BERLIN (kobinet) Der CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Hubert Hüppe, hat dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts nicht zugestimmt. Er geht davon, der verabschiedete Gesetzentwurf den Arbeitsmarkt in Deutschland nicht inklusiver machen wird, da bestehende Hürden nicht abgebaut werden.
Nach seinen Worten fehlt es dem Entwurf an Verbesserungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wie dem Budget für Arbeit oder dem Budget für Ausbildung, die in ihrer derzeitigen Form einen noch viel zu geringen Beitrag zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leisten. Auch ein Abbau an Hürden wie der Rehabilitationspädagogischen Zusatzqualifikation oder die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) lässt der Entwurf aus seiner Sicht vermissen.
Weiter stellt Hubert Hüppe in diesem Zusammenhang fest: „Stattdessen weicht die Ampel-Koalition die bestehende Beschäftigungspflicht für Unternehmen auf. Betriebe mit mehr als 60 Angestellten sind in Deutschland verpflichtet, fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Verstoßen sie vorsätzlich oder fahrlässig gegen diese Auflage, konnten die Unternehmen bisher mit einem Bußgeld belegt werden. Mit dem heute verabschiedeten Gesetz wird diese Regelung ersatzlos gestrichen. Dass mit dem Wegfall der Bußgeldregelung Inklusionsverweigerer auch noch belohnt werden, ist ein Skandal! Diese Art der Unternehmensentlastung auf Kosten der Menschen mit Behinderung war mutmaßlich für die FDP Grund genug, dem Gesetz zuzustimmen. Inklusiver wird der Arbeitsmarkt dadurch jedenfalls nicht.
Die im Gesetzentwurf enthaltene Einführung einer 4. Stufe bei der Ausgleichsabgabe trifft nur einen geringen Prozentsatz der Betriebe in Deutschland, da hierbei Sonderregelungen für kleine und mittlere Unternehmen bestehen bleiben. Die Abschaffung der Bußgeldregelung kann hingegen als Freifahrtschein für Unternehmen verstanden werden, die keine Menschen mit Behinderung beschäftigen. Hinzu kommt, dass sich Betriebe ohne Angestellte mit Behinderung weiterhin von der Ausgleichsabgabe freikaufen können, wenn sie entsprechende Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) vergeben. Dies wird eher zu einer Verfestigung der Sonderstrukturen führen als zu deren Abbau, wie es im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention eigentlich vorgesehen ist.“
Vor dem Bundestagsabgeordneten Huppert Hüppe (CDU) ziehe ich den Hut. Die Begründung für sein Abstimmungsverhalten ist komplett nachvollziehbar. Der Rechtsanspruch auf stufenweise Wiedereingliederung (StW) und auf Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) fehlt jeweils im Gesetz.
Und die Abschaffung der Bußgeldvorschrift für Inklusionsverweigerer, die schwerbehinderte Menschen vorsätzlich oder fahrlässig nicht im gesetzlichen Umfang beschäftigen wollen, ist ein beispielloser Skandal in der über 100jährigen Geschichte des deutschen Schwerbehindertenrechts.
Besonders schockierend ist, dass das sozialdemokratisch geführte BMAS die Vorreiterrolle für die Streichung der Bußgeldnorm übernommen hat. Leider hat auch der Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen, der sich sonst gerne als Inklusionspartei feiern lässt, die Strahlkraft der Bußgeldvorschrift verkannt und ihre Aufhebung mitgetragen.
Viele Grüße
Dr. Michael Karpf
Warum die Bußgeldvorschrift abgeschafft werden soll, wurde plausibel erklärt. Das die Union sich gegen die vierte Staffel der Ausgleichsabgabe ausspricht, finde ich eher bedenklich.
Nicht zu vergessen, die Union war 16 Jahre Regierungspartei und so wirklich kam von der Union nichts.
Da könnte man doch auch fragen, warum die Union nicht das schon alles gemacht hat, was sie heute bemängelt?
Dass die Bußgeldvorschrift abgeschafft werden könnte, ist eben gerade nicht plausibel. Der Sachverständige Prof. Franz Josef Düwell hat die Streichung bereits in der Ausschuss-Anhörung zum Gesetzentwurf kritisiert und später in einem SWR-Interview wiederholt. Zitat:
„Das ist ein Skandal“, sagt er. Unternehmen könnten dadurch Inklusionsbemühungen komplett einstellen und künftig einfach höhere Abgaben zahlen. „Der Gesetzgeber legalisiert das Freikaufen von der Beschäftigungspflicht“, sagt Düwell.
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/inklusiver-arbeitsmarkt-101.html
Der Abgeordnete Hubert Hüppe greift genau diese Sachverständigen-Kritik in seiner Erklärung vom 20. April 2023 auf. Download der Erklärung (PDF, 1 Seite) unter folgendem Link:
https://www.huberthueppe.de/wp-content/uploads/2023/04/31_GO-Erklaerung_Hueppe_MdB_GE_inklusiver_Arbeitsmarkt.pdf
Doch, es ist so was von plausibel und die Begründung lieferte die Debatte im Bundestag. Aber klar, als Union muss man natürlich Kritikpunkte suchen, auch wenn diese begründet wurden, um vom eigenen Versagen in der Behindertenpolitik abzulenken.
Nehmen wir Rüffer zitiert: „Es ist richtig, dass diese Bußgeldvorschrift bisher ein stumpfes Schwert gewesen und kaum zur Anwendung gekommen ist. Selbst wenn Unternehmerinnen und Unternehmer, wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber behinderte Menschen nicht eingestellt haben und diese Bußgeldvorschrift zum Zuge gekommen ist, ist die Bundesagentur für Arbeit nur in den seltensten Fällen – in den allerseltensten Fällen! – aktiv geworden; denn sie hat kein besonderes Interesse daran, das zu verfolgen. Die Bundesagentur für Arbeit braucht, um ihre Arbeit gut zu machen – das kann man in gewisser Weise nachvollziehen –, ein gutes Verhältnis zu den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und will nicht in rechtliche Konflikte geraten. Die SPD hatte dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages den Auftrag gegeben, das zu überprüfen. Das Ergebnis lautet: Wenn man aus diesem stumpfen ein scharfes Schwert machen möchte, dann täte man gut daran, der Bundesagentur für Arbeit diese Aufgabe zu entziehen und sie an den Zoll zu übermitteln [..]“
Hört man Rüffer weiter zu, wird deutlich, dass es der Union nicht so wichtig mit dem Bußgeld ist: „Die Union und auch die unionsgeführten Bundesländer sind drauf und dran, zu erwirken, dass dieses Gesetz in den Vermittlungsausschuss getragen wird, aber nicht – dann wäre es konsistent, was hier gesagt wird –, um die Bußgeldvorschrift in das Gesetz zurückzuverhandeln – das würde mich ja freuen –, um dieses Gesetz in Richtung mehr Inklusion zu schärfen, sondern – im Gegenteil – um die vierte Staffel der Ausgleichabgabe zu streichen, die von euch auch noch als „Sanktion“ diffamiert wird.“
Laut Duden bedeutet das Wort plausibel: „einleuchtend, verständlich, begreiflich“. Es ist einleuchtend, dass die BA ungeeignet als Bußgeldbehörde ist, weil sie in einem Interessenkonflikt steht. Nicht begreiflich ist, dass wegen dieses Interessenskonflikts entschieden worden ist, die Bußgeldvorschrift aus dem Gesetz zu nehmen. Diese Ansatz ist völlig unverständlich, weil die 4. Staffel der Ausgleichabgabe auch eingeführt werden kann, ohne die Bußgeldvorschrift anzutasten.
Selbst der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung hat die Streichung empört abgelehnt und als „nicht sachgerecht“ und politisch „falsches Signal“ bezeichnet. Der Beauftragte, Jürgen Dusel, wird allgemein als Kenner der Materie angesehen mit enormer Praxiserfahrung. Er ist Volljurist und war zuvor bekanntlich u.a. langjähriger Chef des Integrationsamts für das Land Brandenburg. Weitere Experten und der Sozialveband VdK haben sich ebenfalls gegen die Streichung ausgesprochen.
https://kbnt.org/saipqy7
Die Idee mit der Verlagerung der Bußgeldzuständigkeit an den Zoll ist auch keine neue Erkenntnis, sondern wird in Fachkommentaren schon seit längerem diskutiert.
Ändert aber trotzdem nichts an der Tatsache, dass die Kritik der Union nur zum Wählerfang dient, oder warum wird das dann seitens der Union nicht zum Vermittlungsausschuss getragen, sondern nur die 4. Staffel der Ausgleichsabgabe? … Wehe wehe dem, der da böses ahnt 🙂