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BERLIN (KOBINET) Kurz bevor der Gesetzentwurf für ein Bundesteilhabegesetz am kommenden Dienstag aller Voraussicht nach das Licht der Welt erblickt, sprach kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul mit der Inklusionsobtschafterin und Juristin Maria Henschel über die bisherigen Vorschläge im Rahmen des Referententwurfs.
kobinet-nachrichten: Über die Abschaffung der Anrechnung des Einkommens und Vermögens wird derzeit im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes sehr viel diskutiert. Wie wird das Thema in rechtlicher Hinsicht behandelt? Gibt es dazu einige interessante Urteile?
Maria Henschel: Es gibt vor allem zwei interessante Urteile. Das eine Urteil vom Sozialgericht (SG) Karlsruhe vom 21.05.2013 mit dem AZ: S 1 SO 1369/ 12 war auch der Stein des Anstoßes, wodurch die Diskussion zum „Recht auf Sparen“ wohl endgültig ausgelöst wurde. Hierbei ging es um einen Kläger, der sowohl schwerst behindert als auch erwerbstätig war. Sein Einkommen blieb anrechnungsfrei, darüberhinaus wurde ihm zugestanden, dass er auf ein Kfz, welches sich im finanziellen Rahmen des § 87 Abs. 3 SGB 12 bewegt, sparen durfte. Jedoch wurde anderweitig Erspartes als verwertbares Vermögen angesehen. Das Angesparte sollte dem Kläger als spätere Altersvorsorge dienen, dabei ging es um einen Betrag in Höhe von 3,498,29 €. Gegen diese Anrechnung wehrte sich der Kläger mit dem Hinweis, dass ein Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vorliege, besonders gegen die Art.5 Abs. 2, Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 28 Abs.1 UN-BRK. Dieses Anliegen wurde vom Gericht aber kategorisch abgelehnt.
Daneben gab es im April diesen Jahres einen Beschluss vom Bundessozialgericht (BSG) vom 22.04.2016 (Aktenzeichen B 8 SO 139/15 B). Die Klägerin wollte in diesem Fall die Zulassung der Revision bzgl. des Urteils des Landessozialgerichts NRW vom 12.11.2015, AZ. L 12 SO 63/15… erreichen. In der Sache ging es um eine „wesentlich behinderte“ Klägerin, die ebenfalls erwerbstätig war. Sie erhielt die Pflegestufe II und stellte die Pflege durch selbst engagierte Pflegekräfte sicher. Die Klägerin wollte in den vorherigen Instanzen die Übernahme für die das Pflegegeld übersteigenden Assistenzpflegekosten erreichen. Das LSG führte aus, dass die Klägerin diese Kosten selbst zu tragen habe, da ihr Einkommen und Vermögen dafür herangezogen werden kann. Dieses überschreite nämlich die maßgeblichen Grenzen nach §§ 85 ff SGB 12.
Die Klägerin machte geltend, dass die Sache einerseits eine grundsätzliche Bedeutung habe und somit zu entscheiden wäre und, dass sie nicht frei über ihr Einkommen und Vermögen verfügen könne und demzufolge ein Verstoß gegen Art. 3 Abs.3 S.2 GG bestehe. Die Klägerin formulierte den Vorwurf treffenderweise, dass sie „behinderungsbedingt arm gemacht (werde)“. Das Gericht ließ die Revision nicht zu, mit der Argumentation, dass die Klägerin die Klärungsfähigkeit bzw. Entscheidungserheblichkeit nicht ausreichend dargelegt hätte.
Zwischen den beiden Urteilen bzw. dem Beschluss des BSG liegen gut drei Jahre. Während dieser Zeit hat sich auf Seiten behinderter Menschen immer mehr Widerstand gegen die Regelung zur Anrechnung des Einkommens und für ein „Recht auf Sparen“ geregt. Es wurden verschiedene Aktionen und Petitionen gestartet, außerdem wurden unterschiedliche Plattformen wie „www.teilhabegesetz.org“, oder „nichtmeingesetz“ eingerichtet. Allerdings zeigt vor allem der jüngste Beschluss, dass die Bestrebungen und Anstrengungen von den unmittelbar Betroffenen sowie diversen Behindertenverbänden wie der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) ungehört bleiben, obwohl von allen Seiten legitime Kritik zu vernehmen ist.
kobinet-nachrichen: Wie erleben Sie die derzeitigen Vorschläge im Rahmen des Referentenentwurfs zum Bundesteilhabegesetz zur Anrechnung des Einkommens und Vermögens aus juristischer Sicht?
Maria Henschel: Generell sieht der Referentenentwurf vom 26.04.2016 eine Umstrukturierung des Behindertenrechts im Rahmen des Sozialgesetzbuchs (SGB) vor. Dies erscheint wieder als bloße Kosmetik, jedoch ergeben sich besonders im Bezug auf die Anrechnung von Vermögen und Einkommen sowie dem Verhältnis zwischen Eingliederungshilfe und Pflegebedürftigkeit neue Regelungen. Dazu ist ein vergleichender Blick auf die alte und auf die neue Rechtslage nötig.
Nach bisheriger Rechtslage war es so, dass nach § 13 Abs. 5 SGB 11 Leistungen nach der Pflegeversicherung nicht als Einkommen angesehen wurden und auch bei der Berechnung anderer Sozialleistungen nicht berücksichtigt wurden. Dies bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen unabhängig davon, ob sie Leistungen zur Teilhabe erhielten, auch anderweitige Leistungen geltend machen konnten. Dazu zählten beispielsweise sowohl die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt als auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 34 Abs. 2 und § 96 a SGB 6. Ebenso ohne Anrechnung war das weitergeleitete Pflegegeld bei Leistungen, bei denen die Bedürftigkeit von Pflegebedürftigen und Pflegenden aus dem gemeinsamen Einkommen ermittelt wurde. Denn die Leistungen der Pflegeversicherung sollten gerade nicht zum Bestreiten des Lebensunterhalts des Pflegebedürftigen dienen, sondern die Deckung besonderer Bedürfnisse ermöglichen, die regelmäßig mit einer Pflegebedürftigkeit einhergehen.
Nunmehr ist es nach dem Referentenentwurf so, dass der Personenkreis bzgl. der Eingliederungshilfe nach § 90 SGB 9 erhebliche Leistungseinschränkungen erfährt, da andere Kriterien angelegt werden und der Ermessensspielraum der Behörde quasi wegfällt. Eingliederungshilfe wird nur noch gewährt, sofern fünf von neun Lebensbereichen tangiert werden gem. § 99 SGB 9, wozu allerdings die Kommunikation nicht mehr zählen soll. Desweiteren können Personen, die Hilfe zur Pflege erhalten, nach wie vor nur Vermögen bis zur Grenze von 2.600 € behalten. Es wird somit nicht mehr der Einzelfall betrachtet, sondern eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt. Die individuellen Bedürfnisse fallen zum Vorteil der Wirtschaftlichkeit unter den Tisch. Dabei sah der Arbeitsentwurf zum Bundesteilhabegesetz vom Dezember 2015 noch ein sog. Bundesteilhabegeld vor (vgl. S. 2, ArbeitsEnt, BTHG, 18.12.2015, Bearbeitungsstand: 04.04.2016) und wollte, dass die Leistungen stärker am persönlichen Bedarf, also personenzentriert, orientiert werden.
Im Referentenentwurf finden sich zwar die gleichen Formulierungen, jedoch zeigt die angestrebte Umsetzung, dass es vielmehr um Einsparungen geht und eben nicht die Belange der Menschen mit Behinderungen im Vordergrund stehen. Dies kritisierte auch das Forum behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) in seiner Stellungnahme zum Bundesteilhabegesetz (BTHG). Sie zeigen auf, dass eine finanzielle Besserstellung nicht stattfindet, sondern sogar eine Verschlechterung in Aussicht steht, da die Leistungen der Eingliederungshilfe vom Einkommen und Vermögen der Leistungsberechtigten abhängig gemacht werden und bei gleichzeitigem Bezug von anderen Fachleistungen die Betroffenen mehrfach herangezogen werden, vgl., Stellungnahme des FbJJ zum RefEntw.BTHG, 17.05. 2016, S. 9 ff , 23 ff).
Neben dem System der Eingliederungshilfe soll auch die Anrechnung des Einkommens novelliert werden. Bisher fanden sich die Normen, welche die Anrechnung des Einkommens und des Vermögens legitimieren sollten, im Elften Abschnitt des Sozialgesetzbuch (SGB) 12 unter §§ 19 Absatz (Abs.) 3, 87 und § 90. Nach § 87 SGB 12 in seiner bisherigen Fassung wird aufgezeigt, welche Folge eintritt, wenn Einkommen über die angegeben Einkommensgrenze erzielt wird. Aber es wird auch eine Ausnahmeregelung statuiert, nämlich für die Anschaffung langlebiger Bedarfsgegenstände (§ 87 Abs. 3 SGB 12). Dazu kann der Betroffene aus drei Monatseinkommen bzw. bis zu einer Höhe von drei Monatseinkommen einen Betrag ansparen, um eben solche Gegenstände erwerben zu können. Dazu zählt vor allem die Anschaffung eines Autos. Darunter fallen jedoch nicht ebenso wichtige Dinge wie Möbel, Zahnersatz usw. Das Auto selbst kann damit einerseits nur einen gewissen Kaufpreis haben und andererseits wird die betreffende Person gezwungen, sich mit einem recht geringen Lebensstandard zu arrangieren, im schlimmsten Fall – überspitzt ausgedrückt – auch möbel- oder zahnlos leben zu müssen.
Der § 90 SGB 12 regelt dagegen den Einsatz des Vermögens, benennt die Grenze von 2.600 € und definiert das Schonvermögen bzw. Härtevermögen (§ 90 Abs. 2, 3 SGB 12). Mit dieser Norm soll dem Betroffenen eigentlich ein gewisser Spielraum der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit erhalten bleiben. Darüberhinaus ergibt sich aus den Vorschriften, dass der Gesetzgeber einen gewissen Beurteilungsspielraum bzgl. der Zumutbarkeit zur Anrechnung des Vermögens für die jeweilige Behörde eröffnet hat. Bei dem Begriff der Zumutbarkeit handelt es sich um einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff, d.h. es bedarf einer Konkretisierung des jeweiligen Begriffs durch die Gerichte, damit dieser mit „Leben gefüllt“ wird. Desweiteren soll gerade der Einzelfall und die mögliche individuelle Härte beachtet werden.
In der eingangs genannten Entscheidung des SG Karlsruhe war es so, dass dem Kläger zwar das Einkommen als anrechnungsfrei verblieb, jedoch, sobald der Freibetrag von den 2.600 € nach der Verordnung (VO) zu § 90 II Nr. 9 SGB 12 erreicht war, ein Abzug stattfand. Letztlich wurde damit durch die Hintertür das Einkommen doch angerechnet, da die betreffende Person eben nicht über den genannten Freibetrag kommen darf. Es ist sogar so, was schon als zynisch anzusehen ist, dass das Gericht selbst im Urteil vom Mai 2013 darauf hinweist, dass das angesparte Vermögen für eine angemessene Altersvorsorge in keiner Weise ausreicht und somit nicht als Schonvermögen anzusehen ist (S. 8, Rn. 31 des Urteils). Damit musste dieses Vermögen ebenfalls verwertet werden. Somit nützt auch der Beurteilungsspielraum nichts, wenn er denn nicht im Sinne des Betreffenden, nämlich des Empfängers, genutzt wird.
Im Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz wird von einer stufenweisen Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen gesprochen. Dabei wird postuliert, dass die Bezieher von Leistungen der Eingliederungshilfe von den Anrechnungen ihres Erwerbseinkommen und des erhöhten Freibetrags profitieren würden, da damit eine angemessene Lebensführung sowie Alterssicherung ermöglicht werden würde. Außerdem soll anstelle des Anrechnungsverfahrens ein Eigenbeitragsverfahren treten, jedoch erst zum 1.Januar 2020. Dies bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen mit ihrem Einkommen zu den Aufwendungen der Eingliederungshilfe, sofern sie über die Freibetragsgrenze kommen, beitragen sollen. Dadurch würde dem Betroffenen mehr an Einkommen verbleiben und durch diese Taktik soll auch ein Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit geschaffen werden. Allerdings birgt das Eigenbeitragsverfahren die Problematik in sich, dass, obwohl es dem Grunde nach ein guter Gedanke ist, letztlich nur der Begriff des Anrechnungsverfahren durch den des Eigenbeitragsverfahren ersetzt wurde. Denn anstatt auf das Einkommen direkt, wird nun auf die über die Freibetragsgrenze hinausgehende Summe zurückgegriffen, nach § 92 SGB 9 neue Fassung, vgl. S. 64, RefEntw., BTHG, 26.04.2016).
Beschäftigte in Werkstätten sollen eine Besserstellung dadurch erfahren, dass ein gewisser Beitrag ihres Arbeitsentgelts auf die Grundsicherungsleistung angerechnet wird. Generell soll sich am individuellen Bedarfsfall orientiert werden. Eine Erhöhung der sog. Ausgleichsabgabe nach § 71 Abs. 1 SGB 9 für Unternehmen und ebenso eine Novellierung des § 140 Abs. 1 SGB 9 wird nicht einmal erwähnt. Es verwundert nicht, dass sich dagegen Erstaunen und auch Widerstand geregt hat. Eine Anrechnung führt im Allgemeinen gewiss zu keiner finanziellen Besserstellung. Ebenso interessant ist, dass im Entwurf von Arbeitsentgelt gesprochen wird, obwohl den Beschäftigten in einer Werkstatt für behinderte Menschen der Mindestlohn verwehrt wird, da es laut dem ArbG Kiel kein arbeitsähnliches Beschäftigungsverhältnis wäre.
Zwar wurde in Folge der genannten Aktionen und Initiativen der Freibetrag nun auf 25.000 € erhöht, jedoch wird die Erhöhung der Freibetragsgrenze auch als kritisch angesehen (S. 11 f der Stellungnahme des FbJJ zum RefEw. BTHG,17.05.2016 ). Es dürfte für einen Menschen mit Behinderungen per se eine Herausforderung sein, den Betrag zu erreichen, da besonders diejenigen Personen, die in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung tätig sind, nicht derart entlohnt werden, dass sie solche Spareinlagen ansammeln könnten. In den Werkstätten wird nämlich oftmals kein Mindestlohn gezahlt, sodass ein Ansparen geradezu unmöglich gemacht wird. Es ist also vor allem an der Lage von Menschen mit Behinderungen generell etwas zu ändern, wie zumindest die Zahlung des Mindestlohns in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Allerdings belegen aktuelle Studien, dass der momentane Mindestlohn von 8,50 € zur Deckung der alltäglichen Lebenshaltungskosten in keiner Weise ausreicht. Damit wäre nicht nur die Einführung des Mindestlohns, sondern auch eine generelle deutliche, realistische Anhebung wünschenswert. Dies würde eine tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen mit Menschen ohne Behinderungen darstellen. Dazu gehört vor allem auch die Möglichkeit, mittels Vermögen eine finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen.
Dies forderte übrigens bereits Die Linke 2006, als sie ein Gesetz zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile (NAG) forderte. Kernpunkt war hier, dass Leistungen des Nachteilsausgleichs gerade kein Einkommen darstellen sollten. Jedoch gab es besonders 2013, im Zuge der Bundestagswahlen, diverse Forderungen nach einer vermögens- und einkommensunabhängigen Eingliederungshilfe. Diese Vorschläge scheinen im Referentenentwurf keinen Anklang gefunden zu haben und auch die Sensibilisierung, dass es mit einer Erhöhung der Einkommensgrenze nicht getan ist, fehlt. Denn für Personen, die in einer Werkstatt tätig sind und auch für diejenigen, die es auf den 1. Arbeitsmarkt geschafft und sich behauptet haben, findet eine Diskriminierung in dergestalt statt, da sie nie den – wenn auch nur theoretisch möglichen – gleichen Lebensstandard erreichen wie ein Kollege ohne Einschränkung bzw. Behinderung.
Menschen mit Behinderungen werden wirtschaftlich somit mehrfach herabgestuft. Einerseits verdienen sie nicht genug, um überhaupt jemals für beispielsweise eine Altersvorsorge sparen zu können und andererseits darf nicht mehr als 25.000 € angespart werden. Entgegen der Auffassung der Gerichte stellt diese Vorgehensweise einen Verstoß gegen den speziellen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 III 2 GG dar, wonach „Niemand (…) wegen seiner Behinderung benachteiligt werden (darf)“ und läuft somit dem Grundgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention zuwider. Besonders den Art. 2 und 28 UN-BRK, in denen einerseits der Diskriminierungsbegriff aufgezeigt wird und andererseits das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz statuiert wird.
Die Forderungen seitens des Forums behinderter Juristinnen und Juristen sind daher der Verzicht auf eine Einkommens- oder Vermögensanrechnung bzw., dass auf eine Beitragserhebung aus dem Einkommen und Vermögen im Rahmen aller Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen einschließlich der Eingliederungshilfe verzichtet wird. Damit würde den Betroffenen überhaupt eine Sparmöglichkeit gegeben werden. Sofern dies nicht erfolgt, soll eben nicht das Brutto -, sondern, das Nettoeinkommen als Berechnungsgrundlage dienen.
Desweiteren sollte ein Abzug behinderungsspezifischer Aufwendungen, eine deutliche Erhöhung der Freibeträge und eine deutliche Begrenzung der Anrechnung des übersteigenden Einkommens und damit verbunden eine klare Perspektive für einen vollständigen Ausstieg aus der Bedürftigkeitsprüfung sowie den Verzicht auf weitere Einkommens- und Vermögensanrechnungen bei dem Bezug weiterer Fachleistungen, (S.8 – 9 , Vorläufige Stellungnahme des FbJJ zum Arbeitsentw. BTHG, 18.05.2015 mit Bearbeitungsstand vom 04.04.2016) vorgenommen werden.
Neben den aktuellen Vorschlägen für ein tatsächlich besseres BTHG, gab es u.a. auch vom DGB Rückenwind für die Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen (vgl. Sechs gemeinsame Kernforderungen zum RefE. BTHG vom 26. 04.2016). Die Kritik und die Vorschläge des FbJJ und der anderen beteiligten Verbände wie der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) blieben, trotz Involvierung und Anhörung, letztlich ungehört. Dies erweckt einmal mehr den Eindruck von bloßer Makulatur. Was einer inklusiven Gesellschaft alles andere als förderlich ist. Ich sehe auch keinerlei Kompromissbereitschaft. Sofern nämlich Menschen mit Behinderungen einerseits ein besserer finanzieller Rahmen ermöglicht wird, und andererseits keine vollständige, sondern je nach finanzieller Belastbarkeit eine anteilige Beteiligung an der Assistenz etc erfolgen würde, wäre beiden Seiten gedient. Dies wurde zwar im Referentenentwurf wohl angedacht, aber stellt sich als bloße Umetikettierung des Anrechnungverfahrens dar.
Der Beitrag an derartigen Leistungen müsste sich außerdem in einem nachvollziehbaren, ökonomisch-realistischen Rahmen bewegen, so dass den Betroffenen kein Leben am Existenzminimum oder die Aufgabe der hart erstrittenen Selbstständigkeit droht. Es ist sowohl aus juristischer Sicht als auch aus menschlicher Sicht mehr als unverständlich und letztlich wieder ein soziales Armutszeugnis für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Ich kann damit die Enttäuschung bei den Aktivisten sehr gut nachvollziehen.
kobinet-nachrichten: Sollten die derzeitigen Regelungen so verabschiedet werden, sehen Sie Möglichkeiten, diese juristisch durch Klagen nach der Verabschiedung des Gesetzes anzugreifen?
Maria Henschel: Bei den Bescheiden, die die Ämter erlassen, von denen die Betroffenen Leistungen erhalten, handelt es sich um Verwaltungsakte. Es gibt die Möglichkeit spezifischer Verwaltungsverfahren, um gegen diese vorzugehen. Diese sind u.a. in den §§ 54 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie in § 8 SGB 10 und § 118 ff SGB 9, in seiner bisherigen Fassung, geregelt. Sofern ein Bescheid einer Behörde vorliegt, kann Widerspruch erhoben werden. Ist dieser ohne Erfolg, können verschiedene Klagen zur Anwendung kommen. Geht es in der Sache um einen Bescheid, also einen Verwaltungsakt, so könnte sich der Adressat mit der Anfechtungsklage, der Verpflichtungsklage oder ggf. der Feststellungsklage zur Wehr setzen. Wird jedoch eine konkrete Leistung, ein sogenannter Realakt, angestrebt, könnte die Leistungsklage erhoben werden, und zwar in Form der allgemeinen Leistungsklage oder einer spezielleren Form, wie der Unterlassungsklage. Denkbar ist auch eine Kombination aus verschiedenen Klagen. So verhielt es sich in dem eingangs genannten Urteil des SG Karlsruhe. Es handelte sich dabei um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Sollte eine Eilbedürftigkeit vorliegen, gibt es die sog. Eilrechtsschutzverfahren, die generell in §§ 80, 80 a bzw. § 123 VWGO geregelt sind.
Führen die Klagen bei den ordentlichen Gerichten nicht zum Erfolg, ist der Rechtswegs also erschöpft, kann über eine Verfassungsbeschwerde nachgedacht werden. Bei einem Urteil wäre eine Urteilsverfassungsbeschwerde nötig. Sollte das Bundesteilhabegesetz grundsätzlich angegriffen werden, würde es sich um eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde handeln. Eine vorbeugende Normenkontrolle ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Bei allen Verfahren besteht jedoch die Problematik, dass die genaue Vorgehensweise etc. noch nicht barrierefrei wie in einfacher Sprache zugänglich sind und, dass die Gerichte zuweilen sehr streng an der Prüfung der Maßstäbe festhalten, wie der letztgenannte Beschluss zeigt. Es zeigt sich, auch wenn es rechtliche Wege gibt, gegen Bescheide etc. vorzugehen, diese leider nicht immer zum gewünschten Erfolg führen. Denn „Recht haben und Recht bekommen“ sind zuweilen unterschiedliche Dinge. Allerdings muss das Gesetz noch das vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff GG durchlaufen, ehe es verabschiedet bzw. verkündet wird. Erst dann ist ein direktes rechtliches Vorgehen möglich. Während des Prozesses bleibt den Betroffenen nur, weiterhin auf die Missstände aufmerksam zu machen und zu hoffen, dass sie die PolitikerInnen, die nun die sogenannten Lesungen des Entwurfs vornehmen, mit ihren Bedenken erreichen.
kobinet-nachrichten: Die Praxisgebühr von 10 Euro für Arztbesuche war ja auch eine Form der Eigenbeteiligung, die jedoch auf öffentlichen Druck hin abgeschafft wurde. Gibt es Bereiche, in denen ähnlich wie bei den Teilhabeleistungen für behinderte Menschen in Sachen Anrechnung des Einkommens und Vermögens vorgegangen wird?
Maria Henschel: Die Praxisgebühr in Höhe von 10 € pro Quartal, die 2004 eingeführt und dann zum 1. Januar 2013 wieder abgeschafft wurde, erfolgte eher weniger auf öffentlichen Druck seitens der Patienten, sondern wohl mehr auf Initiative der niedergelassenen Ärzte selbst. Denn durch die Einnahme entstand ein zusätzlicher, völlig überflüssiger Verwaltungsaufwand für Arztpraxen. Es ergaben sich mehr Kosten, da eine Koordinierung an die Krankenkassen nötig wurde, die auch mehr Zeit bezüglich der Abrechnung nötig machte. Wobei auch viele Ärzte davon ausgingen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient durch diese Gebühr negativ berührt werden würde. Der Effekt sollte außerdem sein, dass die Bürger seltener zum Arzt gehen würden, was nicht der Fall war, schließlich gibt es meist eine Indikation für einen Arztesuch. Außerdem sollte die Praxisgebühr eine neue Einkommensquelle für die gesetzliche Krankenversicherung schaffen. Dies wurde nicht direkt erreicht, da die Gebühr nur geringe Zusatzeinnahmen ausmachte. Vielmehr führte die radikale Einsparung durch die ebenfalls zum 1.Juli 2004 verabschiedete Gesundheitsreform zu einem Überschuss bei den gesetzlichen Krankenkassen.
Die Folgen der Reform bekommen nach wie vor die Versicherten zu spüren, da viele Leistungen aus den Katalogen der Krankenkassen gestrichen wurden und nun nur noch als sog. IGEL-Leistungen verfügbar sind. Vor diesem Hintergrund stellte die Gebühr eine Zumutung dar, zumal das Gesundheitssystem immer mehr unternehmerisch betrieben wird, wodurch die Wirtschaftsbilanz für die Krankenkassen etc. einen hohen Stellenwert bekommt. Die Praxisgebühr wurde außerdem nicht als Kassenbeitrag, sondern rechtlich als Vorsorgeaufwendung bewertet. Es handelte sich bei der Gebühr um außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Einkommenssteuergesetz (EStG). Somit war die Praxisgebühr steuerlich absetzbar. Steuermindernd war die Praxisgebühr allerdings nur, sofern die Summe der außergewöhnlichen Belastungen die zumutbare Belastung des Versicherten überschritt. Dies stellte vor allem für einkommensschwache Haushalte eine zusätzliche Belastung dar.
In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit (BT-DS- 17/11396 vom 07.11.2012) ist zu lesen, dass „…die Praxisgebühr nach § 28 Abs 4 SGB 5 ersatzlos zu streichen und bei der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB 5 zum Rechtszustand vor dem 22. September 2010 zurückzukehren (ist)“, (S. 3, BT-DS 17/11396). Das Scheitern der Gebühr wurde eingestanden, jedoch wohl vordergründig auf Druck der Ärzte-Lobby, verpackt als Nachgeben gegenüber den Patienten, damit diese die Reform als nicht mehr ganz so einschneidend erleben.
Zeitgleich mit der Abschaffung der Praxisgebühr wurde das sog. Assistenzpflegegesetz verabschiedet. Dieses Gesetz sieht als Kernpunkt vor, dass Menschen mit Behinderungen, die auf Grundlage des Arbeitgebermodells ihre Pflegekräfte selbst einstellen, nun, sofern eine stationäre Behandlung nötig wird, ihre eigene Assistenzperson mitnehmen können. Die AssistentInnen stellen logischerweise wichtige Bezugspersonen dar. Schließlich haben sich beide aufeinander eingestellt und eingespielt, was bei einer neuen, fremden Assistenz undenkbar wäre. Insofern scheint in diesem Bereich der Druck seitens der Betroffenen zum Teil auf fruchtbarem Boden gefallen zu sein. Jedoch gab es berechtigte Kritik, u.a. vom Paritätischen Gesamtverband. Das Problem ist nach wie vor, dass bestimmte Gruppen von Menschen mit Behinderungen, vor allem mit kognitiven Einschränkungen, davon nicht profitieren, da diese nur bedingt in der Lage sind, im Rahmen des Arbeitgebermodells eigene Pflegekräfte zu organisieren.
Es wird den betreffenden Personen immer ein Zugeständnis präsentiert, welches jedoch oftmals von den eigentlichen Vorstellungen der Betroffenen abweicht, da es wie so oft, an einem gemeinsamen, gleichberchtigten Dialog fehlt. Dies muss sich ändern, dann entsteht auch nicht mehr der Eindruck der bloßen Makulatur.
kobinet-nachrichten: Die Anrechnung des Einkommens und Vermögens ist ja ein enormer Einschnitt im Hinblick auf die Altersvorsorge, das Recht auf Sparen und die soziale Absicherung generell. Warum regt sich dagegen Ihrer Einschätzung nach so wenig Widerstand, bzw. warum denken Sie steht das Thema so am Rande der öffentlichen Auseinandersetzung?
Maria Henschel: Ich denke es hat, wie so oft und auch in anderen Bereichen, etwas mit der eigenen Betroffenheit zu tun. Solange keine eigene Betroffenheit vorliegt, besteht auch oftmals kein Interesse, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen. Allein die Vorstellung, dass durch eine Krankheit, einen Unfall oder einfach auf Grund von Alter eine Einschränkung auftreten kann, wird von den meisten Menschen verdrängt. Natürlich ist es keine schöne Vorstellung, aber leider durchaus möglich. Doch daher erklärt sich das Desinteresse, obwohl in der BRD ca. 12 Millionen Menschen mit Behinderungen leben. Durch diese Ignoranz ist diese Art der Benachteiligung und letztlich auch Bevormundung überhaupt erst möglich und findet sich jedoch nicht nur im Behindertenrecht. Die finanzielle Situation ist mit den Menschen vergleichbar, denen auch ein „Existenzminimum“ vorgeschrieben wird. Im Arbeitslosenrecht wird ebenso mit Zahlen gearbeitet, die völlig unrealistisch sind, weil diese viel zu gering bemessen werden im Hinblick auf die tatsächlichen Lebenskosten. Die alltäglichen Probleme von ALG2-EmpfängerInnen werden ebenso ausgeblendet, wie die täglichen Konflikte von Menschen mit Behinderungen, besonders in finanzieller Hinsicht.
Es gab in Deutschland im Mai 2016 offiziell laut der Agentur für Arbeit 2,664.014 Millionen arbeitslose BürgerInnen (Bundesagentur für Arbeit: Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland. Monatsbericht Mai 2016, S.72), nach anderen Schätzungen sind es 3,528.187 Millionen. Diese Menschen erfahren meistens keine Solidarität, denn dies würde bedeuten, dass eine Auseinandersetzung mit der Problematik stattfindet und dadurch die Möglichkeit in Betracht gezogen wird, dass jeder in eine solche Situation kommen kann.
Es ist also die gleiche Taktik. Es ist eine Art Verdrängung, nach dem Motto „Passiert mir schon nicht“ oder „Ich bin damit nicht gemeint“, aber jeder kann durch einen Unfall oder Krankheit eine körperliche und somit auch eine finanzielle Einschränkung erfahren. Darüber hinaus wird immer noch das Bild des makellosen immer funktionsfähigen Menschen propagiert. Insofern besteht sicher auch bei vielen die Sorge, dass, sobald zugegeben wird, dass die Belastbarkeit nachlässt, ein sozialer wie finanzieller Abstieg droht. Behinderungen, welcher Art auch immer, werden nicht als Vielfalt, sondern als Makel bzw. Krankheit angesehen, daher erfolgt kaum positive Resonanz aus der Bevölkerung. Die mediale Darstellung von Menschen mit Behinderungen ist zumeist verklärt oder suggeriert das Bild von hilflosen, kaum leistungsfähigen Menschen, wodurch, wie auch bei den diffamierenden Darstellungen von ALG2-EmpfängerInnen, Vorurteile gefördert werden.
Es muss sich somit insgesamt das Bild von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft ändern, was durch eine wirkliche Inklusion möglich wäre, wozu wiederum das Verstecken von Menschen in Werkstätten oder Heimen nicht beiträgt. Jedoch würde eine bessere finanzielle Flexibilität die Teilnahme auch von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und diese aus den Einrichtungen etc. in das alltägliche Leben bringen. Menschen mit Behinderungen sind, wie alle anderen Menschen auch, je nach Möglichkeit, leistungsfähige, starke Personen, die immer mehr auf ihre Rechte bestehen.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.