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1 Jahr Zündeln an den Strukturen für Werkstättenreform und Inklusion

Ottmar Miles-Paul mit Roman Zündeln an den Strukturen
Ottmar Miles-Paul mit Roman Zündeln an den Strukturen
Foto: LB Bremen

Kassel (kobinet) Vor gut einem Jahr hat der Behindertenrechtler Ottmar Miles-Paul seinen Roman "Zündeln an den Strukturen" über die Situation in Werkstätten für behinderte Menschen und Alternativen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt veröffentlicht. Auch wenn die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales schon lange angekündigte Reform des Werkstättensystem und zur Stärkung eines inklusiven Arbeitsmarkts immer noch auf sich warten lässt, hat der Reportage-Roman und die damit verbundenen Lesungen und Diskussionen die Debatte erheblich befeuert. Und Ottmar Miles-Paul hat noch einiges vor: für den Herbst sind bereits 11 weitere Lesungen mit Diskussionen zum Roman geplant, so beispielsweise in Hannover, Wien, Bonn, Stuttgart, Köln, Frankfurt und Erlangen sowie online. Dieses und vieles erfuhr Hartmut Smikac im kobinet-Interview mit Ottmar Miles-Paul.



„Sie haben es tatsächlich getan und sind selbst überrascht, dass sie zu einer solchen Tat fähig waren. Bestimmt hunderte Male hatten sie mit wachsender Frustration durchgespielt, wie sie sich gegen die Ungerechtigkeiten in der Werkstatt für behinderte Menschen wehren können. Nun haben Helen Weber und ihre beiden Freunde das Werkstattgebäude in Brand gesetzt“, heißt es im Klappentext des Reportage-Romans. Und weiter heißt es dort: „Wie kam es zu dieser Brandstiftung? Kommen Helen Weber und ihre Freunde mit dieser Tat davon? Und was wird nun in der Praxis aus dem theoretischen Gedankenspiel ‚Was wäre möglich, wenn es keine Werkstatt für behinderte Menschen in unsrer Stadt gäbe‘? Katrin Grund, eine junge Volontärin der Lokalzeitung, ist aufgrund ihrer Schlaflosigkeit schnell an der Brandstelle. Bei der Brandstiftung wittert sie eine größere Story und hofft, damit endlich in der Redaktion Fuß fassen zu können. Sie beginnt über das System der Werkstätten für behinderte Menschen zu recherchieren. Dabei lernt sie die Enthinderungsgruppe kennen. Deren Mitglieder setzen sich für Inklusion und den Abbau von Barrieren ein. So entstehen Freundschaften, aber auch Verirrungen und Verwirrungen.“

kobinet-nachrichten: Sie haben ein ziemlich bewegtes Jahr seit der Veröffentlichung Ihres Romans hinter sich, hätten Sie damit gerechnet, als Sie vor einem Jahr den Roman „Zündeln an den Strukturen“ veröffentlicht haben?

Ottmar Miles-Paul: Das kann man wohl sagen, das letzte Jahr war wirklich sehr bewegt. Als ich an dem Roman gearbeitet hatte, war ich zwar von der Wichtigkeit überzeugt, das Thema der Situation in Werkstätten für behinderte Menschen und die fehlenden Alternativen dazu, einmal mittels eines Romans zu befeuern. Dass da aber so viel auf mich zukommen und so viele Diskussionen angestubst werden, das hätte ich nie und nimmer gedacht.

kobinet-nachrichten: Wie kam das, dass so viel mit dem Roman in Bewegung gekommen ist?

Ottmar Miles-Paul: Über die ersten Medienberichte, zum Beispiel über den Evangelischen Pressedienst, aber auch in den kobinet-nachrichten, und so manche unterstützende Rückmeldungen habe ich mich natürlich sehr gefreut. Denn ich hatte ja noch nie einen Roman geschrieben und war sehr auf die Rückmeldungen gespannt. Als dann die ersten Anfragen für Lesungen kamen, habe ich diese Gelegenheiten beim Schopfe gepackt, denn mir geht es bei dem Roman hauptsächlich darum, darüber mit Menschen ins Gespräch zu kommen und die geplanten Reformen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention und Inklusion zu befeuern.

kobinet-nachrichten: Soweit so gut

Ottmar Miles-Paul: Ja. Als ich dann allerdings bis zur Sommerpause 2024 bereits 12 Lesungen mit entsprechenden Reisen auf dem Plan hatte und sogar eine Anfrage aus Luxemburg bekam, da erinnerte ich mich daran, dass ich ursprünglich eigentlich gar keine Lesungen machen wollte, weil ich schon zu viel mache und zu viel unterwegs bin.

kobinet-nachrichten: Sie haben das aber trotzdem angepackt. Warum?

Ottmar Miles-Paul: Man wächst ja mit Herausforderungen und bei mir war es auch mit viel Spaß, mit ganz verschiedenen Leuten über das System der Werkstätten, aber vor allem auch darüber zu diskutieren, was das für behinderte Menschen bedeutet, die gerne anders und inklusiver arbeiten würden, aber so gut wie keine Chacne bekommen. Ich danke daher all denjenigen, die Lesungen organisiert und kräftig mitdiskutiert haben. Ich danke aber auch meinen verschiedenen Leseassistent*innen, die bei Lesungen vorgelesen haben, weil mir das als Sehbehinderter schwerfällt. So hatten wir immer recht bunte und abwechslungsreiche Lesungen und Diskussionen.

kobinet-nachrichten: Gibt es eine Lesung, an die Sie sich besonders gerne erinnern?

Ottmar Miles-Paul: Jede Lesung hatte ihre eigenen Highlights und tollen Begegnungen. Aber die Lesung im KWADRAT n Bremen wird mir wohl lange in Erinnerung bleiben. Denn hier hatten wir richtig anregenede und zum Teil auch kontroverse Diskussionen. Vor allem fand ich dabei spannend, mit vielen Werkstattmitarbeiter*innen und Werkstatträten zu diskutieren. Nach anfänglicher Ablehnung war nämlich zu beobachten, wie sich diese mehr und mehr trauten, auch Missstände in der Werkstatt anzusprechen und nicht immer nur das System zu verteidigen, weil ihnen Angst gemacht wird, dass die Werkstätten geschlossen werden sollen. In Bremen kamen über 130 Leute zusammen und das Team des Landesbehindertenbeauftragten von Bremen hat hier super Organisationsarbeit geleistet, so dass wir auch eine Übersetzung in Leichter Sprache hatten.

kobinet-nachrichten: Befeuert der Roman die Diskussion so, dass am Ende auch gute Reformen rauskommen?

Ottmar Miles-Paul: Das steht leider noch in den Sternen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Reformen im Sinne der Inklusion angekündigt, aber da warten wir noch auf konkrete Gesetzentwürfe. Dabei kann ein Roman natürlich nur ein kleiner Funke sein. Es braucht viele Akteur*innen, um die Türen aus den Sonderwelten wie den Werkstätten für behinderte Menschen zu öffnen. Und da gibt es zum Glück einige, die ebenfalls Bücher veröffentlichen oder Medienberichte anregen. Der Fernseh-Bericht in Frontal mit der Kritik am Werkstättensystem ist dabei ein gutes Beispiel.

Link zum Fernsehbericht des ZDF-Magazin Frontal vom 23. Juli 2024 mit dem Titel „Ausbeutung in Behindertenwerkstaätten? Vernachlässigte Inklusion“

Vor allem freut es mich jedoch, dass behinderte Menschen, die den Weg aus der Werkstatt geschafft haben bzw. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten wollen, begonnen haben, ein Netzwerk zu bilden und sich auszutauschen. Denn deren Erfahrungen und Forderungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt werden bisher kaum gehört. Toll ist daher, dass diese bereits ein Gespräch mit Vertreter*innen des Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch die Vermittlung des Projektes Budgetkompetenz der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) hatten.

kobinet-nachrichten: Und was steht nun für Sie an? Der Herbst scheint ja wieder geschäftig bei Ihnen zu werden.

Ottmar Miles-Paul: Ich nehme mir immer wieder vor, langsamer zu machen. Dann kommen spannende Anfragen für Veranstaltungen und Lesungen. Und schon bin ich Feuer und Flamme dafür, so wie die Brandstifter*innen im Roman. So habe ich die mir selbst verordnete ruhigere Zeit ins nächste Jahr geschoben und gehe in den nächten Monaten noch einmal mit verschiedenen Leseassistent*innen so richtig auf Tour.

kobinet-nachrichten: Wo geht’s denn hin?

Ottmar Miles-Paul: Der September wird bereits wild mit einer Lesung in Hannover, zwei Lesungen in Wien und einer Lesung in Bonn. Dann kommen dieses Jahr noch mindestens zwei Online-Lesungen und Termine in Stuttgart, Kaiserslautern, Köln, Frankfurt und Erlangen dazu. Dann bin ich wahrscheinlich neben all den anderen Dingen, die ich mache, zum Jahresende entsprechend müde.

kobinet-nachrichten: Wird es einen weiteren Roman von Ihnen geben?

Ottmar Miles-Paul: Das fragen mich viele. Ich bin ja eher der Propagandist für Inklusion, Menschenrechte sowie für die Gleichstellung und Selbstbestimmung behinderter Menschen. Dass ich mich an einen Roman gewagt habe, hat hauptsächlich damit zu tun, weil ich gemerkt habe, dass die fachlichen und herkömmlichen Diskussionen die Herzen und den Blick auf das, was Benachteiligungen für behinderte Menschen konkret bedeuten, kaum erreichen und oft technokratisch abgehoben sind. Und nun sagen mir immer wieder Leute, ich soll einen weiteren Roman schreiben. Das hat mich dazu geführt, mal einen Anfang zu schreiben, aber ob das stimmig ist und wie dieser wächst, das steht noch in den Sternen.

kobinet-nachrichten: Wie kommt man an den Roman Zündeln an den Strukturen, also wo kann man den erwerben?

Ottmar Miles-Paul: Mir ist wichtig, dass auch Menschen mit wenig Geld Zugang zum Roman haben, deshalb freue ich mich, dass dieser kostenfrei in der Volltextbibliothek bidok heruntergeladen werden kann. Dass diese Möglichkeit schon fast 1.200 Menshen genutzt haben, das freut mich besonders.

Link zum kostenfreie Download des Romans

Wer das Buch in Händen halten möchte, kann dies im Buchhandel erwerben oder Online als Printversion oder E-Book bestellen.

Angaben zum Roman:
Ottmar Miles-Paul, Katrin Grund „Zündeln an den Strukturen“ – Reportage-Roman, Verlag epubli 2023, 288 Seiten.

Im Buchhandel erhältlich: ISBN-Nummer 9783757579388, als E-Book: ISBN-Nummer 9783757579760.

Oder direkt beim Verlag: 17,00 Euro plus 2,95 Euro Versandkosten, E-Book zum Preis von 5,95 Euro. Link:

https://www.epubli.com/?s=Z%C3%BCndeln+an+den+Strukturen

Link zu weiteren Infos zum Roman und zu weiteren Lesungen:

http://www.nw3.de/index.php/664-roman-zuendeln-an-den-strukturen-befeuert-diskussion-um-reform-des-werkstaettensystems

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview