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Aktion Schichtende gestartet

Logo: Budget für Arbeit nutzen
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Foto: Netzwerk Artikel 3

Berlin (kobinet) Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) hat heute, am 4. August 2023, die Aktion Schichtende in Werkstätten für behinderte Menschen gestartet. Ziel der Aktion ist es, die verstärkte Nutzung des Budget für Arbeit als Alternative zu einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen voranzutreiben und zu unterstützen. An jedem vierten Arbeitstag eines Monats soll zukünftig darauf hingewiesen werden, dass an diesem Tag bei einer Beschäftigung von 6 Stunden pro Arbeitstag das durchschnittlich gezahlte Entgelt in einer Werkstatt für behinderte Menschen von 225 Euro pro Monat bereits erwirtschaftet wäre, wenn in den Werkstätten Mindestlohn gezahlt würde. Um behinderte Menschen zu ermutigen, den Schritt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wagen, sollen jeweils konkrete Beispiele aufgezeigt werden, wo und wie dies bereits gelungen ist.

Während behinderte Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, monatlich lediglich ein durchschnittliches Entgelt von 225 Euro bekommen, berichtete die Bundesagentur für Arbeit vor kurzem über die Durchschnittsgehälter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt folgendes: „Das Medianentgelt aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten lag im vergangenen Jahr bei 3.646 Euro. Gegenüber dem Jahr 2021 sind die Löhne und Gehälter somit um 130 Euro oder 3,7 Prozent gestiegen. Neben Tariferhöhungen ist der Anstieg auch mit der hohen Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld während der beiden Pandemiejahre zu begründen. Während dieser Zeit bezogen viele Beschäftigte durch die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld ein geringeres Entgelt.“

Ein aktueller Bericht des WW-Kurier zeigt, was möglich ist, wenn viele an einem Strang ziehen. „Seit 2008 konnten insgesamt 43 Werkstattbeschäftigte der Caritas-Werkstätten Westerwald-Rhein-Lahn – darunter 34 Westerwälder – im Rahmen des Budgets für Arbeit auf einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz wechseln. Dagmar Theis, Leiterin der Viweca, beschreibt die Zufriedenheit der ehemaligen Werkstattbeschäftigten: ‚Sie verdienen jetzt ihr eigenes Geld und ihr Selbstwertgefühl und ihre Unabhängigkeit wurden deutlich gesteigert‘, so Theis“, heißt es in einem Bericht des WW-Kurier vom 2. August 2023. Interessant ist auch, dass der Senioren- und Behindertenrat (SBR) des Westerwaldkreise als Netzwerk die Nutzung des Budgets für Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützt. „Es wird von den Verantwortlichen schon viel getan, aber es darf noch besser werden“, heißt es dazu vonseiten des Beirats im WW-Kurier.

„Der SBR ist froh“, so heißt es in einer Pressemitteilung über die der WW-Kurier berichtet, „dass es kreisweit eine Fallsteigerung beim Budget für Arbeit gibt.“ 2012 waren es dem Bericht zufolge erst elf Personen, 2019 schon 19 und aktuell immerhin 24. „Die Tendenz zeigt erfreulich nach oben, und wenn das zuständige Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz und die Beteiligten vor Ort im Westerwaldkreis sich weiter gemeinsam engagieren, ist eine weitere spürbare Steigerung im Interesse der betroffenen Menschen möglich“, so SBR-Koordinator Uli Schmidt. Immerhin gebe es im Kreis 426 Werkstattbeschäftige als mögliche Zielgruppe.

Link zum Bericht des WW-Kurier

Das Beispiel aus dem Westerwald zeigt nach Ansicht der ISL, dass in Sachen Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt mehr möglich ist, als oft gedacht wird. Daher hat die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) gemeinsam mit einigen Partnern ein Projekt mit dem Titel „Budgetkompetenz – Initiative zum Budget für Arbeit und Ausbildung“ gestartet. Die Initiative Budgetkompetenz verfolgt das Ziel, die Nutzung der Budgets für Arbeit oder Ausbildung bundesweit zu verbessern.

Link zu weiteren Infos zum Budget für Arbeit: www.budgetfuerarbeit.de

Hintergrund:

Bei einer Beschäftigung von 6 Stunden pro Tag bei einem Mindestlohn von 12 Euro werden in vier Arbeitstagen 288 Euro erwirtschaftet. In der Werkstatt für behinderte Menschen liegt das durchschnittlich ausgezahlte Monatsentgelt bei 225 Euro. Selbst unter Berücksichtigung der Sozialabgaben wäre damit nach vier Tagen Schichtende.

„Der Ausschuss ist besorgt über (a) Segregation auf dem Arbeitsmarkt des Vertragsstaates; (b) finanzielle Fehlanreize, die Menschen mit Behinderungen am Eintritt oder Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt hindern; (c) den Umstand, dass segregierte Werkstätten für behinderte Menschen weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern“, heißt es in den Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands vom 13. Mai 2015 vonseiten des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Und weiter heißt es dort: Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, durch entsprechende Vorschriften wirksam einen inklusiven, mit dem Übereinkommen in Einklang stehenden Arbeitsmarkt zu schaffen, durch (a) die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten an zugänglichen Arbeitsplätzen gemäß der Allgemeinen Bemerkung Nr. 2 (2014) des Ausschusses, insbesondere für Frauen mit Behinderungen; (b) die schrittweise Abschaffung der Werkstätten für behinderte Menschen durch sofort durchsetzbare Ausstiegsstrategien und Zeitpläne sowie durch Anreize für die Beschäftigung bei öffentlichen und privaten Arbeitgebern im allgemeinen Arbeitsmarkt; (c) die Sicherstellung, dass Menschen mit Behinderungen keine Minderung ihres sozialen Schutzes bzw. der Alterssicherung erfahren, die gegenwärtig an die Werkstätten für behinderte Menschen geknüpft sind (…)“

Link zu den Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands vom 13. Mai 2015