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Der Rand der Welt ist überall

Harald Reutershahn
Harald Reutershahn
Foto: hjr

UNBEKANNT (KOBINET) Vor 100 Jahren hatte Albert Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie vorgestellt, die das wissenschaftliche Weltbild der Menschheit revolutionierte. Doch die Welt ist in vielen Köpfen seither die alte geblieben. Es brennt sprichwörtlich der Weihnachtsbaum, wenn wir in diesen Tagen erleben, wie sich Terror und Krieg ungehemmt immer weiter ausbreiten. Zugleich werden die sogenannten "sozialen" Netzwerke wie Facebook von Gewaltphantasien und Hasspropaganda überflutet, in denen sich die ewig gestrigen Neonazis austoben gegen sogenannte "Ausländer", Flüchtlinge, Homosexuelle und Behinderte, für die angeblich der Staat das Geld zum Fenster hinausschmeißen würde.

Der Schein trügt. Und weil der Raum und die Zeit als eine Einheit untrennbar miteinander verbunden sind, wird durch jede Masse im Raum auch die Zeit gekrümmt, gestaucht und gedehnt. Die Zeit vergeht demnach unterschiedlich langsam oder schnell. Auf der Erde vergeht die Zeit beispielsweise schneller als in einem fliegenden Flugzeug.

Allein die Erdrotation sorgt nämlich bereits dafür, dass wir oben schneller sind als unten. Da nach Einsteins Relativitätstheorie die Zeit langsamer vergeht, je schneller man sich bewegt, altern wir stehend oder sitzend im Kopf langsamer als in den Füßen. In solch kleinen Dimensionen macht dies zwar weitaus weniger aus als einen Wimpernschlag. Wie sich in diesen Tagen jedoch herausstellt, scheint sich das bei manchen Menschen allerdings in Gestalt einer äußerst signifikanten Rückständigkeit gravierend bemerkbar zu machen.

Mittelalterliche Religionsfanatiker wie die barbarischen IS-Faschisten massakrieren massenhaft Menschen für einen wirrköpfigen „Gottesstaat“. Hoffnungslos verwickelt in eine aussichtslose Spirale der Gewaltlogik führen Militärmächte wie die USA, Russland, Großbritannien, Deutschland und Frankreich dagegen für ihre imperialistischen Ausbeutungsinteressen Kriege, die nicht enden und bei denen stets nur die Expansionsinteressen des Großkapitals im Visier sind und die Rüstungsindustrie profitiert. Man kämpft angeblich für einen Gott oder für die Menschenrechte. Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich die Götter und die Menschenrechte als Attrappen und Pappkameraden, die als Vorwand benutzt werden, um sich selbst zu bereichern und die Welt zu beherrschen. Fregatten, Tornados, Sturmgewehre. „Hurra, Hurra, die Deutschen, die sind da.“ Toll, das hat zum Frieden gefehlt.

Während die IS-Faschisten Menschen die Köpfe abschlagen, scheinen nach den Attentaten von Paris auch einige der selbsternannten Hüter der westlichen Freiheit kopflos geworden zu sein. „Wir wissen nicht, warum wir niemanden festnehmen konnten oder keinen Sprengsatz gefunden haben. Weil im Zweifel hat die Absage des Spiels verhindert, dass auch irgendjemand da war, der festgenommen werden konnte, und Sprengsätze, sie konnten gar nicht erst deponiert werden“, erkärte der Innenminister von Niedersachsen Boris Pistorius (SPD) scharfsinnig wie ein Chirurgenskalpell am 18. November in Hannover, nachdem das Länderspiel Deutschland gegen Holland abgesagt worden war. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) weiß auch nix darüber, warum niemand da war und nix passiert ist. Bei aller Ahnungslosigkeit verkündete er ein mysteriöses Geheimwissen zu besitzen, dass er nicht preisgeben könne, weil es die Bevölkerung erschrecken würde. Rührend verständnisvoll der Herr Geheimrat, wo doch Präsidenten wie Hollande, Gauck, Obama, Erdogan, Assad und Putin vor wilder Kriegsrhetorik überschäumen. Währenddessen ist in Erfurt allerdings der 28 Meter hohe Weihnachtsbaum umgestürzt, zwischen die Buden des Weihnachtsmarktes. Sturmtief „Heini“ war daran schuld. Achtung, es folgt Ironie: Luftschläge nennen das die Kriegsrhetoriker.

„Die Augen schließ und schlaf, mein Kind
was draußen rauscht, ist nur der Wind
der Wind, der in den Bäumen weht
wenn’s finster wird, mein Kind, der geht
bis an den Rand der Welt.“

(Schlaflied vom Rand der Welt von Heike Kellermann und Wolfgang Rieck)

Tagtäglich ist inzwischen von Krieg die Rede. Die Sprache und Ausdrucksweise hängt jedoch von der jeweiligen Unschuldsmiene der verschiedenen Gefährder und ihrer Herkunftsländer ab. Von Terror reden die Einen, die Anderen nennen es Krieg. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Terror und Krieg? Wer nicht kopflos schlucken will, was hierzulande und anderswo manche bourgeoisen Klassensprecher und Politvorturner in den Mund nehmen, dem wird speiübel, wenn die tödlichen Klippen von Terror und Krieg mit Seifenschaumgeblubber zwischen den Zähnen als sogenannte „bewaffnete Konflikte“ verniedlicht werden.

Es brennt sprichwörtlich der Weihnachtsbaum, wenn wir in diesen Tagen an den Haltestellen der Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen die Mobilmachungsplakate sehen, die verantwortungslos mit „Krisenherde löschst Du nicht mit Abwarten und Teetrinken – mach was wirklich zählt“ für das Kriegshandwerk der inzwischen 60-jährigen Bundeswehr werben, die nicht nur weiterhin in Afghanistan mordet, sondern inzwischen auch in Mali, und derweil marschieren auch im Irak deutsche Soldaten mit. Und deutsche Waffen, wie jeder weiß, morden mit in aller Welt.

Wehrpflichtig werden mittlerweile sogar Fußball-Nationalmannschaften gemacht, die lauthals die französische Nationalhymne Marseillaise singen, in der es auf deutsch übersetzt u.a. heißt:

„Was! Ausländisches Gesindel würde über unsere Heime gebieten! Was! Diese Söldnerscharen würden unsere stolzen Krieger niedermachen! (zweimal) Großer Gott! Mit Ketten an den Händen würden sich unsere Häupter dem Joch beugen. Niederträchtige Despoten würden über unser Schicksal bestimmen!“
Und dann singt der Saal das ganze noch einmal, im Refrain: „Zu den Waffen, Bürger! Schließt die Reihen, vorwärts, marschieren wir! Das unreine Blut tränke unserer Äcker Furchen!“

Und täglich lallen sollen wir dann auch noch das Lied von der Freiheit, so zu leben wie wir leben wollen sollen, für hartgesottene Bierzelt-Junkies mit Schinderassassa und Bumsfallera, im Takt des typisch deutschen Blödhits von Tina York „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“ (1974). Wer seinen Kopf so tief in den Sand stecken will, der will vielleicht auch gar nichts mehr merken davon, dass die sogenannten „sozialen“ Netzwerke wie Facebook gleichzeitig überborden von Gewaltphantasien und Hasspropaganda, in denen sich die Neonazis austoben gegen sogenannte „Ausländer“, Flüchtlinge, Homosexuelle und Behinderte, für die angeblich der Staat das Geld zum Fenster hinausschmeißen würde.

Es sei keine ‚von außen‘ hereinbrechende Barbarei ins Reich der Zivilisation, die sich hier austobe, kommentierte dieser Tage ein evangelischer Theologe aus Frankfurt in einem bemerkenswerten Beitrag. Georg Lukács habe 1954 in ‚Die Zerstörung der Vernunft‘ gezeigt, dass Irrationalismus nicht ein philosophiegeschichtlicher Irrweg, sondern die adäquate Verfasstheit von Alltagsbewusstsein und Ideologie der imperialistischen Gesellschaft sei. Die Attentäter von Paris unterscheiden sich nach seiner Auffassung nur in der Größenordnung ihrer Verbrechen von den Verantwortlichen für Hunger bei gleichzeitigem Überfluss, Rassismus, Krieg, Klimakatastrophe. Der Imperialismus versuche, seinen Untergang mit dem der Menschheit zu verbinden. Die drohenden Vorboten könne man auch in Paris deutlich sehen. Die Strukturen des Todes müssten von all denen gemeinsam und entschlossen gebrochen werden, die unter ihnen leiden.

Albert Einstein: „Wenn die meisten sich schon armseliger Kleider und Möbel schämen, wie viel mehr sollten wir uns da erst armseliger Ideen und Weltanschauungen schämen“.