Berlin (kobinet) Das Bundeskabinett hat im Rahmen der Corona-Hilfen auch Änderungen in der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung beschlossen. Damit sollen die Entgelteinbußen von Werkstattbeschäftigten während der Corona-Pandemie zumindest teilweise kompensiert werden. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht unumstritten. So wichtig es sei, Entgelteinbußen von Werkstattbeschäftigten auszugleichen, die Ausgleichsabgabe, die das Ziel der Förderung der Integration und der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfolgt, sei hierfür das falsche Instrument, kritisiert der Geschäftsführer der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) Alexander Ahrens.
Konkret wurde beschlossen, dass ergänzt wird, dass die Integrationsämter der Länder die Mittel der Ausgleichsabgabe auch zielgerichtet für die Kompensation der Corona-bedingt sinkenden Arbeitsentgelte für Werkstattbeschäftigte mit Behinderungen verwenden können. Auch der Bund leistet seinen Beitrag: Er verzichtet 2020 einmalig auf 10 Prozent aus der Ausgleichsabgabe und überlässt diese den Integrationsämtern der Länder. Damit stehen in den Ländern rund 70 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Die Integrationsämter entscheiden in eigenem Ermessen und in eigener Verantwortung über die Höhe der Leistung, die die einzelne Werkstatt bekommt und auch über die Art und den Umfang der erforderlichen Nachweise. Die Werkstätten erhalten die Gelder zweckgebunden, so dass sichergestellt ist, dass die Leistungen zur Zahlung der Arbeitsentgelte an die Menschen mit Behinderungen gehen und deren Einbußen ausgeglichen werden, heißt es in einer Presseinformation des Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Um auch Entgeltausfälle auszugleichen, die seit Beginn der Pandemie eingetreten sind, treten die Regelungen rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft.
Den Satz „Die Auszahlung der Zuschüsse steht unter dem Vorbehalt ausreichend zur Verfügung stehender Mittel aus der Ausgleichsabgabe“ kennt Alexander Ahrens von der ISL nur zu gut aus Bewilligungsbescheiden. Die ISL und die Zentren für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen haben in den letzten 30 Jahren seit ihrem Bestehen eine Vielzahl von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen geschaffen bzw. haben dies bei anderen Arbeitgeber*innen unterstützt. Dabei sind die Akteur*innen immer wieder an die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Ausgleichsabgabe gestoßen, wenn es um Arbeitsassistenz, Hilfsmittel oder Umbauten ging. Deshalb ist es für Alexander Ahrens unverständlich, dass nun wieder massiv Mittel aus der Ausgleichsabgabe in das System der Werkstätten für behinderte Menschen fließt, deren Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht nur minimal ist und dessen System auch nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention konform sind.
Wenn die Bundes- und Landesregierungen Entgeltausfällte in den Werkstätten kompensieren wollen, dann sollten diese nicht die von den Arbeitgebern geleisteten Beiträge in die Ausgleichsabgabe nicht dafür missbrauchen, das Geld in Werkstätten zu geben, die diesem Ziel zum Teil sogar entgegenstehen, sondern andere Finanzierungsformen aus dem Staatshaushalt suchen. Viel wichtiger sei es, den Einsatz der Mittel der Ausgleichsabgabe noch zielgerichteter auf die Inklusion im allgemeinen Arbeitsmarkt auszurichten und beispielsweise Modelle wie das Budget für Arbeit, das Budget für Ausbildung und Inklusionsbetriebe gezielt zu fördern. Die Förderung der Entgeltausfälle in der Werkstatt sei ungefähr so, wie wenn die Mittel für die Sicherung der Arbeitsplätze bei Lufthansa aus dem Fonds einer Umweltstiftung genommen würde.
Link zur Presseinformation des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales