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Erfahrungen mit der Kompliziertheit von Barrierefreiheit

Weg über eine historische Steintreppe
Mühevoller Weg zur Barrierefreiheit
Foto: H. Smikac

MAGDEBURG (kobinet) Ende des Jahres 2022 begannen Bauarbeiten an der Bushaltestelle ganz in meiner Nähe. Der gesamte Belag wurde aufgenommen. Die Haltestelle sollte neu gestaltet werden. Ein Grund zur Freude, denn sicherlich sollten nun auch Rollstuhlnutzerinnen und Rollstuhlnutzer eine barrierefreie Bushaltestelle bekommen. Eine weitere Haltestelle, welche nur zirka 500 Meter von ihr entfernt war, und auch die Fuß- und Radwege an einem dazwischenliegenden Kreisverkehr waren es ja auch schon. Aber leider kam es anders.



Die Bauarbeiten wurden beendet und die Haltestelle sah genauso aus wie zuvor: Kein erhöhten Bordsteine, keine Bodenindikatoren, keine besonderen Kontraste. Das war nur schwer zu verstehen, beziehungsweise gar nicht zu begreifen – es wurde gebaut aber die alten Barrieren wurden konserviert. Dabei handelt es sich doch um eine Haltestelle, die von mehreren Linien angefahren wird und deshalb stark frequentiert ist. Es gibt doch die UN-Behindertenrechtskonvention und es gibt einen Aktionsplan zur Umsetzung dieser Konvention. Hierbei musste ich aber lernen, dass es in ihnen keinerlei verbindliche Aussagen zur praktischen Umsetzung von baulicher Barrierefreiheit gibt. Zum einen sind sie Rechtsgrundlage, zum anderen erfordert ihre Umsetzung jedoch eine weitere Spezialgesetzgebung, zum Beispiel ein Straßenbaugesetz.

Also ein Blick in das Straßengesetz des Landes. Es legt im Paragraph neun „Straßenbaulast“ fest, dass die Straßen zu verbessern und dabei die öffentlichen Belange, „…insbesondere des Fußgänger-, Radfahrer- und Behindertenverkehrs…“ zu berücksichtigen sind. Noch bis zum 31. Dezember des Jahres 2025 besteht zudem die Möglichkeit, auf der Grundlage eines Fördermittelprogramms des Landes Sachsen-Anhalt Fördermittel für den barrierefreien Ausbau von Haltestellen zu erhalten. Das sagt die Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zum barrierefreien Ausbau von Haltestellen und über die Gewährung von Zuwendungen für Maßnahmen zur Erhöhung der Informationsqualität an Haltestellen im öffentlichen Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) (Richtlinien ÖSPV-Haltestellenprogramm).

Der nur 200 Meter entfernten Kreisverkehr wurde barrierefrei ausgestaltet. Warum hier nicht ? Für jemanden, der selbst Rollstuhlnutzer ist und täglich sieht wie sich ältere Personen mit ihren vom Einkauf vollgepackten Rollatoren über die viel zu hohen Einstiege der Autobusse quälen müssen, ist das einfach nicht zu verstehen. Also: Nachfragen !

Die ersten Antworten waren völlig unbefriedigend. Kreisverkehr und Haltestelle wären nicht zu vergleichen, meinte ein Stadtrat. Der Kreisverkehr wäre eine Investition und die Haltestelle nur eine Reparatur. Das war nun gar nicht zu begreifen: Investitionen schaffen Barrierefreiheit und Reparaturen konservieren Barrieren ? In beiden Fälle wird doch einfach Geld ausgegeben und gebaut. Warum nicht auch „barrierefrei reparieren“ ?

Klarheit bringt dann erst ein Fachexperte für Barrierefreies Planen und Bauen. Und diese Klarheit beginnt für mich mit einer weiteren und sehr langen Frage, nämlich: Gibt es einen kommunalen Erlass der zuständigen Gebietskörperschaft, bei Bauplanungen im öffentlichen Verkehrs- und Freiraum die DIN 18040 Teil 3 (Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen Teil 3: Öffentlicher Verkehrs und Freiraum; Ausgabe: Dezember 2014), die DIN 32975 (Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung; Ausgabe: Dezember 2009 + DIN 32975 Berichtigung 1 – Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung, Berichtigung zu DIN 32975:2009-12; Ausgabe: Juli 2012), die DIN 32984 (Bodenindikatoren im öffentlichen Raum; Ausgabe: Dezember 2020) und die DIN 32986 (Taktile Schriften und Beschriftungen Anforderungen an die Darstellung und Anbringung von Braille- und erhabener Profilschrift; Ausgabe: Juni 2019) in den Planerhonorarvertrag aufzunehmen, oder bleibt das dem Auftraggeber überlassen ? Lange Frage aber in ihr steckt die ganze Klarheit. Wenn das nicht im Planerhonorarvertrag vertraglich vereinbart wurde, dann gibt es auch keine Verpflichtung, so zu bauen.

Alles klar ! Ich unterstelle einmal, dass es beim Umbau der anderen Haltestelle im Bauauftrag gestanden hat und bei dieser Baustelle in unserer Nähe eben nicht. Aber auch das möchte ich nun genau wissen und werde weiterfragen. Ja und alle anderen Rollstuhlnutzer, Fahrgäste mit Rollator oder Kinderwagen müssen sich an dieser Haltestelle auch nach einer Reparatur für längere Zeit weiterhin über den Höhenunterschied von fast 20 Zentimetern zwischen Haltestelle und Einstieg des Niederflurbusses quälen.