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Licht und Schatten bei den Inklusionstagen

Ottmar Miles-Paul
Ottmar Miles-Paul
Foto: Irina Tischer

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Foto: Irina Tischer

BERLIN (KOBINET) Bereits zum sechsten Mal fanden am 19. und 20. November im Berlin Congress Center (bcc) die Inklusionstage statt, zu denen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zum Schwerpunktthema Digitalisierung geladen hatte. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul hat sich bei den Inklusionstagen unter die über 500 TeilnehmerInnen gemischt und mit vielen gesprochen. Vor allem hat er sich auch damit beschäftigt, inwieweit die Veranstaltung dem Motto "digital - inklusiv" gerecht wurde. Folgender Kommentar ist aus diesen Beobachtungen mit der Überschrift "Licht und Schatten bei den Inklusionstagen" entstanden.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Nachdem es letztes Jahr bei den Inklusionstagen hauptsächlich um den Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus ging und Projekte aus anderen Ländern vorgestellt wurden, stand dieses Mal die Digitalisierung im Mittelpunkt. Und wie auch beim letzten Mal gab es im Vorfeld der Inklusionstage Stimmen, die kritisierten, dass mit dieser Schwerpunktsetzung viele der derzeit brennenden behindertenpolitischen und aktuellen Fragen unter den Tisch fallen oder gar gekehrt werden könnten. Die Beschäftigung mit der Digitalisierung sozusagen als Ablenkungsmanöver von all dem, was die Regierung derzeit noch nicht geregelt bekommt und dringend zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention tun müsste? Diese Kritik im Vorfeld war nicht nur wichtig, sondern vielleicht auch ausschlaggebend dafür, dass die verschiedenen aktuellen Themen immer wieder angesprochen wurden und deutlich gemacht wurde, dass ein inklusives Leben nicht nur digital und im virtuellen Raum, sondern auch im ganz praktischen Leben stattfinden und sichergestellt werden muss. Der Sprung von den digitalen Möglichkeiten und Herausforderungen in den Alltag der Menschen schaffte Prof. Dr. Theresia Degener auf der abschließenden Podiumsdiskussion meines Erachtens am besten, in dem sie auf die gleichzeitig stattfindende Demonstration vor der Kreisverwaltung in Düren für eine bedarfsgerechte Assistenz von Birgit Kalwitz hinwies und zur Solidarität aufrief. Dass dieses mit lautem Beifall aus dem Publikum quittiert wurde, war ein deutlicher Ausdruck dafür, dass die TeilnehmerInnen sehr wachsam und engagiert waren, wenn es um die Menschenrechte behinderter Menschen im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention geht. Dass es nun anscheinend nach über dreijährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen durch die Proteste und das darauf folgende Machtwort des Landrats endlich eine Lösung für die Assistenz für Birgit Kalwitz geben dürfte, erfreut, soll aber nicht außer acht lassen, dass es immer wieder zu solchen Auseinandersetzungen kommt, die dann als sogenannte Einzelfälle hart für ihre Rechte kämpfen müssen. Und nur wenige sind dazu in der Lage, sich mit den Behörden so anzulegen wie Birgit Kalwitz, um ihr Recht auf Assistenz durchzusetzen.

Auch der immer noch währende Wahlrechtsausschluss behinderter Menschen, die in allen Bereichen gesetezliche Betreuung nutzen, stand wieder einmal auf der Agenda der Themen, die bei den Inklusionstagen zur Sprache kamen und die endlich von der Politik gelöst werden müssen. Wurde im letzten Jahr noch ein Gutachten vorgestellt, das den Wahlrechtsausschluss weitgehend rechtfertigte, waren die Botschaften dieses Mal weitaus klarer. Den Aufschlag dafür machte der neue Bundesbehindertenbeauftragte Jürgen Dusel, bei dem deutlich wurde, dass dies für ihn eine Herzenssache ist. Dies wurde auch vom noch recht neuen Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil aufgegriffen und mit starken Worten unterlegt. Er kritsierte den Wahlrechtsausschluss nicht nur, sondern kündigte an, dass wenn sich das Innenministerium und die Fraktionen des Deutschen Bundestages demnächst nicht einig würden, er den Koalitionsausschuss in dieser Frage anrufen werde. Auf den ersten Blick waren diese Äußerungen beifallswürdig, bei genauerem Nachdenken kann man sich aber durchaus fragen: Warum wird dieses Thema immer wieder aufgeschoben, so dass es mittlerweile eng wird, dass bei der nächsten Europawahl diese Menschen wieder nicht ihr Wahlrecht wahrnehmen können? Die Antwort weiß wohl nur die Bundesregierung und die Regierungskoalition selbst. Und warum plötzlich nur noch von behinderten Menschen gesprochen wird, die in allen Bereichen Betreuung nutzen, und diejenigen gedanklich schon ausgeschlossen sind, die in der Forensik sind und denen das Wahlrecht ebenfalls verweigert wird, verwundert auch und ist erneut Ausdruck der vielen faulen Kompromisse, die immer wieder in der Behindertenpolitik gemacht werden und die so unnötig sind. 100 Jahre nach der Erkämpfung des Wahlrechts für Frauen könnte man eigentlich auch in anderen Bereichen der Wahlrechtsausschlüsse eine durchgängig aufrechtere Haltung erwarten.

Was das Schwerpunktthema der Inklusionstage, die Digitalisierung, betrifft, so gab es auch hier viel Licht und Schatten. Die Behandlung des Themas in den verschiedenen Workshops und Themenfeldern hat sicherlich viel Bewusstsein dafür geschaffen, welche Möglichkeiten die fortschreitende Digitalisierung bieten, welche Herausforderungen sie bedeuten können und was es braucht, um hier einen gleichberechtigten Zugang, sprich Barrierefreiheit, herzustellen. Hier gab es spannende Diskussionen und auch immer wieder die Forderung, dass Partizipation bei der weiteren Entwicklung und Einführung von Techniken dringend nötig ist. Denn wenn einmal der Wurm drin ist und Barrieren geschaffen wurden, dann sind diese wie in der realen Umwelt nur schwer wieder weg zu bekommen. Hilfreich dürfte hier eventuell der European Accessibility Act (EAA) sein, der in der digitalen Welt Verbesserungen verspricht, während die Einigung in der analogen Welt viel zu kurz kommt und heftig kritisiert wird. Digital hui – analog pfui, so könnte man das zusammen fassen. Und auch hier zeigt sich wieder, wie zögerlich die Regierungen sind, konkrete Vorschriften gerade auch für private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zu machen. Bei Amazon kann man zukünftig also wahrscheinlich leichter einkaufen, als beim Bäcker oder Metzger an der Ecke, denn die dürfen weiterhin kräftig Stufen haben und bauen. Hier traut sich die wirtschaftshörige Politik wieder nicht, wenigstens angemessene Vorkehrungen für barrierefreie Angebote und Produkte im privaten Bereich zu verankern. Und Deutschland ist hier seit eh und je Hauptblockierer. Dies widerspricht nicht nur jeglicher Erkenntnis im Hinblick auf den demografischen Wandel, sondern ist schlichtweg feige und wirtschaftshörig. Was in den USA schon seit fast 30 Jahren Standard ist, wird hierzulande immer noch als der Weltuntergang der deutschen Wirtschaft angesehen. Dicke Bretter sind hier also nichts gegen das, womit wir es hier immer noch zu tun haben. Da hat auch die 22stündige Ankettaktion im Mai 2016 nichts dran geändert.

Welche Möglichkeiten die mittlerweile gar nicht mehr so neuen Technologien bringen bzw. bringen können, kam immer wieder zur Sprache. Dabei war der Ansatz interessant, dass es sich hierbei nicht um spezielle Technologien für behinderte Menschen handelt, sondern um Technologien, von denen in der Regel alle profitieren. Assistive Technologies sind eigentlich Technologien, die nicht nur behinderten Menschen assistieren, sondern von vielen Menschen genutzt werden. Waren früher die Hörbücher eine Besonderheit für blinde Menschen, sind diese heute ein großer Markt. War das Schreibtelefon ein spezielles Hilfsmittel für gehörlose Menschen, wird heute über WhatsApp milliardenfach schriftlich und mittlerweile auch mündlich kommuniziert. Und auch Technologien in den Häusern und Wohnungen werden bald nichts besonderes mehr für behinderte Menschen sein. Wir alle werden, wenn dies breit und erschwinglich angeboten wird, bald nicht mehr nur die Fernbedienung des Fernsehens betätigen, sondern Alexa, Siri oder wie sie gerade heißen, zurufen, dass sie die Heizung etwas hochdrehen, die Tür öffnen soll, weil ein Freund kommt, oder das Licht auszuschalten soll. Von selbstfahrenden Autos ganz zu schweigen. Vom selbstreinigenden Haus war leider noch nicht die Rede. Dass diese Technologien barrierefrei und menschrenrechtskonform entwickelt und eingesetzt werden müssen, darauf hat Prof. Dr. Theresia Degener, die Vorsitzende des UN-Fachausschusses für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zurecht und eindringlich hingewiesen. Und auch Hubertus Heil setzte den richtigen Akzent, dass diese technischen Entwicklungen sozial angelegt sein und den Menschen dienen müssen. Raul Krauthausen war da deutlicher in dem er sagte, dass ein Scheissprozess nicht dadurch besser wird, wenn es ein digitaler Scheissprozess ist. Ein digital gestütztes Leben in einer aussondernden Einrichtung bleibt ein Leben in einer aussondernden Einrichtung, das mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nun mal gar nichts zu tun hat, so schön der Anstrich auch sein mag.

Soweit zum großen Ganzen der Digitalisierung, das unser Leben zukünftig prägen und beeinflussen könnte. Ganz praktisch bei den Inklusionstagen wurden auf der einen Seite enorme Anstrengungen von den Veranstaltern unternommen, diese Veranstaltung so barrierefrei wie möglich zu gestalten. Dies reichte von Gebärden- und SchriftdolmetscherInnen, über die Übersetzung in Leichte Sprache, bis zur physischen Barrierefreiheit des Veranstaltungsortes. Doch bei der einen oder anderen Präsentation wurde der menschliche Faktor der Digitalisierung mehr als deutlich. Wenn beispielsweise Vorträge zur Digitalisierung im Zusammenhang mit einer inklusiven Bildung in althergebrachter Power Point Manier mit Textbleiwüsten und miserablen Farbkontrasten gehalten werden, muss sich der kritische Beobachter schon fragen, was da hinter den schönen Worten in der Praxis wirklich stattfindet. Ist die Digitalisierung wirklich so inklusiv, wenn man nicht in der Lage ist, das Gezeigte entsprechend zu beschreiben und erklären und so anzulegen, dass möglichst alle mitkommen? So manchen blinden und sehbehinderten Menschen stieß dies nicht nur sauer auf, sondern sorgte auch zuweilen zu Verärgerung. Wenn der Mensch also nicht im gleichen Tempo in Sachen Inklusion dazu lernt, wie die Digitalisierung fortschreitet, besteht schnell die Gefahr, dass dadurch auch wieder Menschen mit Behinderungen behindert werden und zurückbleiben können. Bei den Inklusionstagen kann man da eigentlich anderes erwarten.

Und was bleibt von den Inklusionstagen? Die Bundesregierung arbeitet derzeit wie viele andere Akteure auch, an Strategien im Umgang und für die Förderung der Digitalisierung. Hier sollen auch konkrete Maßnahmen und Partizipationsprozesse in Sachen Inklusion und Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mit aufgenommen werden. Ob bei den nächsten Inklusionstagen verkündet werden kann, dass alle behinderte Menschen, die Eingliederungshilfen bekommen – ob in Einrichtungen oder zu Hause – einen Zugang zum Internet bekommen, dürfte wohl zweifelhaft sein. Eine Basis für diese Forderung wurde aber an verschiedenen Stellen der Inklusionstage geschaffen. Und dann stehen wir, wenn denn im November 2019 die Inklusionstage wieder stattfinden, kurz vor dem Inkrafttreten der großen Reform des Eingliederungshilferechts des Bundesteilhabegesetzes zum 1. Januar 2020. Vielleicht wäre das dann ja ein Vorschlag für das Hauptthema der nächsten Inklusionstage?