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Heute im Bundesrat: 70 Millionen aus Ausgleichsabgabe an Werkstätten

Schriftzug Bundesrat
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Foto: Bundesrat

Berlin (kobinet) Der Deutsche Bundestag hat der Neuregelung bereits zugestimmt, heute entscheidet der Bundesrat darüber. Die Rede ist von der Änderung der Ausgleichsabgabeverordnung damit daraus 70 Millionen Euro an die Werkstätten für behinderte Menschen fließen können, um den Verdienstausfall der behinderten Beschäftigten im Rahmen der Corona-Pandemie zu kompensieren. Was von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) kritisiert wird, wird von der Bundesvereinigung der Lebenshilfe begrüßt.

Was unter dem Tagesordnungspunkt 49 der heutigen Bundesratssitzung nüchtern mit der Überschrift „Vierte Verordnung zur Änderung der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung“ betitelt und heute wohl auch beschlossen wird, birgt nicht nur einen Umfang von 70 Millionen Euro in sich, die aus der Ausgleichsabgabe an Werkstätten bzw. deren behinderte Beschäftigte fließt, sondern auch einen gewissen Zündstoff. Zur Erläuterung des Tagesordnungspunktes heißt es auf der Seite des Bundesrates:

„Durch die Änderung der Verordnung erhalten die Integrationsämter der Länder die Möglichkeit, aus den ihnen zustehenden Mitteln der Ausgleichsabgabe Leistungen an Werkstätten für behinderte Menschen zu erbringen, um Entgelteinbußen der dort beschäftigten Menschen mit Behinderungen auszugleichen. Der Bund leistet dazu einen Beitrag, indem er den Ländern einmalig im Jahr 2020 zehn Prozentpunkte mehr von der Ausgleichsabgabe überlässt. Die Länder haben wegen der COVID-19-Pandemie für Einrichtungen Behindertenhilfe vielfach Betretungsverbote und zum Teil auch Beschäftigungsverbote für Menschen mit Behinderungen nach dem Infektionsschutzgesetz ausgesprochen. Es sei zu erwarten, dass sich diese Maßnahmen negativ auf das Arbeitsergebnis der Werkstätten für behinderte Menschen auswirkten. § 12 der Werkstättenverordnung lege fest, dass die Werkstätten mindestens 70 Prozent ihres Arbeitsergebnisses in Form von Entgelten an die Beschäftigten auszahlen müssten. Ein über Monate hinweg niedriges Arbeitsergebnis der Werkstatt könne dazu führen, dass die Höhe der Arbeitsentgelte der Beschäftigten sinke. Kurzarbeitergeld komme für Menschen mit Behinderungen, die nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könnten, nicht in Betracht. Gleichwohl sollen Entgelteinbußen der Werkstattbeschäftigten vermieden werden.“

Für die Beschäftigten in Werkstätten gäbe es eine erfreuliche Entwicklung, berichtet die Bundesvereinigung Lebenshilfe in einer Presseinformation. Die Bundesregierung wolle jetzt bis zu 70 Millionen Euro aus der Ausgleichabgabe zur Verfügung stellen, um die finanzielle Lücke zu verkleinern. Der Bund verzichte deshalb im Jahr 2020 auf die Hälfte der ihm zustehenden zwanzig Prozent aus der Ausgleichsabgabe und überlasse den Betrag den Ländern sowie deren Integrationsämtern. Das Geld sei zweckgebunden und dürfe ausschließlich für die Sicherung der Entgelte ausgegeben werden. Dafür sei eine Änderung der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung erforderlich, sie soll ab dem 1. März 2020 rückwirkend in Kraft treten. „Damit wird Menschen, die das geringste Einkommen in unserer Gesellschaft haben, ein Stück weit geholfen. Das unterstützen wir natürlich“, so die Lebenshilfe-Bundesvorsitzende Ulla Schmidt. „Es muss aber unbedingt dabei bleiben, dass die Mittel nur einmalig aus diesem Topf genommen werden. Es besteht sonst die Gefahr, dass Gelder der Ausgleichsabgabe an anderer Stelle fehlen. Beispielsweise bei der Förderung des Arbeits- und Ausbildungsplatzangebots für schwerbehinderte Menschen oder bei der Umsetzung des Budgets für Arbeit.“

Und genau diesen Punkt, dass die Mittel der Ausgleichsabgabe an anderer Stelle fehlen, um den zentralen Auftrag der Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gerecht zu werden, zu erfüllen, kritisiert die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL). So wichtig es sei, Entgelteinbußen von Werkstattbeschäftigten auszugleichen, die Ausgleichsabgabe, die das Ziel der Förderung der Integration und der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfolgt, sei hierfür das falsche Instrument, kritisiert der Geschäftsführer der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) Alexander Ahrens. Den er kennt den Satz „Die Auszahlung der Zuschüsse steht unter dem Vorbehalt ausreichend zur Verfügung stehender Mittel aus der Ausgleichsabgabe“ nur zu gut aus Bewilligungsbescheiden. Die ISL und die Zentren für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen haben in den letzten 30 Jahren seit ihrem Bestehen eine Vielzahl von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen geschaffen bzw. haben dies bei anderen Arbeitgeber*innen unterstützt. Dabei sind die Akteur*innen immer wieder an die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Ausgleichsabgabe gestoßen, wenn es um Arbeitsassistenz, Hilfsmittel oder Umbauten ging.

Deshalb ist es für Alexander Ahrens unverständlich, dass nun wieder massiv Mittel aus der Ausgleichsabgabe in das System der Werkstätten für behinderte Menschen fließt, deren Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht nur minimal ist und dessen System auch nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention konform sind.

Wenn die Bundes- und Landesregierungen Entgeltausfällte in den Werkstätten kompensieren wollen, dann sollten diese die von den Arbeitgebern geleisteten Beiträge für die Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in die Ausgleichsabgabe nicht dafür missbrauchen, das Geld in Werkstätten zu geben, die diesem Ziel zum Teil sogar entgegenstehen, sondern andere Finanzierungsformen aus dem Staatshaushalt suchen. Viel wichtiger sei es, den Einsatz der Mittel der Ausgleichsabgabe noch zielgerichteter auf die Inklusion im allgemeinen Arbeitsmarkt auszurichten und beispielsweise Modelle wie das Budget für Arbeit, das Budget für Ausbildung und Inklusionsbetriebe gezielt zu fördern. Die Förderung der Entgeltausfälle in der Werkstatt sei ungefähr so, wie wenn die Mittel für die Sicherung der Arbeitsplätze bei Lufthansa aus dem Fonds einer Umweltstiftung genommen würden.