
Foto: Andreas Vega
München (kobinet) Wer kennt das nicht, Lieblingssendungen oder wichtige Ansprechpartner sind in der Sommerpause. So plagt einem vor dem Fernseher entweder die Langeweile, oder der richtige Mann zum Reparieren eines Rollstuhls ist in weite Ferne verreist. Kobinet hingegen wird in den nächsten Tagen täglich ein Interview zum Thema „Persönliche Assistenz“ veröffentlichen. Am 19. Juni diesen Jahres veröffentlichten wir einen Bericht über massive Probleme bei der Personalsuche im Arbeitgebermodell bzw. persönlichen Budget. Die Redaktion erreichte viel Resonanz, das Thema der Artikel also getroffen. Täglich erscheint also ein Interview mit einem Menschen mit Behinderung, der „Persönliche Assistenz“ selbst organisiert und so versucht sein Lebensmodell „Selbstbestimmt Leben“ umzusetzen. Unsere Leser*innen bekommen also einen kleinen Einblick in die Probleme, die sich auf diesem Wege ergeben.
Heute sprechen wir mit einer behinderten Arbeitgeber*in aus der Region Ost Niedersachsen.
Kobinet: In welchem Umfang benötigen Sie persönliche Assistenz?
Ich brauche rund um die Uhr persönliche Assistenz.
Kobinet: Wie lange leben Sie schon mit persönlicher Assistenz?
Als ich 8 Jahre alt war (heute bin ich 56), begann der erste Zivildienstleistende in meiner Familie seinen Dienst. Damals hieß das wahrscheinlich noch nicht mal ISB. Aus einer Stelle wurden zwei, dann drei usw. Als ich mein Studium begann, war es schon rund um die Uhr. Ab 1991 kamen bezahlte Kräfte dazu, seit 2004 arbeiten bei mir rund um die Uhr Assistenten in Festanstellung und auf Honorarbasis im Arbeitgebermodell (plus/minus 10 MitarbeiterInnen).
Kobinet: Wie funktioniert bei Ihnen die Suche nach geeigneten persönlichen Assistent*innen?
Zunächst inseriere ich, passende Aspiranten lade ich zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch bei mir (ist schließlich der hauptsächliche Einsatzort) ein. Verläuft dieses für beide Seiten gut, kommt es zu einem zweiten Treffen – ich nenne das Mitmach-Tag (vom Aufstehen bis nachmittags), der meist für beide Seiten aufschlussreich ist. Dies endet mit einem abschließenden Gespräch.
Kobinet: Welche Medien nutzen sie zur Personalsuche?
Mund zu Mund Propaganda, Print-Aushänge auf Schwarzen Brettern der Uni und Hochschule, digitales Schwarzes Brett, Anzeigen im ortsansässigen Stadtmagazin, Anzeigen in der Tageszeitung, Facebook-Assistenzbörsen, andere Assistenzbörsen und die Agentur für Arbeit. Dieses Jahr gab es sogar einen Artikel & Online-Clip der ortsansässigen Tageszeitung über mich und einen meiner Assistenten. Auch in Netzwerken mit anderen Betroffenen, da die Profile recht unterschiedlich sind, schieben wir uns gute, aber bei einem selbst nicht passende Aspiranten gegenseitig zu. Man weiß so ungefähr, wer zu wem passt.
Kobinet: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Mund zu Mund Propaganda, dass funktioniert einfach am besten, da gleich eine Selektion möglicher Bewerberinnen und die Weitergabe von Infos erfolgen. Die Aushänge auf schwarzen Brettern war bis Corona sehr hilfreich, jetzt funktioniert das gar nicht mehr und auf digitalen schwarzen Brettern geht man inzwischen in einer Flut von Anzeigen unter. Bei Anzeigen im ortsansässigen Stadtmagazin kamen früher Reaktionen von (ich sag mal) Menschen auf der Suche, die sich anderes vorstellten, heute gibt es da keine Reaktionen mehr. Anzeigen in den Tageszeitungen sind schweineteuer – früher war ich damit 2x sehr erfolgreich (beide Herren beschäftige ich noch). Dieses Jahr hatte ich nur 2 ergebnislose Bewerbungen. Für Facebook und andere Börsen ist meine Stadt Diaspora. Bei Facebook gab es eine Menge Vorschläge von Freunden. Bei anderen wurden mir immer wieder Ukrainer vorgeschlagen. Da musste ich dann noch freundlich mit reichlich Argumenten antworten, sonst ist wäre ich auch noch als die undankbare Behinderte abgestempelt worden. Die Agentur für Arbeit nutze ich nie nie wieder!!! Weitergeleitet werden ausschließlich die Unvermittelbaren und auf meine erforderliche Skills wird nicht eingegangen. Da dient man nur der Makulatur von Zahlen. Über die ortsansässige Tageszeitung kamen nur ganz furchtbare Artefakte, ein Sammelsurium an Klischees und Anti-Werbung – das hatte nix mit uns zu tun! Ich war jetzt seit Januar auf der Suche nach neuem Personal – und aufgrund der allgemeinen Misere so kreativ wie nie zuvor beim Suchen nach neuen, anderen Veröffentlichungsplattformen. Das Ergebnis waren 6 Bewerbungen in 6 Monaten, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht funktionierten (eine Person war nicht impfwillig, zwei waren körperlich zu schwach, einer wollte keine Nachtdienste machen, für einen weiteren Bewerber fehlten um die 1000 Euro am Nettogehalt und ein Bewerber aus einem anderen EU-Land, der trotz 13 Jahren Aufenthalt in Deutschland nicht ausreichend Deutsch beherrschte). Erfolgreich war schlussendlich eine Weiterreichung aus dem Netzwerk. Vorerst zum Glück „Mission completed“.
Kobinet: Fürchten Sie Ihre Selbstbestimmung aufgrund der aktuellen Lage zu verlieren?
Die Suche hat mir schon viele schlaflose Nächte bereitet, natürlich ist da Existenzangst im Spiel. Aber mein Team ist über viele Jahre gewachsen, die Atmosphäre ist sehr familiär. Ich weiß, dass im Notfall eingesprungen wird, oder Ehemalige dazu stoßen. Dies war aber auch der Grund dafür, unermüdlich weiterzusuchen. Ich WILL, dass die Arbeitsbedingungen für meine Leute gut sind!
Kobinet: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage bezüglich der persönlichen Assistenz ein?
Die Lage der p A ist an die des allgemeinen Arbeitsmarktes geknüpft. Und wenn ich die unzähligen Stellenausschreibungen an Schaufenstern, Autotüren, Stadtbussen und bei meinen Handwerkern sehe, dann frage ich mich allgemein, wo sind die ganzen Arbeitnehmer*innen hin? Meines Erachtens ist p A ein sehr spezieller Job, der sehr spezielle Typen anzieht. Das ist zumindest bei mir so. Solche Typen wird es immer geben. Das große Problem ist, dass diese einen finden müssen. Ich denke, hier liegt das eigentliche Problem. P A ist nicht wirklich bekannt, das sollte sich ändern. Die beiden Berichte über uns waren da leider wenig hilfreich. Beiträge über Beiträge im TV und im Netz sollten am Bekanntheitsgrad rütteln.
Kobinet: Vielen herzlichen Dank!