sind mir die Zettel durcheinander gerutscht. Das sagte er, als er EU-Kommissionspräsident werden wollte. Aber das hat ja nicht geklappt. Seine Betonung lag bei allen Tränendrüsen ja auch ausdrücklich bei „unter Berücksichtigung der spezifischen Besonderheiten des jeweiligen Landes„. Diese Bedingungen wurden durch die Regeln und Kriterien der EU angepasst – und zwar nach unten. Denn Martin Schulz war in Brüssel Teilhaber einer großen Koalition. Er machte bereits in Brüssel große Versprechungen und schaffte am Ende Bedingungen, mit denen die Mindestlöhne in den EU-Ländern derart unter Druck gesetzt wurden, dass Millionen Menschen nicht mehr wissen, wovon sie ihre Familien ernähren sollen.

Wie auch jetzt, wo er als designierter SPD-Vorsitzender neuerdings Bundeskanzler werden will, da will er, wie wir alle erfahren, „Deutschland gerechter machen„. Herr Schulz spielt vor Wahlen gerne eine Melodie, die wir mitsingen sollen. In Griechenland hat man ihn von seiner anderen Seite kennengelernt. Die Löhne um 40 Prozent gekürzt, das Gesundheitssystem zerstört und die Flächentarifverträge ausgehöhlt. Während immer größere Teile der griechischen Bevölkerung am Ende des Monats hungern und kein Heizmaterial haben, erklärte Schulz als harter Verteidiger der asozialen Sparpolitik: „Arbeitslosigkeit bedeutet Armut. Aber der Verlust ist nicht nur materiell. Arbeit gibt Würde. Arbeit gibt Sinn. Arbeit ermöglicht Teilhabe an der Gesellschaft. Das heißt im Umkehrschluss: Arbeitslosigkeit entwürdigt. Arbeitslosigkeit entzieht Sinn. Arbeitslosigkeit verhindert Teilhabe.“ Das Credo seiner Predigt war und ist: besser für viel weniger Kohle arbeiten als keine Arbeit zu haben.

Auch die vermeintliche Abwehr von rassistischer Hetze gegen die sogenannte „Armutszuwanderung“ ist verlogen. Denn „es ist Unsinn, zu behaupten, dass jeder sofort Sozialhilfe bekommen kann“, sagte Schulz. Richtig, das hat nämlich die Bundesregierung mit ihrem Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen beendet. Menschen, die zuvor durch die „spezifischen Besonderheiten“ ihres Landes in Armut gestürzt wurden und nach Arbeit in Deutschland suchen, wird Hartz IV verweigert.

Einen wahren Satz hat Martin Schulz als EU Politiker in Brüssel gesagt: „Wenn ich Kommissionspräsident bin, dann werde ich den Wirtschaftsstandort Europa schützen und zukunftsfähig machen!“ Das entspricht seiner bisherigen Politik und den Interessen der deutschen Banken und Konzerne.

Die Schamesröte steigt ihm nicht ins Gesicht, denn ein politisches Schamgefühl kennen die SPD-Oberen nicht, wenn es um Ministerposten geht. In der SPD schämen sich nur die Unteren. Und deshalb sind sie jetzt erst mal froh, dass sie den Dicken aus Goslar endlich austauschen dürfen gegen den Dünnen aus Würselen.

Wenn es der SPD und ihrem neuen politischen Führer Martin Schulz tatsächlich um mehr Gerechtigkeit in Deutschland ginge, nämlich um höhere Löhne nebst der Wiedereinführung der paritätischen Sozialversicherungen, um bezahlbare und barrierefreie Wohnungen, um sichere Renten und auskömmliche Grundsicherung, um ein besseres und gerechteres und inklusives Bildungssystem, um eine barrierefreie, zeitgemäße und umweltgerechte Verkehrsinfrastruktur, um eine konsequente und umweltschonende Energiewende, ein bedarfsgerechtes modernes klassenloses Gesundheitssystem, um ein demokratisch kontrolliertes Finanzsystem, um ein gerechtes Steuersystem unter angemessener Beteiligung der Vermögensmillionäre und Superreichen, um Inklusion und echte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen, um die massive Förderung bäuerlicher Betriebe zugunsten der biologischen Landwirtschaft, um gerechte Weltmarktpreise als Voraussetzung für die Beseitigung von Armut, Verelendung und andere Fluchtursachen wie Krieg und Vertreibung, um einen Stopp des Rüstungsexports und der Kriegsbeteiligung der Bundeswehr mitsamt wirksamen politischen Initiativen zur Bekämpfung von Krieg und Terror, um die Beseitigung der Investitionsblockaden des gewaltigen Reformstaus in der Gesellschaft und um eine Politik gegen einen rückwärtsgewandten Nationalismus, gegen Rassismus und gegen Fremdenfeindlichkeit, dann nur zu!

Der Reformstau ist riesig. Es gäbe für eine Politik des demokratischen Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit bereits jetzt eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag. Doch wie der Alkoholiker, der angeblich nur noch die angebrochenen Schnapsflaschen leeren will, bevor er zu saufen aufhört, will die SPD ihre Versprechungen erst nach der Bundestagswahl einlösen. Prost!

Bis zur Bundestagswahl im September hätten die Sozialdemokraten jetzt noch ein halbes Jahr Zeit, den Menschen in Deutschland zu zeigen, wie ernst es ihnen damit ist, demokratische Reformen in Regierungspolitik umzusetzen. Martin Schulz könnte schon jetzt mit der bereits bestehenden rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag zum Bundeskanzler gewählt werden. Glaubwürdigkeit muss bewiesen werden. Für sozialdemokratische Lippenbekenntnisse gibt es keinen Kredit mehr.

Ein konsequenter und nachhaltiger Politikwechsel für soziale Gerechtigkeit durch die Option einer rot-rot-grünen Koalition braucht jedoch noch viel mehr Druck von der Straße und aus den Betrieben. Die Behindertenbewegung hat dazu einen ersten Schritt gemacht.