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MüNCHENBERNSDORF (KOBINET) Wie in der Atomwirtschaft liegt auch in der Behindertenpolitik vieles im Argen. In der Atompolitik sorgte die Katastrophe von Fukushima jedoch für einen gewaltigen Erkenntnisgewinn. Wie schaut unser Fukushima aus, in welcher Gestalt kommt dieser Erkenntnisgewinn in der Politik für behinderte Menschen daher, fragt sich Alexander Hübner, stellvertretender ForseA-Vorsitzender im Gespräch mit kobinet-Redakteur Gerhard Bartz.
kobinet: Muss es überhaupt zu einem einschneidenden, drastischen Moment wie in Japan kommen?
Hübner: Anscheinend ja! Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat einen Arbeitsentwurf erstellt, der – gemessen an den Erwartungen an ein faires Teilhabegesetz – für Menschen mit Behinderungen eine mittlere Katastrophe darstellt. Wohl auch deshalb wird die Präsentation immer und immer wieder verschoben.
kobinet: Es wird auch kolportiert, der Gesetzentwurf würde aufgrund der Koalitionsstreitereien als Pfand zurückgehalten.
Hübner: Das wäre ähnlich schlimm. Die Behindertenrechtskonvention wurde im Jahre 2009 in Deutschland uneingeschränkt und vorbehaltslos geltendes Recht. Seither weigern sich die Regierungen, die getroffenen Zusagen in die Sozialgesetze einzuarbeiten.
kobinet: Die Behindertenrechtskonvention gilt doch trotzdem!
Hübner: Sicher! Aber die Kostenträger haben jetzt zwei Gesetze zur Auswahl. Entgegen der Vorschrift, dass sie die veralteten Sozialgesetze im Lichte der neueren, Gleiches regelnden Vorschriften der Behindertenrechtskonvention auszulegen haben, wenden sie sehr oft die alten Gesetze nach deren Wortlaut an. Dies kann nur über den Rechtsweg korrigiert werden. Und hierzu fehlen den betroffenen Menschen die Zeit und natürlich auch das Geld – sie befinden sich in einer absoluten Notlage. Recht ist in Deutschland für viele Menschen zu einem Luxusgut geworden.
kobinet: Welche der bisherigen Regelungen kritisieren Sie besonders?
Hübner: Zunächst den gesamten Komplex der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Hier geht unsere Gesellschaft und mit ihr die Politik (oder umgekehrt) nach wie vor vom mittelalterlichen Verschuldungsprinzip aus und straft über die Enteignung die Menschen, die einen gesetzlich verbürgten Nachteilsausgleich in Anspruch nehmen. Aber auch der § 58 des SGB XII wird Menschen, die noch selbst ihr Leben steuern können, in keiner Weise gerecht. Hier wird Heerscharen von „Sachverständigen“ („mit dem behinderten Menschen und den sonst im Einzelfall Beteiligten“, Träger der Sozialhilfe, behandelndem Arzt, Gesundheitsamt, Landesarzt, Jugendamt, Bundesagentur für Arbeit) die Möglichkeit eröffnet, sich mit beiden Beinen in unser Leben zu stellen und dieses mit zu planen. Entzieht sich der behinderte Mensch dieser Einflussnahme, begeht er eine sozialgesetzliche „Todsünde“ und die Leistung wird verweigert. Kein Mensch ohne Behinderung muss sich derartige Eingriffe in seine Lebensgestaltung gefallen lassen. In Sozialämtern geben sich die Sachbearbeiter oft mit Wonne dieser Aufgabe hin. Beispiele hierfür hat ForseA in seinen „Geschichten aus Absurdistan“ gesammelt. Dabei macht man auch vor Kleinigkeiten keinen Halt. Da der Wasserverbrauch und die Müllgebühren einkommensmindernd wirken, schrieb ein Sozialhilfeträger, der Antragsteller solle auf einen kleineren Mülleimer umsteigen und den Wasserverbrauch wesentlich verringern. Zukünftig werde man nur noch geringere Beträge einkommensmindernd anerkennen. In einem anderen Fall ignorierte der Kostenträger die Rechnung für einen Motorschaden von nahezu 5000 Euro an einem Auto, dessen Umbau dieselbe Behörde zuvor gefördert hatte und errechnete in diesem Monat noch einen zumutbaren Eigenanteil in Höhe von beinahe 500 Euro.
kobinet: Gibt es noch weitere Beispiele?
Hübner: Natürlich, in dieser Büchse der Pandora ist für alle etwas drin! Neuerdings behauptet ein Bezirk in Bayern, dass es nur noch Persönliche Budgets gebe, Spitzabrechnungen würden zukünftig nicht mehr durchgeführt. Obwohl der § 17 SGB IX nach wie vor davon ausgeht, dass das Budget als Erstattungsart ausgewählt werden kann und beantragt werden muss, deutet hier der Kostenträger unsere Gesetze nach seinem Gutdünken um. In anderen Regionen – insbesondere im Süden der neuen Bundesländer – werden Bedarfe willkürlich gedrückt. Argumente dagegen bleiben unberücksichtigt. Einwände werden nicht beantwortet. So wurde eine schwerstbehinderte Frau, die rund um die Uhr Hilfebedarf hat, kürzlich von ihrem Lebensgefährten verlassen. Diesen hatte das Sozialamt verpflichtet, mehrfach in der Nacht Assistenzdienste zu leisten – unbezahlt, versteht sich. Tagsüber ging dieser einer körperlich schweren Arbeit nach. Das dort erzielte Entgelt musste er natürlich auch in großen Teilen für die Assistenzkosten seiner Lebensgefährtin abgeben. Irgendwann hat er dann entnervt aufgegeben und ist ausgezogen. Das ist eine Folge der „christlichen“ und „sozialen“ Behindertenpolitik der letzten Jahre. Und diese Volksvertreter erdreisten sich, die Entscheidung über ein Teilhabegesetz unter fadenscheinigsten Argumenten immer weiter vor sich herzuschieben. Das ist eine Verhöhnung der zehn Millionen Menschen mit Behinderung in unserem Land!
kobinet: Es kann ja auch noch andere Gründe für die Verzögerungen geben.
Hübner: Die Bundesregierung kennt natürlich auch den Artikel 4 der Behindertenrechtskonvention. Dort hat sie sich verpflichtet, „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen, alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen und Handlungen oder Praktiken, die mit diesem Übereinkommen unvereinbar sind, zu unterlassen.“
kobinet: Darin sehen Sie eine Schwierigkeit?
Hübner: Natürlich. Wenigstens dann, wenn der Gesetzentwurf Ähnlichkeit mit dem Arbeitsentwurf besitzt, der seit Jahresanfang unter dem Siegel der Vertraulichkeit bekannt wurde. Darin wurde deutlich, dass zumindest der gute Mensch, der dieses Papier erstellt hat, sich weder mit der Behindertenrechtskonvention noch mit den Protokollen der unzähligen Sitzungen ausreichend vertraut gemacht hatte, bei denen Verbände aus dem Behindertenbereich um ihre Ansichten zur Umsetzung der Konvention gebeten wurden. Ein Gesetz, das die Konvention verletzt, darf in Deutschland keine Gültigkeit erlangen!
kobinet: Gibt es weitere Argumente gegen den Arbeitsentwurf?
Hübner: ForseA begrüßt die derzeitige Aufwertung der Grundrechte in unserer Gesellschaft. War es zunächst nur der Artikel 16 GG, der das Recht auf Asyl regelt, erklärte unsere Bundeskanzlerin anhand der Causa Böhmermann/Erdogan, dass ihr der Artikel 5 GG, die Freiheit der Kunst, „höchstes Gut und nicht verhandelbar“ sei. Ähnlich äußerte sich die Kanzlerin zur Wertigkeit des Grundrechtes im Artikel 4 des Grundgesetzes, der Religionsfreiheit, als die AfD verkündete, sie wolle die Rechte der Moslems in Deutschland einschränken. Nun erwarten wir auch eine Stellungnahme der Kanzlerin zum Artikel 3 des Grundgesetzes. Dort ist zu lesen: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
kobinet: Oft war zu lesen, dass dieser Artikel zu schwammig formuliert sein soll.
Hübner: Was soll daran schwammig sein? Dieser Satz ist in leichter Sprache geschrieben. Auch Politiker sollten diesen verstehen und zur Umsetzung in der Lage sein. Aber wenn wir uns 20 Jahre lang einreden lassen, dass wir mit diesem Gesetz gerademal unsere Vesper einwickeln können, dann sind wir selbst daran schuld. Warum brauchte es erst das Bundesverfassungsgericht, um die Anwendung des Gesetzes zu demonstrieren?
kobinet: Und zwar?
Hübner: Das Bundesverfassungsgericht schrieb in einem Beschluss vom 10.10.2014 (Az.: 1 BvR 856/13), dass ein Gesetz, das mich als behinderten Menschen schlechter stellt als einen vergleichbaren Menschen ohne Behinderung, gegen die Verfassung verstößt. Dass das Bundesverfassungsgericht seiner Ansicht treu bleibt, konnte man gestern im kobinet-Artikel „Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde“ lesen. Hier waren zwei ForseA-Mitglieder sehr erfolgreich. Gratulation! Leider schließen sich nur wenige Vereine der Behindertenbewegung der ForseA-Forderung nach Umsetzung dieses Beschlusses an. Vermutlich können die meisten dieses Glück nicht fassen…
kobinet: Es liest sich aber auch zu schön, um wahr zu sein!
Hübner: ForseA hat in seiner Forderung nach einem fairen Teilhabegesetz zahlreiche Beispiele dafür aufgelistet, wo bestehende Gesetze gegen unsere Verfassung verstoßen. Diese Verstöße müssen bereinigt werden. Das ist die Aufgabe für das kommende Teilhabegesetz. Dies wird auch Geld kosten. Alles andere wäre Illusion. Aber es ist davon auszugehen, dass die Regierung dies bei der Unterschrift unter die Konvention gewusst hat. Und seit wann scheitern im reichen Deutschland Menschenrechte am Finanzierungsvorbehalt?
kobinet: Was erwarten Sie also am kommenden Freitag?
Hübner: Auf jeden Fall, dass die Große Koalition die Blockade des Gesetzentwurfes aufhebt, der Schleier beiseitegeschoben wird. Wir erwarten, dass dahinter ein Gesetzentwurf zum Vorschein kommt, der sowohl unserer Verfassung als auch der Behindertenrechtskonvention gerecht wird. Wir erwarten, dass die Regierenden endlich die Menschen mit Behinderung von den Schikanen, Nötigungen, Betrügereien sowie von Eingriffen in ihr Leben und Eigentum durch die Kostenträger befreit.
kobinet: Herr Hübner, wir bedanken uns für das Gespräch.