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Behindert und stolz – wie passt das zusammen?

Nico Wunderle
Nico Wunderle
Foto: privat

München (kobinet) "Behindert und stolz – wie passt das zusammen?" Mit dieser Überschrift hat sich kobinet-Redakteur Nico Wunderle ein paar Gedanken zum am 1. Juli 2025 gestarteten Disability-Pride-Month gemacht. "Disability-Pride-Month – irgendwie ist das ein komisches Wort. Besonders, wenn wir es wörtlich ins Deutsche übersetzen: Behinderten-Stolz-Monat. Es gibt Begriffe, die bei mir ein leicht beklemmendes Gefühl hinterlassen. Stolz gehört dazu. Ich sage eher selten: 'Ich bin richtig stolz auf mich.' Vielmehr ist alles, was ich mache, für mich so selbstverständlich und so normal, dass es keiner besonderen Erwähnung bedarf", schreibt Nico Wunderle in der Einleitung seines Beitrags.

Kommentar von Nico Wunderle

Behinderten-Stolz – was soll das eigentlich sein? Kann ich auf etwas stolz sein, das ich weder selbst beeinflusst noch bewusst ausgewählt habe? Spontan würde ich sagen: Nein, das geht nicht. So wie ich auch die Augen verdrehe, wenn mir jemand erzählt, er oder sie sei stolz darauf, in Deutschland geboren worden zu sein. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht.

Disability Pride bedeutet wörtlich übersetzt Behindertenstolz und beschreibt ein positives, selbstbewusstes Verhältnis zur eigenen Behinderung. Es ist ein wichtiger Teil der weltweiten Behindertenbewegung und eng mit der Idee verbunden, dass Behinderung kein Makel ist, sondern Teil der Vielfalt menschlicher Lebensformen.

Als Mensch, der selbst mit Behinderung lebt, stimme ich dem vollkommen zu. Wir brauchen ein positives, selbstbewusstes Verhältnis zur eigenen Behinderung. Meine Behinderung gehört zu meiner Identität, ich kann sie nicht einfach von mir abtrennen. Sie begleitet mich in jeder Alltagssituation, und ich kenne mein Leben nicht anders als mit Behinderung.

Aber bin ich tatsächlich stolz auf meine Behinderung? Ganz ehrlich – ich weiß es nicht. Viel zu oft, wenn ich an Barrieren oder Grenzen stoße, verfluche ich meine Behinderung. Ich sehne mich dann nach einfacheren Lösungen. Schließlich ist es schmerzhaft, immer wieder an Hindernisse zu stoßen, die ich als Mensch mit Behinderung kaum beeinflussen kann.

Ich weiß nicht – mit Stolz hat das für mich wenig zu tun.

Aber zum Disability Pride gehört noch viel mehr. Disability Pride bedeutet, stolz auf die eigene Identität als behinderter Mensch zu sein. Es geht darum, Diskriminierung und Scham abzulehnen – nach dem Motto: Ich muss mich nicht verstecken. Es geht darum, Stereotype zu hinterfragen – Behinderung ist nicht nur Leiden. Und es bedeutet, Selbstbestimmung und Sichtbarkeit einzufordern – Wir gehören selbstverständlich dazu.

Wenn das Stolz bedeutet, dann bin ich voll dabei und unterstütze das komplett.

Der Begriff Disability Pride wurde vor allem durch die amerikanische Behindertenbewegung bekannt. Dort fand 1990 in Boston die erste Disability Pride Parade statt – im selben Jahr, als mit dem Americans with Disabilities Act ein wichtiges Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet wurde. Seitdem gibt es weltweit Disability-Pride-Month-Aktionen, in der Regel im Juli.

Trotzdem ist es so: Beim Wort Stolz rollen sich mir immer noch ein wenig die Fußnägel hoch. Aber es ist wichtig, dass Behinderung in einem positiven Kontext sichtbar wird.

Am vergangenen Wochenende war ich beim Christopher-Street-Day in München. Dort feierten 300.000 Menschen Vielfalt und sexuelle Selbstbestimmung auf den Straßen. Auch große Firmen zeigten durch ihre Präsenz Flagge. Natürlich können wir nicht in die Köpfe der Unternehmen schauen und wissen nicht, wie viele aus Imagegründen dort auftreten. Trotzdem ist es ein riesiger Erfolg, wenn eine ganze Stadt ein Wochenende lang für Vielfalt einsteht. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie großartig es wäre, wenn die Behindertenbewegung einmal ähnlich viele Menschen mobilisieren könnte. Für mich ist klar: Wir als vielfältige Gesellschaft müssen gemeinsam für unsere Interessen einstehen und dafür kämpfen, dass wir stolz auf unser Leben sein können – ohne dass wir marginalisierte Gruppen gegeneinander ausspielen.