Menu Close
Hinweis: Dieser Beitrag wurde von der alten Website importiert und gegebenenfalls vorhandene Kommentare wurden nicht übernommen. Sie können den Original-Beitrag mitsamt der Kommentare in unserem Archiv einsehen: Link

Rollis zum Hamburger Zehntel

Streckenplan der Laufveranstaltung
Streckenplan der Laufveranstaltung
Foto: Das Zehntel

1024w, https://kobinet-nachrichten.org/cdn-cgi/image/q=100,fit=scale-down,width=1152/https://kobinet-nachrichten.org/newscoop_images/arMADcFCGNvEOfVkl8jQdbwy4oZnL76sUWX5T1SHBqPuJ23pit0g9hRzxYmK.jpg"/>
Streckenplan der Laufveranstaltung
Foto: Das Zehntel

1152w, https://kobinet-nachrichten.org/cdn-cgi/image/q=100,fit=scale-down,width=1280/https://kobinet-nachrichten.org/newscoop_images/arMADcFCGNvEOfVkl8jQdbwy4oZnL76sUWX5T1SHBqPuJ23pit0g9hRzxYmK.jpg"/>
Streckenplan der Laufveranstaltung
Foto: Das Zehntel

1280w, https://kobinet-nachrichten.org/cdn-cgi/image/q=100,fit=scale-down,width=1536/https://kobinet-nachrichten.org/newscoop_images/arMADcFCGNvEOfVkl8jQdbwy4oZnL76sUWX5T1SHBqPuJ23pit0g9hRzxYmK.jpg"/>
Streckenplan der Laufveranstaltung
Foto: Das Zehntel

1536w, https://kobinet-nachrichten.org/cdn-cgi/image/q=100,fit=scale-down,width=1920/https://kobinet-nachrichten.org/newscoop_images/arMADcFCGNvEOfVkl8jQdbwy4oZnL76sUWX5T1SHBqPuJ23pit0g9hRzxYmK.jpg"/>
Streckenplan der Laufveranstaltung
Foto: Das Zehntel

1920w" sizes="(max-width: 1024px) 1024px, (max-width: 1152px) 1152px, (max-width: 1280px) 1280px, (max-width: 1536px) 1536px, (max-width: 1920px) 1920px" src="https://kobinet-nachrichten.org/newscoop_images/arMADcFCGNvEOfVkl8jQdbwy4oZnL76sUWX5T1SHBqPuJ23pit0g9hRzxYmK.jpg"/>
Streckenplan der Laufveranstaltung
Foto: Das Zehntel

BERLIN (KOBINET) Theo Rogge war mit seinem Rolli erfolgreich beim Hamburger Zehntel am 3. Mai 2014 dabei. Norddeutschlands größter Kinder- und Jugendlauf über ein Zehntel der Marathondistanz (4,2195km) findet wieder rund um die Hamburg Messe am 25. April 2015 statt. Für Theo Rogge wurde in diesem Jahr eine Ausnahmeregelung erkämpft. Werden im nächsten Jahr mehr Kinder und Jugendliche im Rollstuhl starten dürfen? Zu den großen Städte-Marathons in Deutschland gehört die Handbike-Trophy. Attraktion zum Berlin-Marathon, der zu den wichtigsten Laufveranstaltungen der Welt gehört, sind seit vielen Jahren die Wettbewerbe der Sportler wie Heinz Frei aus der Schweiz im Rennrollstuhl oder im Handbike. Theo Rogge könnte die Tür geöffnet haben, dass künftig das Hamburger Zehntel Barrieren beseitigt. Einen an viele Beteiligte verschickten Brief seiner Mutter dokumentiert kobinet heute - nur unwesentlich gekürzt.   



Am Samstag, den 3. Mai 2014, hat unser Sohn Theo Rogge mit seinem Rolli erfolgreich am Hamburger Zehntel teilgenommen. Er fuhr die Strecke in 36 Minuten und 47 Sekunden.

Es war schön zu sehen und zu erleben, mit welcher natürlichen Begeisterung die Menschen auf Theo reagierten und wie Theo sich durch den Jubel bestätigt und angefeuert fühlte. Theo wurde mit großer Selbstverständlichkeit aufgenommen, und sein „Kampfgeist“ wurde mit einer Filmsequenz im Bericht des NDR gewürdigt. Was man an diesem Tag erkennen konnte: So kann inklusiver Sport funktionieren!

Dabei war Theos Teilnahme ein Einzelfall. Nachdem viele Briefe und Emails geschrieben und Telefonate geführt worden waren, wurde für Theo eine Ausnahme gemacht. Denn eigentlich sind Rollikinder zum Hamburger Zehntel nicht zugelassen. Aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Ein Unding, fanden wir, Theos Eltern. Und unsere Familien, Freunde und Bekannten, Theos Lehrer, die Schulleitung und all jene, die sich für die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben in Hamburg einsetzen, stimmten uns zu.

Wie kann es sein, dass ein Kind, weil es im Rollstuhl sitzt, von einer öffentlichen Veranstaltung dieser Art heute noch ausgeschlossen werden soll? Wieso ist in einer Stadt, die ihre Kinder inklusiv beschult, keiner – weder der Veranstalter, die Sponsoren, der Leichtathletikverband noch das Sportamt oder die Schulbehörde – darauf vorbereitet, dass ein Rollikind mit seinen Klassenkameraden zusammen bei einem so populären Lauf starten möchte?

Wir haben verschiedene Antworten auf diese Fragen: Es ist Gedankenlosigkeit. Es ist Unwissen. Es ist Angst. Es sind Vorurteile. Vor allem jedoch: Es gibt offensichtlich keine Instanz in dieser Stadt, die sich mit der Frage befasst, welche Konsequenzen es hat, wenn man – seit nunmehr vier Jahren – Inklusion an Hamburger Schulen praktiziert und dann ein Event plant, zu dem man alle Hamburger Schulen herzlichst einlädt. Niemand wurde beauftragt, sich mit dieser Frage zu befassen. Weil diese Frage schlichtweg keine Priorität hat.

Auf eben diese Weise werden behinderte Kinder und Erwachsene in der Stadt Hamburg diskriminiert: Weil man für ihre Belange nicht die erforderlichen Ressourcen einrichtet, um in der notwendig umfassenden Form ihre Inklusion zu realisieren.

Aber auch die Art, in der man auf unsere Proteste reagierte, entbehrte nicht der Herabwürdigung. Theos Lehrer und die Leitung der Louise Schroeder Schule erklärten sich in einer Email ausdrücklich nicht einverstanden mit einem Teilnahmeverbot für Theo, doch auf diese Email gab es schlichtweg keine Antwort. Nachdem zwei Wochen vergangen waren, schrieb unser Anwalt einen Brief an den Geschäftsführer der Marathon Hamburg Veranstaltungs-GmbH, Herrn Thaleiser, und forderte eine Startmöglichkeit für Kinder und Jugendliche, die Rollstühle benutzen. Eine Woche später – pünktlich zur gesetzten Frist unseres Anwalts – kam die Absage. Keine Entschuldigung, keine Betroffenheit, keine Scham. Stattdessen ganz klare Schuldabweisung. Eine Tirade von der Deutschen Leichtathletik Ordnung, der Trennung zwischen olympischen und paraolympischen Sport, der Vermeidung von Gefahren und dem Versicherungsschutz. Kurz: Die „sogenannte Normalität“ wurde herangezogen, um ein Kind, das eben nicht „normal“ ist, wegzuschieben. Dies im Übrigen vor dem Hintergrund, dass bereits verschiedene Behindertenbeauftragte aus Hamburg persönlich an den Veranstalter herangetreten waren, um sich für die Teilnahme von Rollikindern beim Hamburger Zehntel auszusprechen.

Schließlich rief ich Herrn Thaleiser an. Ich schlug ihm eine Einzelfall-Lösung für Theo vor – und er willigte ein. So kam es dazu, dass Theo am 3. Mai in Begleitung seines Vaters beim Hamburger Zehntel starten konnte.

Mir ist in diesen Wochen noch einmal deutlich geworden, wie wichtig es ist, dass man das Ringen um die Teilhabe benachteiligter Menschen in unserer Gesellschaft nicht den Betroffenen selbst überlässt, d.h. es reicht nicht aus, ihnen das RECHT auf Teilhabe zu geben, sondern die Kraft und das Engagement müssen von den Entscheidungsträgern ausgehen, um die Instrumente, die für die Umsetzung der Inklusion benötigt werden, zu entwickeln und zu etablieren.

Damit komme ich zum Schluss. Wir erwarten, dass im nächsten Jahr kein Kind aufgrund seiner Behinderung vom Zehntel ausgeschlossen wird und dass alle zusammen starten, auch die Rollikinder mit den Läufern zusammen. Theos Teilnahme in diesem Jahr hat gezeigt, dass das möglich ist.

Wir erwarten außerdem, dass im nächsten Jahr auch an die behinderten Erwachsenen und alten Menschen gedacht wird, die gerne zuschauen oder ihre Kinder bzw. Enkel zum Zehntel begleiten möchten. Beim diesjährigen Zehntel verhinderten Treppen und Absperrungen den barrierefreien Zugang zum Zentrum der Veranstaltung.

Ihr Angebot, sehr geehrter Herr Thaleiser, dass Sie mir bei einem entsprechenden Antrag im nächsten Jahr hilfreich zur Verfügung stehen würden, lehne ich dankend ab. Ich möchte kein zweites Mal die Initiatorin dafür sein, dass Rollikinder am Zehntel teilnehmen dürfen. Gerne bin ich bereit, Sie zu beraten, doch ich erwarte von der Marathon Hamburg Veranstaltungs-GmbH und allen Beteiligten – von der Schulbehörde, dem Sportamt, dem Leichtatletikverband etc. – dass Sie die Verantwortung übernehmen und dafür Sorge tragen, dass das Zehntel im nächsten Jahr und für die kommenden Jahre das wird, was es sein muss: eine inklusive Veranstaltung.

Ich bedanke mich bei allen, die uns in diesem Jahr unterstützt haben! Mein besonderer Dank geht an Frau Ingrid Körner (Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen), Herrn Johannes Köhn (Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen), Herrn Dr. Oliver Tolmein (Kanzlei Menschen und Rechte), Frau Dr. Antje Blume-Werry (Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus), Herrn Martin Eckert (Leben mit Behinderung), Frau Andrea Lübbe (Förderkoordinatorin Louise Schroeder Schule), Chrisdian Wittenburg (UTE – Verein für den engagierten Umgang mit Behinderung), Frau Claudia Bergmann (Special Olympics Deutschland in Hamburg) und an Ines Fögen, die mir als Fachfrau (Institut für Migrations- und Rassismusforschung) und als Freundin zur Seite stand.