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Bundesregierung setzt engagiertes Reformpaket in Kraft

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BERLIN (KOBINET) In einer Eilmeldung hat die Bundesregierung heute das Inkrafttreten eines der wie sie selbst schreibt "größten und engagiertesten" Gesetzesvorhaben der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit dem heutigen Tag angekündigt. Die deutsche Behindertenpolitik wird damit grundlegend im Sinne einer modernen Menschenrechtspolitik reformiert. Damit greife die Bundesregierung den abschließenden Bemerkungen des UN-Fachausschusses zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in bisher ungeahnter Form vor.

„Die Rückmeldungen und Fragen während der Anhörung zur Staatenprüfung Deutschlands in Sachen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention am 26. und 27. März in Genf waren das letzte i-Tüpfelchen, das wir für unser Vorhaben noch brauchten. Diese Erfahrungen haben wir noch eingearbeitet und in einem einmaligen Hauruck-Verfahren zwischen den Ministerien, dem Bundestag und Bundesrat sowie letztendlich mit der gestrigen Unterschrift des Bundespräsidenten umgesetzt“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Konkret gilt in Deutschland ab heute, dass Arbeitsstätten barrierefrei sein müssen, dass das Sexualstrafrecht so angepasst wurde, dass behinderte Menschen nicht mehr benachteiligt werden, dass ehemalige Heimkinder, die Gewalt in Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien erfahren mussten, genauso wie Heimkinder aus dem Jugendhilfebereich entschädigt werden und dass das Konzept der angemessenen Vorkehrungen zur gleichberechtigten Wahrnehmung der Menschenrechte auch in Deutschland verankert wurde. Mit der Reform des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes wurde auch festgeschrieben, dass nun auch private Anbieter von Dienstleistungen und Gütern verpflichtet sind, diese barrierefrei und diskriminierungsfrei zu gestalten. Der unsägliche Wahlausschluss von Menschen, die in allen Bereichen Betreuung nutzen, wurde zudem durch ein paar Handstriche im Gesetz abgeschafft.

„Ein zentraler Punkt der Gesetzesänderungen ist jedoch, dass das Bundesteilhabegesetz zum heutigen Tage in Kraft tritt“, erklärte Andrea Nahles stolz. Es sei nicht einfach gewesen, den großen Coup geheim zu halten und sie freue sich, dass alle Beteiligten mitgespielt hätten. Die geheimen Sondersitzungen des Deutschen Bundestages und des Bundesrates seien dabei eine besondere Leistung gewesen. Aus gut informierten Kreisen hieß es, dass sämtliche Vorschläge der Verbände aus der AG Bundesteilhabegesetz übernommen wurden. So gilt ab dem 1. April beispielsweise, dass das Einkommen und Vermögen für behinderte Menschen und ihre PartnerInnen und Angehörigen bei Leistungen für behinderte Menschen nicht mehr angerechnet wird. „Darauf sind wir besonders stolz“, erklärte die Bundesbehindertenbeauftragte Verena Bentele, der es angesichts der ständigen Kritik besonders schwer gefallen sei, die Gesetzesänderung geheim zu halten. „Ich habe es aber geschafft und wir haben es geschafft, dass wir nun endlich UN-Behindertenrechtskonforme Gesetze in Deutschland haben. Der ganze Stress hat sich also gelohnt“, erklärte Verena Bentele, die ab heute 1. April im Rang einer Staatssekretärin im Bundeskanzleramt angesiedelt ist. „Der Umzug war stressig, aber wir haben es sportlich geschafft. Ich sitze jetzt schräg gegenüber vom Büro der Kanzlerin, einer Politik der kurzen Wege auf gleicher Augenhöhe steht also nichts mehr entgegen. Deshalb ist es auch eine Selbstverständlichkeit, dass die Kanzlerin zu meinem Jahresempfang am 6. Mai kommt.

Eine weitere zentrale Verbesserung ist die Einführung eines Bundesteilhabegeldes, das lange Zeit umstritten gewesen wäre. Mit der Neuregelung wurde nicht nur das Blindengeld vereinheitlich und aufgestockt, sondern auch für Menschen mit anderen Behinderungen ein Teilhabegeld geschaffen, das ihnen die flexiblere Organisation von Hilfen ermöglicht. Eine Verordnung regelt die Details, so dass ab 1. Mai die ersten Zahlungen erfolgen können. Wer bereits vorher Geld braucht, könne sich beim Bundeskanzleramt an der Auszahlungsstelle an der Pforte vor Ort melden. Die Leichte Sprache wurde ebenfalls in das neue Gesetz mit aufgenommen, wie unabhängige Beratungsstellen, die von behinderten Menschen selbst im Sinne des Peer Counseling betrieben werden. „Hierfür stellen wir insgesamt 250 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, denn wir wissen, dass eine personenzentrierte und an der Inklusion orientierte Behindertenhilfe nicht ohne eine gute Beratung und das Empowerment der Betroffenen selbst machbar ist“, erklärte der zuständige Abteilungsleiter des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Diese Regelung soll übrigens aus der Feder von Dr. Sigrid Arnade von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) stammen, die zusammen mit den VertreterInnen des Forums behinderter JuristInnen intensiv an der Formulierung des Bundesteilhabegesetzes mitgewirkt hat. Im übrigen ist erstaunlich, wie weit sich das Gesetzesvorhaben am Entwurf des Forums behinderter JuristInnen orientiert und dass darüber hinaus sogar noch weitere Verbesserungen im Sinne der Teilhabe durchgesetzt werden konnten. So ist klar, dass die Behindertenhilfe nun völlig aus dem Fürsorgesystem herausgelöst und im Sozialgesetzbuch IX angesiedelt ist.

Einige RegierungsvertreterInnen konnten ihr Schmunzeln bei der Vorstellung des Gesetzes nicht unterdrücken, als es auf die Finanzierung zu sprechen kam. Das Ablenkungsmanöver der letzten Wochen sei geglückt. Die fünf Milliarden Euro, die für die Entlastung der Kommunen im Zusammenhang mit der Schaffung des Bundesteilhabegesetzes eingeplant waren, wurden nur in einen anderen Haushaltsposten verschoben, um vom Endspurt der Arbeiten am Gesetz abzulenken. In Wirklichkeit habe man ein 15 Milliarden-Paket geschnürt, um den längst überfälligen Reformen gerecht werden zu können. Denn es sei beschämend gewesen, immer wieder daran erinnert zu werden, dass es bereits 1973 erste Initiativen im Deutschen Bundestag gegeben habe, um die Behindertenhilfe aus dem Fürsorgesystem heraus zu lösen. Hans-Günter Heiden von der BRK-Allianz zeigte sich sehr überrascht, mit welchem Geschick und welchem Engagement die Bundesregierung und das Parlament die Reformen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention gestaltet haben. „Sie haben uns doch zugehört“, betonte er und bat um Entschuldigung angesichts seiner Zweifel, dass Deutschland die Menschenrechtsperspektive der UN-Behindertenrechtskonvention nicht verstanden habe.

Um den abschließenden Bemerkungen des UN-Fachausschusses, die für den 13. April erwartet werden, zuvor zu kommen, hat die Bundesregierung mit dieser Gesetzesreform nun die Ampel in vollem Umfang in Sachen Inklusion auf grün gesetzt. Ab heute gilt, Inklusion ist die Regel und Ausnahmen von der Regel wird es nur mit einer kleinen Übergangsfrist von fünf Jahren geben. Das gelte auch für die Länder und Kommunen. Entscheidend seien nun nicht mehr die Sondereinrichtungen, sondern die Hilfen und die Assistenz, die behinderte Menschen brauchen. Diese folge fortan den Menschen, so dass sie mitten in der Gesellschaft lernen, arbeiten, leben und ihre Freizeit verbringen können, so wie nichtbehinderte Menschen auch. Damit ist klar, dass die Doppelstrukturen aussondernder Systeme in den nächsten fünf Jahren fallen, so wie in Großbritannien beispielsweise die Werkstätten für behinderte Menschen abgeschafft wurden oder wie in Schweden, wo es keine Einrichtungen, sondern nur noch Wohngruppen mit maximal fünf Personen mehr gibt. „So wie die Berliner Mauer schon seit über 25 Jahren Geschichte ist, werden wir bald Sonderschulen, Heime, Werkstätten nur noch aus der Erinnerung oder dem Museum kennen“, erklärte Andrea Nahles. „In Weltmeistermanier haben wir uns bei dieser Gesetzesreform die guten Erfahrungen aus anderen Ländern zusammen gesucht und dies in unserem Gesetz vereint. Das ist doch einmal ein Grund zum Feiern“, erklärte die Bundeskanzlerin. Der 5. Mai wird daher nach Informationen der Aktion Mensch vom Protesttag zum Feiertag umgemünzt, wie die Organisation in einer Stellungnahme auf die aktuellen Ereignisse deutlich machte. 

Nach Bekanntwerden der neuen Gesetze präsentierten sich die ersten deutschen Städte bereits in einem neuen Lichte. Schulen werden umgebaut, Rathäuser zugänglich gemacht, behinderte Menschen arbeiten mitten in der Stadt und die Wohnbaugesellschaften haben bereits erste Rampen installiert. Auch im Stadtbild sieht man plötzlich viele behinderte Menschen, die vorher kaum jemand zu Gesicht bekommen hat, denn diejenigen, die bisher meist in Sonderwelten gearbeitet oder ihren Tag verbracht haben, haben bereits erste Arbeitsplätze in Geschäften, Behörden, bei Vereinen etc. gefunden. Spannend ist dabei zu sehen, dass auch Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf im Stadtbild auftauchen, denn die bisher fast ausschließlich auf Tagesförderstätten konzentrierte Tagesstrukturierung kann nun in Form eines flexiblen Budgets genutzt werden, so dass Ausflüge ins städtische Leben keine Seltenheit mehr sind. Arbeit werde nun auch für Menschen, die nichtbehindert sind, ganz anders definiert. „So wie die Franzosen wollen wir arbeiten, um zu leben und nicht mehr leben, um nur zu arbeiten“, hofft die Bundesarbeitsministerin.

Vonseiten der Landesbehindertenbeauftragten war zu hören, dass diese sich weitgehend in den Urlaub begeben haben. Denn nun sei der Rahmen gesetzt, für den sie lange gekämpft hätten. Jetzt stehe erst einmal Weltreise nach dem Stress an. Matthias Rösch aus Mainz hatte in weiser Voraussicht seinen Flug nach Kalifornien schon im Vorfeld des 1. Aprils gebucht, so dass er heute Abend von Frankfurt aus abheben kann. „Wir haben zwar noch gar keinen genauen Überblick, was da nun alles verbessert wurde, doch die ersten 150 Seiten des Gesetzes haben mich fasziniert, den Rest lese ich während des Fluges“, erklärte er auf dem Frankfurter Flughafen.

Link zur Aufklärung des April-Scherzes