Menu Close

Demokratie in der Behindertenhilfe. Geht das?(mit freundlichen Grüßen an die „taz“)

Warnschild mit Ausrufezeichen
Ausrufezeichen
Foto: Susanne Göbel

Villmar - Weyer (kobinet) Obacht! Wenn Sie in einem Roll- oder Schreibtischstuhl sitzen, während Sie den nachstehenden Link anklicken, stellen Sie sicher, dass Sie gut angeschnallt sind. Sie könnten sonst hintenüberkippen. Für eventuelle Verletzungen übernimmt der Kolumnist Stephan Laux keine Haftung! Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO)

Auf Ihrem Bildschirm sehen Sie das Inhaltsverzeichnis der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz.

Ich überlasse es natürlich Ihnen, die einzelnen Unterpunkte anzuklicken. Empfehle aber, sich erst einmal zurückzulehnen, die Augen zu schließen und tief durchzuatmen.

Versetzen Sie sich dann in die Lage eines von demokratischen Grundwerten durchdrungenen Mitarbeitenden der Behindertenhilfe, der oder die den Auftrag erhält, die Wahl eines Werkstattrates in dessen Einrichtung zu organisieren. (Kurz Augen schließen und atmen)

Vielleicht gehen Ihnen jetzt folgende Fragen durch den Kopf:

  • Wie gelingt es eine solche Wahl nach demokratischen Grundregeln, die für viele von uns selbstverständlich sind, durchzuführen?
  • Wie werden alle 500 Wahlberechtigten mitgenommen? Auch die, welche einen hohen Unterstützungsbedarf haben?
  • Wie gewährleiste ich in einem solchen Fall eine geheime Wahl? Wie verhindere ich eine Einflussnahme der Begleiter*innen?
  • Wie und wer übersetzt die WMVO in einfache und/ oder leichte Sprache?
  • ….

Wenn Sie tatsächlich eine Mitarbeiter*in in der Behindertenhilfe sind (ob nun von demokratischen Grundwerten durchdrungen oder nicht) werden Ihnen vielleicht noch weitere Fragen und Gedanken durch den Kopf gehen (nicht hyperventilieren! Augen kurz schließen und atmen)

  • Wann und wie soll ich das alles schaffen? Ich habe in meiner Werkstattgruppe 16 Klient*innen zu betreuen.
  • Wenn Klient*in „X“ dieses Jahr wieder nicht in den Beirat gewählt wird, dann wird sie sehr traurig sein, vielleicht in eine depressive Episode rutschen.
  • Klient „Y“ wäre ein guter Kandidat, er kann sich gut ausdrücken, wird aber von vielen anderen Klient*innen nicht gemocht, weil er den Eindruck vermittelt, alles besser zu wissen.
  • ….

Wenn Sie 40 Jahre in der Behindertenhilfe gearbeitet und einen Hang zum Zen-Buddhismus haben, dann kennen Sie einige Atemtechniken. „Besser meditieren als dumm rumsitzen und nichts tun“ ist dann Ihre Devise. Dabei könnten sie folgende Erkenntnisse erlangen:

  • Sondersysteme, wie Werkstätten, schließen demokratische Verhältnisse aus.
  • Alle noch so subtilen Bemühungen, das Gegenteil zu behaupten, sind falsch.
  • Sondersysteme werden immer auch unwillkürlich durch demokratisch nicht legitimierte Machtverhältnisse geprägt sein.
  • Betroffene können vielleicht pseudodemokratisch eine Interessenvertretung wählen. Bei der Einstellung Ihrer Unterstützer*innen oder von Geschäftsleitungen haben sie kein Mitsprache- oder Entscheidungsrecht.
  • ….

Atmen Sie nun ganz entspannt weiter, strecken Sie Ihre Gliedmaßen, öffnen Sie langsam Ihre Augen und kommen Sie wieder in der Realität an.

Oooommmm… Stephan Laux

Lesermeinungen

Bitte beachten Sie unsere Regeln in der Netiquette, unsere Nutzungsbestimmungen und unsere Datenschutzhinweise.

Sie müssen angemeldet sein, um eine Lesermeinung verfassen zu können. Sie können sich mit einem bereits existierenden Disqus-, Facebook-, Google-, Twitter-, Microsoft- oder Youtube-Account schnell und einfach anmelden. Oder Sie registrieren sich bei uns, dazu können Sie folgende Anleitung lesen: Link
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
1 Lesermeinung
Neueste
Älteste
Inline Feedbacks
Alle Lesermeinungen ansehen
Ralph Milewski
04.06.2025 13:40

Achtung Fiktion:

„Die Wahl“ – Eine Demokratieübung im Schonwaschgang

Einmal alle vier Jahre darf Demokratie auch in der Werkstatt kurz aufblitzen – genau für so lange, wie es dauert, einen Stift zu halten und ein Kreuz zu machen. Es ist wieder Werkstattratswahl. In der Kantine wird dazu extra ein Paravent aufgebaut, die Wahlurne ist aus Pappe und auf dem Tisch liegen laminierte Wahlzettel mit fünf Namen. Oder vier. Oder nur drei – je nachdem, wie viele „geeignete“ Kandidat*innen das Personal diesmal vorschlagen konnte.

Denn natürlich läuft alles demokratisch ab. Kandidat*innen werden „motiviert“, vorzugsweise jene, die „sich gut ausdrücken können“ und „verlässlich“ sind – also keine Fragen stellen. Menschen mit kritischer Haltung oder zu viel Eigenwillen landen eher nicht auf der Vorschlagsliste. Man wolle ja niemanden überfordern, heißt es.

Einige Klient*innen wissen nicht genau, worum es geht. Die WMVO, also die rechtliche Grundlage der Wahl, liegt im Büro in schwer verständlichem Juristendeutsch. Eine Übersetzung in leichte Sprache? Fehlanzeige oder irgendwo ganz unten im Intranet verlinkt. Es gibt keine echte Aufklärung, keine Debatte, keine Programmatik – dafür aber Smileys auf dem Wahlplakat.

Die Wahl selbst? Ein sozialpädagogisch begleiteter Spießrutenlauf. Wer Hilfe braucht, bekommt sie – inklusive „sanfter Hinweise“, wer ein guter Kandidat wäre. Die Wahl sei natürlich geheim, wird betont. Doch viele brauchen Hilfe beim Lesen, Schreiben oder Verstehen – und dann ist die Wahl plötzlich nicht mehr so geheim. „Willst du wirklich den da nehmen? Der Peter ist doch nett!“

Wer es trotzdem wagt, gegen den Strom zu schwimmen, fällt schnell auf. Gruppendruck inklusive. Die meisten nehmen ohnehin nicht teil. „Ich weiß nicht, was das bringt“, sagt einer und spielt weiter Mensch ärgere dich nicht.

Nach der Auszählung (meist einstimmig oder mit wenigen Ausreißern) gratuliert die Leitung: „Demokratie in Aktion!“ Der neue Werkstattrat bekommt eine Einweisung, eine Mappe und vielleicht ein Ehrenamtspinscherl. Sitzungen gibt es gelegentlich, aber ohne verbindliche Mitsprache. Es wird informiert – nicht entschieden. Der Einfluss ist symbolisch, die Verantwortung real. Schulungen? Wenn Geld da ist. Externe Beratung? Unwahrscheinlich.

So bleibt alles wie es war. Nur eben mit einem neuen Namen an der Wand und einem Gruppenfoto für den Jahresbericht.

So oder so ähnlich stelle ich mir das nun nach deiner Kolumne vor, lieber Stephan …

Aber wahrscheinlich lief es genauso basisdemokratisch und selbstbestimmt ab wie die Einbeziehung der Partizipanten zur ersten inklusiven After-Work-Party (mit Nikolaus und Aschenbrödel) in meinem Landkreis Rhön-Grabfeld. Denn: „Neu war in diesem Jahr, dass auch die Menschen mit Behinderung bei der Planung mit einbezogen worden waren.“

Was für ein Fortschritt! Da ist sie endlich – die echte Teilhabe und Inklusion!!!

P.S.: Welche Alternative zu Nikolaus und Aschenbrödel zur Wahl stand, wurde öffentlich nicht kommuniziert – aber wir gehen davon aus, dass „Einbeziehung in die Planung“ zumindest eine weitere Möglichkeit zur Wahl stellte.

Auch hier wieder Fiktion: „Entweder – oder! Nein, es gibt nur diese zwei Auswahlmöglichkeiten. Eine dritte? Vielleicht nächstes Jahr. Und nein, es ist Gruppenzwang. Wenn, dann müssen alle mit.“

Andere würden mir nun – wie bereits auf Facebook geschehen – vorwerfen, dass ich „alles zerrede“. Und andere wiederum würden mir nahelegen, einfach mal die Fresse zu halten.

Zuletzt bearbeitet am 10 Tage zuvor von Ralph Milewski
1
0
Wir würden gerne Ihre Meinung lesen, schreiben Sie einen Leserbrief!x