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Die Mitte entscheidet selbst

Ralph Milewski
Ralph Milewski
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet) Immer wieder wird behauptet, die politische Mitte müsse auf rechten Druck reagieren, um demokratische Mehrheiten zu sichern oder "Themen nicht den Rechten zu überlassen". Das mag in Teilen zutreffen, etwa in der Migrationspolitik. Doch wer sich Pflege-, Behinderten- und Teilhabepolitik genau ansieht, erkennt das Gegenteil: Hier gibt es keinen rechten Druck. Und trotzdem handeln die Regierenden aus eigenem Antrieb.

Das IPReG, die Triage-Regelungen, Kürzungen in der Eingliederungshilfe, die Deckelung von Pflegebudgets, das Festhalten an Werkstätten, Sonderschulen und komplexinstitutionellen Wohnformen – all das wurde und wird nicht durch rechten Populismus forciert, sondern aus der Mitte beschlossen, organisiert und durchgesetzt.

Wenn in diesem Zusammenhang von der AfD die Rede ist, steht sie exemplarisch für den gesamten rechten Rand. Doch gerade in diesen Bereichen zeigt sich: Pflege und Behinderung sind für rechte Kräfte nicht populistisch verwertbar, zu komplex, nicht emotional aufladbar. Es gab keine Kampagnen, keine Demos, keine Talkshows mit AfD-Vertretern zur Eingliederungshilfe oder zur Triage.

Das zeigt: Nicht der rechte Rand treibt die Mitte. Die Mitte agiert selbst und zwar gegen die Interessen der Menschen, die vom System systematisch benachteiligt werden.

Und wer separiert heute Menschen mit Behinderung? Auch das nicht die Rechte, sondern ein System, das von der politischen Mitte getragen, finanziert und stabilisiert wird:

  • Sonderschulen: staatlich organisiert, verwaltungstechnisch abgesichert – trotz UN-Kritik nicht zurückgebaut.

  • Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM): ein paralleler Arbeitsmarkt mit Billiglöhnen, getragen von CDU, SPD, Grünen und FDP.

  • Heime, Komplexeinrichtungen, besondere Wohnformen: zementieren räumliche Trennung – bei gleichzeitiger Inklusionsrhetorik und Sonntagsreden.

  • Eingliederungshilfe: angeblich „unterstützend“, real: kontrollierend, befristet, oft nicht bedarfsdeckend – strukturell defizitorientiert.

  • Gesetzgebung (SGB IX, IPReG, Schulgesetze): kommt aus der Mitte, nicht vom Rand – exkludierend trotz inklusiver Sprache.

Diese Mitte ist keine Reaktion auf rechts, sie ist der Nährboden, auf dem Ausgrenzung staatlich legitimiert wird.

Und das ist kein Versagen, sondern ein System.

Natürlich propagiert die Rechte ein verächtliches Menschenbild gegenüber vielen marginalisierten Gruppen, auch gegenüber Menschen mit Behinderung. Aber das erklärt noch lange nicht, warum die politische Mitte selbst aktiv Strukturen schafft, die Menschen separieren, entrechten und ausschließen.

Was die Rechten sagen, ist verachtend. Was die Mitte tut, ist Gesetz.

Wichtig ist dabei: Es geht nicht darum, rechte Parolen oder Gesinnungen zu verharmlosen – sie sind und bleiben verachtenswert. Aber wer allein auf den rechten Rand starrt, verliert aus dem Blick, wer tatsächlich die Macht innehat und all das umsetzt, was wir zu Recht kritisieren.

PS: Man könnte jetzt sagen: Zum Glück gab es kürzlich ein Treffen zur Selbstvergewisserung der Behindertenbewegung in Kassel – die Mitmachtagung „Gestern – Heute – Morgen“, die dazu genutzt wurde, sich zu sammeln und zu stärken, um genau solchen Angriffen (aus der Mitte!) künftig etwas entgegensetzen zu können …

Auch der 5. Mai hallt noch lautstark nach, war ein voller Erfolg … na ja, okay … Nachberichterstattung? War … ähm … war nicht vorhanden. Deshalb ist auch nichts Gegenteiliges bekannt. Ist ja auch schon mal was.

Lesermeinungen

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3 Lesermeinungen
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Max Wagner
11.06.2025 09:35

Sie sind da was auf der Spur, weiter so!

Silvia Hauser
10.06.2025 17:05

Lesetipp dazu von Hans-Willi Weis:

„Regression der Mitte“

Tatsache ist nach Daniel Mullis („Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten“ Reclam 2024), dass die Mitte der Gesellschaft dazu neigt, sich zu verschließen und damit auf eine Politik der Verteidigung von Privilegien und des identitär gedeuteten Eigenen zu setzen.

Ungleichwertigkeitsvorstellungen werden reaktiviert und verfestigen sich:
„Wir haben als Gesellschaft nicht erst dann ein Problem mit autoritären und illiberalen Transformationsprozessen, wenn Rechtsaußen Wahlen gewinnt oder, schlimmer noch, tatsächlich an die Macht kommt. Das Problem beginnt bereits mit der Regression und den beobachtbaren Diskursverschiebungen. Es beginnt dann …. wenn die Verteidigung der eigenen Privilegien in den Fokus rückt, wenn die Abwertung schwächerer Gruppen um sich greift, wenn die Bereitschaft schwindet, sich auf eine gemeinsame Zukunft einzulassen, wenn die Schuld an jeder erdenklichen Misere bei den Anderen gesucht wird und wenn der Wunsch nach einer Abschottung gegen den Feind im Inneren und Äußeren zunimmt.“ (S.304ff)

Martin
07.06.2025 16:26

Guten Tag ich möchte Ihnen oder Dir, ich weiß nicht wer der ältere von uns und damit berechtigt ist dem anderen dass du anzubieten was ich von Herzen gerne machen würde, hier teilweise Recht geben. Klar ist allerdings auch dass ich die AFD gerade beim Thema schulische Inklusion sehr wohl deutlich und nicht nur am Rande positioniert. Und da rede ich jetzt nicht von dem schlimmen Aussagen in dem berüchtigten Interview im MDR von Björn Höcke. Auch in Berlin hat die AFD gerade einen Gesetzentwurf zum Erhalt von Förderschulen eingebracht und verwendet darin unter anderem den Begriff der „Abschulung“ wenn es darum geht Kinder bei denen die Inklusion nicht gelingt wieder auf die Förderschule oder in die inklusive Verbannung zu schicken.

Und auch in der Anhörung zum IpreG in der letzten Legislaturperiode hatte sich der Vertreter der AFD mit sehr schlimmen populistischen Fragestellungen an die Ärzteschaft hervorgetan und auch zu erkennen gegeben welch Geistes Kind er ist Punkt ich empfehle da jeden sich die Aufzeichnung von dem Livestream noch mal anzusehen.

Aber richtig ist diese Partei hat bisher keinen politischen Einfluss in der Weise dass sie Gesetze auch umsetzen kann. Aber sie vergiftet das Klima mit ihrer zwar nicht nachhaltigen aber populistischen Politik.

Diejenigen aber die jetzt politisch verantwortlich sind meinen zwei sie würden die Mitte repräsentieren. Aber dieser Begriff ist meines Erachtens spätestens seit Gerhard Schröders neuer Mitte ende der 90ziger Jahre jedenfalls für mich politisch diskreditiert. Ich würde da heute eher von einer neuen bürgerlichen rechten also dem sprechen, was die AFD ja gerne für sich aber völlig zu Unrecht beansprucht. Insofern ist es also konsequent wenn sich die Initiative Krüppel gegen rechts auch gegen die Stimmen populistischen Äußerungen eines Friedrich Merz, eines Herrn Dobrindt oder den nur halbherzigen Beschwichtigungen einerseits Herrn Winfried Oellers richtet.

Und auch wenn die legislaturperiode gerade erst begonnen hat und man sicherlich gucken muss was ich da konkret herausstellt geht schon jetzt: Wehret den Anfängern

In diesem Sinne herzliche Grüße und frohe Pfingsten aus Berlin

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