
Foto: ISL e.V.
BERLIN (KOBINET) Die derzeit praktizierte Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention rechtlich unvereinbar und stellt zudem einen Verstoß gegen die Verfassung dar. Zu diesem Ergebnis kommt ein juristisches Gutachten der Berliner Humboldt Law Clinic für Grund- und Menschenrechte, das im Auftrag der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) erstellt wurde. Die Autorinnen Larissa Rickli und Anne Wiegmann empfehlen daher in ihrem Gutachten eine entsprechende Änderung der deutschen Rechtslage, so die ISL heute in einer Pressemitteilung.
„Wenige Tage vor der Bundestagswahl ist dies ein starkes Signal an die neue Regierung – wer immer sie auch bilden mag“, betont Rechtsanwalt Carl-Wilhelm Rößler, sozialpolitischer Sprecher der ISL und Mitarbeiter des Zentrums für selbstbestimmtes Leben Köln, der das Gutachten begleitet hat. „Jeder Tag, an dem die Einkommens- und Vermögensanrechnung weiter existiert, ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen!“
Zudem sei die derzeitige Einordnung der Eingliederungshilfe als Teil der Sozialhilfe systemwidrig, da es um unterschiedliche Zielrichtungen ginge, heißt es im Gutachten weiter. Während die Sozialhilfe der Sicherung des Existenzminimums diene, solle die Eingliederungshilfe die Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft fördern.
Der Gesetzgeber, so die Autorinnen, ist deshalb aufgefordert, die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herauszulösen und zu gewährleisten, dass sie in Zukunft als eigenständige Leistung bedürftigkeitsunabhängig gewährt wird. Dies würde auch dem in der UN-Konvention verankerten sozialen Modell von Behinderung entsprechen, das nicht defizitorientiert ist, sondern Behinderung als Wechselverhältnis zwischen Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren begreift.
In der Berliner „Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte“ arbeiten Studierende interdisziplinär an Fallkonstellationen aus der Praxis: sie wollen Grund- und Menschenrechte vor Gericht verteidigen sowie Antidiskriminierung und Fragen der Inklusion im Zusammenhang von Geschlechterverhältnissen, Rassismus oder Ableism rechtspolitisch voranbringen.
Larissa Rickli, Anne Wiegmann: Begründung einer einkommens- und vermögensunabhängigen Eingliederungshilfe anhand der UN-Behindertenrechtskonvention. Humboldt Universität Berlin, Juristische Fakultät, Law Clinic Grund- und Menschenrechte; 41 Seiten, September 2013
Projektpartner: Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland – ISL e.V.
Das Gutachten ist im Word- und PDF-Format in der ISL-Bibliothek abrufbar