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Foto: Nora Sties
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Foto: Nora Sties
MAINZ (KOBINET) Nach Ansicht von Nora Sties aus Mainz tobt ein Krieg der Meinungen in der öffentlichen Diskussion der Medien, der Politik und der Gesellschaft. Anlass sind Kinder mit Behinderungen bzw. ihre Beschulung oder Nichtbeschulung in Regelschulen. Doch geht es wirklich um Kinder, oder werden hier nicht ganz andere Themen ausgehandelt? Dieser Frage geht Nora Sties in ihrem Kommentar für die kobinet-nachrichten nach.
Kommentar von Nora Sties
Eins ist sicher – der Begriff der Inklusion, der seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention wie ein Leuchtstern, eine Idealvorstellung, ein Hoffnungsschimmer in den Wortschatz von behindertenpolitischen Aktivisten einzog, wird nun zunehmend in den Schmutz gezogen. Als jüngste Beispiele können der Feuilletonartikel von Christian Geyer vom 10.06.2014 in der FAZ oder die Kolumne von Jan Fleischhauer auf Spiegel Online am 17.06.14 dienen. Dabei treten immer wieder die gleichen argumentativen Muster zu Tage:
- Inklusion wird abgestempelt zu einer nicht-realisierbaren Utopie.
- Die Debatte beschränkt sich auf eine Diskussion über eine auf das Schulsystem beschränkte Reform.
- Vertreter eines gemeinsamen Unterrichts werden als (links-grüne) realitätsferne, idealistische Gutmenschen abgestempelt.
- Gemeinsamer Unterricht wird als undurchdachtes erzwungenes Experiment skizziert. Ohne Verständnis dafür, dass für Menschen mit Behinderung selbst ein Kinobesuch oder eine Busfahrt ein alltägliches Experiment ist und dass weder Ärzte noch Pädagogen Entwicklungspotentiale von Kindern prophetisch vorhersagen können.
- Aktuelle Studien zu Vorteilen des gemeinsamen Unterrichts, Modellschulen mit langer Tradition und die Probleme des aktuellen Förderschulsystems werden systematisch ignoriert.
- Das Konzept des behinderten Kindes wird entweder völlig verallgemeinernd oder durch überspitzte Extremfälle (aggressive, sich einnässende oder schwerstmehrfach-behinderte Kinder) repräsentiert. Der wissenschaftlich nachgewiesene Gewinn, den menschliche Vielfalt jedem einzelnen Schüler bringt, wird dabei zwischen den Schlagwörtern „Kindeswohl“ und „Leistungsgesellschaft“ zertreten.
- Der Unterschied zwischen „Gleichmacherei“ und differenzierter Gleichberechtigung wird vollkommen unterschlagen.
- Es wird behauptet, dass unter „Inklusionsbefürwortern“ generell ein „Benennungsverbot“ propagiert werde, um Ungleichheit schlicht sprachlich zum Verschwinden zu bringen. Defizite dürften nicht mehr beim Namen genannt werden, was letztlich den Betroffenen schade.
- Es werden Ängste geschürt, das Gefühl von Bedrohung geweckt: Die Behinderten könnten den Nichtbehinderten schaden, sie in ihren Lernerfolgen behindern, ihnen ihre erfolgreiche, karriereorientierte Zukunft nehmen. Letztlich damit Deutschlands Wirtschaft und damit der eigenen Lebensqualität schaden.
Ich bin querschnittgelähmte Rollstuhlfahrerin. Jede Woche treibe ich gemeinsam mit Kindern mit und ohne Behinderungen Sport. 2004, lange vor der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention, habe ich an einer Regelschule sozusagen in wilder Integration meinen Schulabschluss gemacht. Im Gegensatz zu Herrn Fleischhauer und Herrn Geyer weiß ich um die alltäglichen und gelegentlichen Probleme und Barrieren, denen Kinder mit Behinderungen begegnen. Mit Kreativität, wachsender Erfahrung und ein bisschen Mut lassen sich viele davon bereits beseitigen. Andere können auf systematischer Ebene (ja, damit meine ich personelle und finanzielle Ressourcen) gelöst werden. Für wieder andere wird es noch etwas Geduld auf allen Seiten brauchen.
„Alle einschließen, wollen wir das?“ fragt Herr Geyer in einer erschreckenden Form der Rhetorik. Denn das implizierte „Nein“ ist nicht nur undemokratisch, sondern auch behindertenfeindlich. Dabei erkennt er selbst, dass Inklusion ein „Vehikel“ sei, an dem „Menschheitsfragen“ ausgehandelt werden. Was er kritisiert, ist doch das, was unsere demokratische Gesellschaft im Sinne eines offenen Markt der Meinungen auszeichnet: „Jeder darf mitreden und so, wie ihm zumute ist.“ Selbst Jan Fleischhauer. Im Kontrast möchte ich Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung (16.06.2014) zitieren: „[Inklusion] wird die Gesellschaft wunderbar verändern – wenn die Gesellschaft erkennt, dass Hilfebedürftigkeit keine Störung ist, sondern zum Menschsein gehört.“.
Meine feste Überzeugung ist, dass Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bereits von Kind an ein Menschenrecht ist. Sie legt den Grundstein für gemeinsames Leben, Lernen und Arbeiten in späteren Jahren. In dieser Überzeugung dürfen wir als Menschen mit Behinderung auch keine Zweiteilung zwischen Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung zwischen uns treten lassen. Gemeinsam müssen wir laut werden und ins Bewusstsein rücken, was Inklusion für uns bedeutet: Eine Wahl zu haben und Entscheidungen selbst zu treffen, gleichberechtigt behandelt zu werden ohne gleich zu sein, dazu zu gehören ohne wenn und aber. Lasst uns den Begriff zurückerobern.
Zum Schluss möchte ich noch auf den äußerst cleveren und gut recherchierten Blog INKLUSIONSFAKTEN.DE von Lisa Reimann verweisen, die mit allen anderen Vorurteilen aufräumt.