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Heute vor 80 Jahren wurde Elfriede Lohse-Wächtler von den Nazis ermordet

Selbstporträt von Elfriede Lohse-Wächtler
Selbstporträt von Elfriede Lohse-Wächtler
Foto: privat

Hamburg (kobinet) Zum 80. Todestag von Elfriede Lohse-Wächtler, die um 1930 in Hamburg als Künstlerin Anerkennung fand und zehn Jahre später, am 31. Juli 1940, infolge der nationalsozialistischen "Euthanasie“-Aktion T4 ermordet wurde hat der Journalist Christian Mürner den kobinet-nachrichten folgenden Bericht zur Verfügung gestellt.

Bericht von Christian Mürner

Abb. Elfriede Lohse-Wächtler, Selbstbildnis, um 1930 (wiki)

Elfriede Lohse-Wächtler hieß mit Geburtsnamen Anna Frieda Wächtler, aber Frieda, wie sie von den Eltern genannt wurde, gefiel ihr nicht. In den sozialkritischen Dresdner Künstlerkreisen um Otto Dix (1891-1969) und Conrad Felixmüller (1897-1977) wurde sie „Laus“ gerufen, weil sie sich zeitweise burschikos als Nikolaus Wächtler bezeichnete.

Mit 16 Jahren verließ sie das Elternhaus und teilte ein Zimmer mit einer Freundin in Dresden. An der Kunstgewerbeschule belegte sie Kurse für „Mode und weibliche Handarbeiten“ und „angewandte Grafik“. An der Kunstakademie waren noch keine Frauen zugelassen. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie mit dem Verkauf von Batikarbeiten und Gebrauchsgrafik. Von 1918 an war sie freie Künstlerin. 1921 heiratete sie den Maler und Opernsänger Kurt Lohse, die Beziehung war durch fortwährende Kontroversen geprägt. 1925 zogen sie nach Hamburg, wo es zur Trennung kam.

Lohse-Wächtler bewohnte ein möbliertes Zimmer an der Fruchtallee 111 in Hamburg-Eimsbüttel. Ihre wirtschaftliche Not war groß, von der Kunstpflegekommission erhielt sie eine Unterstützung, ihre psychische Beeinträchtigung nahm zu und führte zum Zusammenbruch. Ihr Bruder brachte sie zusammen mit dem Dadaisten und Journalisten Johannes Baader (1875-1955) in die Staatskrankenhausanstalt Hamburg-Friedrichsberg. Dieser März 1929 wurde – im Nachhinein betrachtet – zur entscheidenden und folgenschweren Wende im Leben und Werk Elfriede Lohse-Wächtlers.

Einerseits beschränkte der Krankenhausaufenthalt ihren Unabhängigkeitswillen, doch sie schuf in kurzer Zeit die „Friedrichsberger Köpfe“, Zeichnungen und Porträts von Mitpatientinnen und Pflegerinnen, durch deren Ausstellung sie im Mai und Juni 1929 im Kunstsalon Maria Kunde als Künstlerin bekannt wurde. Auch die Hamburger Kunsthalle erwarb zwei Bilder. Der direkten Darstellungsweise bescheinigte man außerdem menschliche Zuneigung. Die Bilder seien kunsthistorisch einmalig: „Denn es ist kein anderer Fall bekannt, in dem eine Malerin während der eigenen Hospitalisierung die Verbildlichung psychisch Kranker zu ihrem Thema erhob“, bemerkte die Kunsthistorikerin Hildegard Reinhardt.

Andererseits erhielt Elfriede Lohse-Wächtler in Friedrichsberg die ungesicherte, verhängnisvolle Diagnose „Schizophrenie“. Nach ihrer Entlassung blieb ihre materielle Lage unverändert schwierig, sie wohnte in einem Hinterhof in der südlichen Altstadt Altona und lebte ruhelos auf St. Pauli. Dabei traf sie auf ihr naheliegende Motive und Personen, Prostituierte, Hafenarbeiter, Handwerker, Händler, Außenseiter, die sie in Zeichnungen und Aquarellen festhielt. Auch Selbstbildnisse in unterschiedlichen Stimmungslagen entstanden. Zunehmend mittellos kehrte Lohse-Wächtler 1931 zu ihren Eltern zurück, der Vater konnte ihr unkonventionelles Künstlerleben nicht ertragen und veranlasste unter Rückgriff auf die „Diagnose Schizophrenie“ die Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf. Sie wurde zwangssterilisiert und erhielt kaum mehr Papier zum Zeichnen. Sie fühlte sich von allen verlassen und einsam. „Ich gehe zugrunde“, notierte sie. 1935 wurde ihre Ehe mit dem Argument der „unheilbaren Geisteskrankheit“ geschieden, ihre Zeichnungen galten als Beleg dafür. Am 31. Juli 1940 wurde sie angeblich kriegsbedingt in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein verlegt und ermordet.

„Die Kunst war für Elfriede Lohse-Wächter das Leben“, schreibt der Historiker und heutige Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein Boris Boehm. Ihr Nachlass, mehr als 200 Zeichnungen und Aquarelle sowie Fotos, Briefe und andere Dokumente wurde über dreißig Jahre von den Hamburgern Marianne und Rolf Rosowski betreut. Heute befindet er sich in der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg, für 2022/23 ist eine große Einzelausstellung angekündigt.

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