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Vom Bettelorden zur Bewegung für Rechte statt Almosen

Bild vom Festumzug
Bild vom Festumzug
Foto: omp

KASSEL (KOBINET) Beim Festumzug zur 1100-Jahr-Feier der Stadt Kassel mit über 6.000 Akteuren und 70.000 ZuschauerInnen durfte gestern in Kassel das Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen nicht fehlen. Während in Säcke gekleidete blinde Menschen die Situation behinderter Menschen im Mittelalter verkörperten, hallte aus der zweiten Hälfte der Gruppe der Slogan "Rechte statt Almosen" durch die Kasseler Innenstadt.

Unter den über 180 Vereinen und Gruppen, die sich an dem Festumzug beteiligten, zeigte das Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen auf, wie sich die Situation behinderter Menschen über die Jahre der Stadtgeschichte Kassels hinweg entwickelt hat. Bereits am Freitag hatte Gunther Neumann im Rahmen der Einweihungsfeier der neuen Räumlichkeiten des Kasseler Zentrums für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen einen Vortrag über behinderte Menschen im Mittelalter gehalten. Dabei ging es nicht nur um Bettelorden, sondern auch um die Herkunft des besonders im Schwabenland heute noch geläufigen Begriffes Heilig’s Blechle – ein Blechstück, das sozusagen als Bettelerlaubnis diente. Von diesen Fakten beflügelt war es denjenigen des Zentrums für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen sozusagen ein Leichtes während des Festumzugs diese dunkle Zeit des Betteldaseins von behinderten Menschen theatralisch und mit viel Spaß nachzuspielen.

Allerdings wurden ihre Bemühungen vom zweiten Teil der Gruppe immer wieder durch Rufe wie „Rechte statt Almosen“ erschwert. Denn sie verkörperten die Selbstbestimmt Leben Bewegung behinderter Menschen, die sich über die Jahre hinweg eine Reihe von Rechten erkämpft und die Gleichstellung behinderter Menschen einfordert. Sei es die Aufnahme des Benachteiligungsverbotes für behinderte Menschen im Grundgesetz, das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz, das Sozialgesetzbuch IX oder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die Kasseler VertreterInnen des Zentrums für selbstbestimmtes Leben waren immer mit an der Spitze für diese Veränderungen. Der Spruch: „Schluss mit dem vielen Geschwätz, her mit einem guten Bundesleistungsgesetz“ entwickelte sich spontan während des Zuges und macht deutlich, was es noch zu tun gibt und wofür sich die KasselerInnen derzeit stark machen.

Die erbettelte Beute – Gummibärchen, Bonbons etc. – wurde am Ende des Festzugs übrigens brüderlich und schwesterlich geteilt, auch wenn die BettlerInnen vom Teilen noch etwas überzeugt werden mussten. Als Fundraisingmodell taugt die Idee also noch nicht so recht, auch wenn es Überlegungen gibt, angesichts der äußerst bescheidenen Förderung der Selbstvertretungsbewegung behinderter Menschen einen Bettelorden zu gründen. Doch dazu kam es gestern nicht mehr, denn nach über drei Stunden Umzug stand der Hunger und Durst dann doch an höchster Stelle der Hierarchie der Bedürfnisse.