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Werkstattkritischer EU-Bericht zur Beschäftigung mit großer Mehrheit verabschiedet

Flagge der EU
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Foto: gemeinfrei

Brüssel (kobinet) Gestern, am 10. März, hat das Europäische Parlament mit großer Mehrheit den Bericht zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in den Bereichen Beruf und Beschäftigung von Katrin Langensiepen beschlossen. Für den u.a. sehr kritischen Bericht in Sachen Werkstätten für behinderte Menschen stimmten 578 Abgeordnete, 65 stimmten dagegen und 51 Abgeordnete enthielten sich. "Neben verpflichtender Diversitätsquoten und besserer Unterstützung für Unternehmen fordere ich darin vor allem das Auslaufen von Behindertenwerkstätten und die gezielte Stärkung von inklusiven Alternativen. Statt abgeschottet zu werden, sollen Menschen mit und ohne Behinderung zusammen arbeiten, einen Arbeitnehmer*innen Status bekommen und einen Mindestlohn gezahlt kriegen", betonte Katrin Langensiepen nach der Abstimmung gegenüber den kobinet-nachrichten.

Die Grüne Europaabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, die als Berichterstatterin für den Bericht fungierte, kommentiert den Beschluss des Europaparlaments wie folgt: “Über 10 Jahre nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention scheitern die EU-Mitgliedstaaten immer noch daran, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Gleichberechtigten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ist für die meisten Menschen mit Behinderung noch fern ab von der Realität. Weniger als die Hälfte von ihnen haben eine Anstellung. Kern des Problems bleibt die Abschottung und Nicht-Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung und der Mangel an politischem Willen, dies ändern zu wollen.“

Und weitere stellte Katrin Langensiepen klar: „Statt an alten Strukturen und Sonderwelten wie Behindertenwerkstätten festhalten zu wollen, müssen wir Alternativen stärken, bei denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten. Deshalb fordern wir auch das Auslaufen von Behindertenwerkstätten, die nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention übereinstimmen und Menschen mit Behinderung keinen Arbeitnehmer*innen-Status geben. Sozialer Schutz und Mindestlohn muss auch für Menschen mit Behinderung gelten. Gerade für Deutschland, Spitzenreiter der Behindertenwerkstätten, wird dies zu großen Veränderungen führen. Bis jetzt weigert sich die Bundesregierung noch alte Strukturen neu zu denken. Außerdem müssen Unternehmen bei der Inklusion und Einstellung von Menschen mit Behinderung besser unterstützt und Bürokratie für individuelle Lösungen abgebaut werden.“

Der Inklusionsaktivist Raul Krauthausen unterstreicht: “In Deutschland arbeiten derzeit 300.000 Menschen in Behindertenwerkstätten, nur 1% davon schaffen den Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Rest arbeitet dort sein Leben lang weiter abgeschottet für einen Taschengeldbetrag. Die Politik muss erkennen, dass Werkstätten oder Berufsbildungsstätten, so wie sie jetzt sind, nicht unbedingt der Inklusion zuträglich sind. Menschen mit Behinderungen, die individuelle inklusive Wege gehen wollen, werden derzeit bürokratisch mehr Steine in den Weg gelegt als ermutigt, ihr Glück auf dem ersten Arbeitsmarkt zu versuchen. Das Gegenteil muss der Fall sein.”

Daher sei es nach Ansicht von Katrin Langensiepen die Verpflichtung der EU, diesen Veränderungsprozess aktiv zu unterstützen. „Inklusion zieht sich durch alle Lebensbereiche. Wenn ich für einen Job in eine Stadt ziehen muss, in der Straßen und Transport nicht barrierefrei sind oder ich keine behindertengerechte Wohnung finde, werde ich diesen Job auch nicht in Erwägung ziehen. Wenn er auf einer nicht-barrierefreien Website ausgeschrieben ist, werde ich ihn wahrscheinlich gar nicht erst finden. Auf EU-Ebene fehlt uns derzeit der rechtliche Rahmen, um Diskriminierung in allen Lebensbereichen einzufordern. Seit über 12 Jahren wird eine übergreifende Antidiskriminierungsrichtlinie schon im Rat blockiert – auch von Deutschland. Als ‚Hüterin der Menschenrechte‘ ist das für die EU ein absoluter Skandal.“

Das NETZWERK ARTIKEL 3 begrüßte die klaren Worte in Sachen notwendige Veränderung des Werkstättensystems hin zu inklusiven und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsmöglichkeiten für behinderte Menschen. Im Rahmen eines Projektes zur Förderung der Nutzung des Budget für Arbeit setzt sich das Netzwerk u.a. dafür ein, dass das im Bundesteilhabegesetz bundesweit geschaffene Instrument verstärkt genutzt wird. Im Vergleich zu der hohen Zahl an Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen, die sozusagen nur ein Taschengeld verdienen, ist die Zahl der Beschäftigten im Rahmen des Budgets für Arbeit nach wie vor verschwindend gering, kritisiert das NETZWERK ARTIKEL 3. Link zu weiteren Infos gibt’s unter www.budgetfuerarbeit.de

Link zum vom Europaparlament beschlossenen Bericht: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0014_DE.html