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Zum Mitschreiben – was gut und richtig für uns ist

Hand auf Computertastatur
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LEIPZIG (KOBINET) Jennifer Sonntag, die sich u.a. als Inklusionsbotschafterin engagiert, ist ein Mensch, der sich zu einem großen Teil lesend und schreibend durchs Leben hangelt. "Für mich als Blinde stellt der schriftliche Austausch mit anderen Menschen mit Behinderungen und mit Projektpartnern eine wesentliche Kommunikationsgrundlage dar. Egal ob ich Bücher schreibe, für Sendungsbeiträge recherchiere oder mich meinem Fernstudium des literarischen Schreibens widme, die Schriftsprache ist mein ständiger Begleiter", schreibt Jennifer Sonntag in ihrem Bericht über die Last mit Anträgen und den zum Teil unwürdigen Kampf mit Ämtern für die kobinet-nachrichten.

Bericht von Jennifer Sonntag

Ich bin ein Mensch, der sich zu einem großen Teil lesend und schreibend durchs Leben hangelt. Für mich als Blinde stellt der schriftliche Austausch mit anderen Menschen mit Behinderungen und mit Projektpartnern eine wesentliche Kommunikationsgrundlage dar. Egal ob ich Bücher schreibe, für Sendungsbeiträge recherchiere oder mich meinem Fernstudium des literarischen Schreibens widme, die Schriftsprache ist mein ständiger Begleiter. Das funktioniert auch wunderbar, wenn mir die entsprechenden Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Ich arbeite beispielsweise mit einer Sprachausgabe am PC und statt einer Maus benutze ich eingeübte Tastenkombinationen. Die Voraussetzung für mein Agieren am Computer ist ein Screenreader.

Um diese großartigen Hilfen nutzen zu können, sind Anträge nötig. Sie zu stellen, kostet mich Überwindung. Das liegt daran, dass es bei längst gesetzlich verankerten Standards noch immer Diskussionen gibt, die zu einer demütigenden Dynamik führen: Bittstellerin trifft auf Kostenträger. Moderne Begrifflichkeiten wie Inklusion und Teilhabe sind bei vielen SachbearbeiterInnen noch nicht verinnerlicht. Wenn man dann voller optimistischer Selbstbestimmung auf eine solche Person trifft, landet man ganz schnell wieder auf dem Boden der Hilfsbedürftigkeit und fühlt sich ausgeliefert.

Ich hatte also jüngst, obwohl mein Leben und seine Anforderungen mir davonrannten, ganze vier Monate auf mein Schreibwerkzeug zu warten. Behördliche Informationen, die ich bewältigen musste, konnte ich nicht lesen. Gern wollte man die Verantwortung dann meinem Partner überlassen. Aber ganz grundsätzlich: mein Partner ist keine Schreibmaschine und kein Vorlesegerät! Er hat ein eigenes, sehr stressiges Leben mit ganz eigenen Verantwortungen. Meine Blindheit zählt verständlicherweise nicht zu seinen Hobbys und wir leben andere Leidenschaften. Dass ein Sehender bei Bedarf wie ein Blindenhilfsmittel ausgeklappt werden kann, gehört oft zu den romantischen Vorstellungen derer, die Informationen nicht barrierefrei zur Verfügung stellen. Außerdem möchte ein Mensch mit Behinderung auch innerhalb einer Paarbeziehung nicht permanent in die Rolle des oder der Bittenden geraten, vor allem, wenn es gar nicht sein muss, weil es tolle Hilfsmittel gibt.

Da ich noch immer von der Überzeugung beseelt war, Bescheidenheit sei eine positive Eigenschaft, beantragte ich auch nur das Nötigste und ließ, entgegen der Hilfsmittelempfehlung, sogar die Braillezeile weg. Eine Braillezeile übersetzt den Bildschirminhalt zeilenweise in Punktschrift und gehört für blinde Menschen am PC zur Grundausstattung. Sie hätte mir, wenn ich also ehrlich bin, auch ganz gut getan. Weil ich aber nun so bescheiden war, lehnte man mir zur Belohnung nach reichlich Wartezeit, den beantragten Screenreader ab. Man schlug mir einen preiswerteren vor. Diesen kannte ich nicht und ich war auch in seinen Gebrauch nicht eingearbeitet. Dafür wäre eine zusätzliche Schulung erforderlich geworden, welche aber von der Krankenkasse nicht finanziert würde. Für einen blinden Menschen, der sich vollkommen ohne Maus und Monitor in einem neuen System zurechtfinden muss, genügt keine kurze Einweisung. Ich hätte also eine teure Schulung bezahlen müssen. Warum also nicht der bekannte Screenreader, mit dem ich seit Jahren auch beruflich vertraut war? Zudem arbeitete ich an einem Berufsförderungswerk (BFW) für Blinde und Sehbehinderte und in unserem Haus wurden Rehabilitanden ebenfalls im Gebrauch dieses Screenreaders geschult, weil er anerkannt und sinnvoll war. Schwer auszuhalten, wenn eine themenfremde Mitarbeiterin der Krankenkasse dann doch besser wusste, was gut und richtig für mich war. In so einem Abhängigkeitsverhältnis hat Halbwissen immer ungünstige Tragweite.

Und natürlich wachen in diesem Zusammenhang auch die gut verdrängten Unannehmlichkeiten der Vergangenheit auf: „Sie sind der Lautsprache mächtig und nicht zwingend auf Schriftsprache angewiesen“, diese Argumentation der Krankenkasse ist legendär. Gilt das auch für die damalige Mitarbeiterin, die diesen Satz verzapfte? Und klar, damals, für mein Studium, da musste ich mich vor dem Amt für Versorgung und Soziales vollkommen nackig machen, als es um die Beantragung von Vorlesegeld ging. Man ließ sich zum „Sozialfall“ degradieren, weil man studieren wollte. Fürs Faulenzen hätte man sich weniger rechtfertigen müssen, als für hart erkämpfte Bildung. Dabei absolvierte ich mein Studium, während ich dabei erblindete, in der Regelstudienzeit. Die Ersparnisse, die meine Eltern seit meiner frühesten Kindheit für die Zukunft angelegt hatten, das mühsam zusammengehaltene Geburtstagsgeld von meinen beiden Omis, musste nun wegen der Regelungen zur Eingliederungshilfe, mit angerechnet werden. Ich hatte jede private Ausgabe zu rechtfertigen, jede Aktivität mit einer Quittung zu belegen, meinen Stundenplan und meine Leistungsnachweise regelmäßig einzureichen, während mir die eigentlich notwendigen Hilfen ohnehin abgelehnt wurden. Besonders verletzend fand ich dann die Aussage einer Sachbearbeiterin: „Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie nicht an der Hochschule sind.“

In dieser Zeit absolvierte ich sehr engagiert meine Praxissemester, auch hier trotz meiner zunehmenden Erblindung zuverlässig. Wie ich ohne Blindentechnik meine nebenbei laufenden Referate vorbereitete, Hausarbeiten schrieb und meine Klausuren bewältigte, wie ich mich von A nach B bewegte und den Praxisanforderungen gerecht wurde, fragte sich auf dem Amt niemand. Ich war immer korrekt, habe keine einzige Prüfung verhauen, keinen Schein zu spät abgegeben oder mir sonst irgendetwas zu Schulden kommen lassen. Ich erblindete und ich war Studentin, das war tatsächlich ein größeres Problem, als Kommilitonen, die sich bester Gesundheit erfreuten und aus Dudeldei mal noch paar Runden mehr drehten.

Durch die permanente Überforderung meines Sehrestes erlitt ich innerhalb des Studiums kurz vor der Diplomarbeit einen Erblindungsschub. Ich bin sicher, dass es sehr entlastend für die Augen gewesen wäre, wenn ich notwendige Hilfen erhalten hätte. Die permanente Auseinandersetzung mit Anträgen, Ablehnungen, Wiedersprüchen und Rechtfertigungen haben mich zusätzlich zu meiner eigentlichen Behinderung sehr belastet. Eingliederungshilfen sollten ja das Leben erleichtern, nicht erschweren.

Es fühlt sich für mich höchst sonderbar an, einen reinen Aufregertext zu schreiben. Das wird wohl auch nicht mein Lieblingsgengre werden. Aber ich tue es nicht zum Selbstzweck. Ich habe mich dazu entschieden, weil er der momentanen Teilhabediskussion dient und ich meine Erfahrungen gern einbringen möchte. Ich glaubte, seit meinem Studium hätte sich eine ganze Menge getan und sehbehinderte und blinde Studenten hätten es heute entspannter. Wenn ich nun aktuelle Fallbeispiele lese, bin ich irritiert.

Was mein derzeitiges Schreibgerät betrifft, bin ich nun offensichtlich wieder an Bord. Mein Hilfsmittelanbieter hat sich nett mit der Krankenkasse einigen können. Ich möchte mich an den Gedanken gewöhnen, dass ich Hilfsmittel selbstbestimmt einfordern darf. Natürlich macht noch immer der Ton die Musik und ich verbleibe voller Begeisterung für die Möglichkeiten der Teilhabe, wenn sie denn dann endlich gelebt werden kann!