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UNBEKANNT (KOBINET) Die Schwarmdummheit in der Politik erreicht gegenüber jeder Schwarmintelligenz unter den entsprechenden politischen Verhältnissen immer wieder zyklisch neue Höhepunkte in Gestalt der nächst höheren Version. Nach dem totalen Zusammenbruch 1945 hat der Casinokapitalismus die Restauration, die Individualisierung und die Entsolidarisierung, nun die politische und gesellschaftliche Schwarmdummheit der Version 4.0 erreicht.
Nun bin ich seit meinem zwölften Lebensjahr ein bekennender Sechzger. Das sind die Anhänger der Münchner Löwen, die dem TSV 1860 München verschworen sind. Diese sind, um es auch den Unkundigen wissen zu machen, so etwas wie der dialektische Gegensatz zu den für mein Sprachvermögen Unaussprechlichen, welche sich als der FC Bayern München etikettieren, die Widersacher aus der anderen Welt in der gleichen. Mein von Herzen hoch geschätzter Redaktionskollege Ottmar Miles-Paul weiß wovon ich rede, gehört er doch ganz und gar den Roten an, während ich ein Blauer bin. Seine sind die Oberen, meine sind die Unteren. (Er sorgt sich, wenn auch wenig, um das kommende Ende der guten Zeiten, und ich warte ungeduldig auf bessere Zeiten.) Gemeinsam ist uns die Vorfreude auf ein schon so lange vermisstes Aufeinandertreffen im Münchner Derby.
Bei allem, was wichtiger und bedeutender ist im Leben: „So blöd sind wir nur gemeinsam“ (so die Redakteurin des Handelsblatts Katrin Terpitz) und „gemeinsam sind wir nicht automatisch schlauer“ (schreibt der deutsch-österreichische Journalist und Autor Wolf Lotter).
Doch für das Schwärmen und für die Dummheit ist jetzt nicht die Zeit.
Dagegen scheint die kollektive Intelligenz zu stehen, die man auch als Gruppen- oder Schwarmintelligenz bezeichnet, sie entspricht der politiktheoretischen These jenes Naturphilosophen Aristoteles, der 367 v. Chr. als 17-Jähriger in Platons Akademie in Athen eintrat. „Ihr zufolge kann die Entscheidung einer größeren Gruppe von Menschen besser sein, als die weniger Einzelner oder Fachkundiger. Die These ist bisweilen als ein aristotelisches Argument für die demokratische Staatsform gewertet worden“, heißt es bei Wikipedia.
In der Soziologie verstehen manche unter der Schwarmintelligenz die Fähigkeit zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung bei gemeinsamer Aufgabenstellung. Leider jedoch, so will mir scheinen, funktioniert die Schwarmintelligenz nicht immer und nicht überall und nicht zu jeder Zeit und nicht unter allen Bedingungen und schon garnicht in der Politik, wie wir sie kennen, wo das Dumm-Einfache immer gewinnt.
Schwarmintelligenz funktioniert nicht in der Politik. Unter den uns bekannten bestehenden politischen Verhältnissen wird die herrschende Politik beherrscht von der Inkompetenz, denn inkompetente Politiker klammern sich stets an die bestehenden Verhältnisse, aus denen heraus sie in die politische Macht gesetzt wurden. So stehen die herrschenden Politiker stets in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Weiterbestehen der politischen Verhältnisse. Kluge Ideen haben bei ihnen keine Chance, weil durch kluge Ideen ihre politische Existenz bedroht sein könnte. Schon deshalb sind sie außerstande, kluge, gerechte oder intelligent einfache Ideen als solche zu erkennen. So bevorzugen die Inkompetenten stets das Inkompetente. Politisches Versagen fügt auf diese Weise stets einer bestehenden Leere eine neu entstehende Leere hinzu, die durch weiteres politisches Versagen, Inkompetenz, Begriffsstutzigkeit und neue Untätigkeit wieder ausgefüllt wird. Die Sorge inkompetenter Politiker, auf diese Weise unbeliebt werden zu können, weicht stets der Furcht überflüssig zu sein.
So erreicht die Schwarmdummheit in der Politik gegenüber jeder Schwarmintelligenz unter den entsprechenden politischen Verhältnissen immer wieder zyklisch neue Höhepunkte in Gestalt der nächst höheren Version. Nach dem totalen Zusammenbruch 1945 hat der Casinokapitalismus die Restauration, die Individualisierung und die Entsolidarisierung, nun die politische und gesellschaftliche Schwarmdummheit der Version 4.0 erreicht.
Nichts geht mehr. Rien ne va plus. Aus die Maus. Das Spiel ist aus.
Frustration und Unbehagen dominieren die Menschen in Deutschland, zunehmend werden sie skeptisch gegenüber ihren Politikern. Die Wolkenschieberei der „Trickle-down-Theorie“, wonach ungebremstes endloses Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen nach und nach durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würden, ist schon seit langer Zeit ein stotternder Motor, der längst den Kolbenfresser hat.
Wo jetzt sogar die Rest-SPD als Krücke der wirtschaftsliberalen Unionsparteien durch ein betrügerisches Bundesteilhabegesetz die Enteignung behinderter Menschen verschärfen wird, um die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben ungebremst fortsetzen zu können, ist der Offenbarungseid als Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ausgesprochen. Statt dem Recht auf Teilhabe sollen wir uns weiter als Bittsteller der Wohlfahrt anstellen. Doch die „Wohltätigkeit ist das Ersaufen des Rechts im Mistloch der Gnade“, schrieb Ende des 18. Jahrhunderts der Aufklärer, Sozialreformer, Politiker, Philosoph und Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi.
Die bestehenden politischen Verhältnisse befinden sich in einem Zustand, in dem sie den Anforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft nicht mehr gerecht werden können und den gesellschaftlichen Fortschritt blockieren. Alle spüren, dass der Zeitpunkt heranreift für die grundlegende Systemwende.
Aber aufgepasst! Der Wähler legitimiert die Wahl, mit der die Entscheidungen der Politiker gegen ihre Wähler ermöglicht werden. „Um ein Volk so dumm als möglich zu machen und unempfindlich gegen jeden Druck ist nichts besser als tausenderlei Spektakel und Zeremonien. Dadurch wird die allerauswendigste Schaulust erweckt, wodurch der Mensch in den rein tierischen Zustand zurücksinkt und völlig verblödet“, erkannte bereits vor 200 Jahren der österreichische Musiker Jakob Lorber.
Mehr denn je kommt es jetzt darauf an, den rechten Rattenfängern, die natürlich wieder gestiefelt und gespornt bereitstehen, um mit ihrem primitiven Rassenhass und Nationalismus die Verzweifelten und Bedrängten in ihrer wachsenden Not vom Erkennen der Ursachen abzulenken und sie zu verführen versuchen, sich mit „Sieg-Heil“ in die braune Kloake zu stürzen, nicht auf den Leim zu gehen. „Es tut halt so sauwohl, keinen Verstand zu haben, dass die Sterblichen um Erlösung von allen möglichen Nöten lieber bitten, als um Befreiung von der Torheit“, erkannte bereits 1509 der niederländische Humanist Erasmus von Rotterdam.